Gemeinsames Musikhören bei Twitter, kreative Heimvideos und Schutzmasken: das Corona-Update
news17.04.20
Auch diese Woche möchten wir euch in unserem Corona-Update mit den wichtigsten Neuigkeiten der letzten sieben Tage versorgen, ob gut oder schlecht. Gute gibt es einige.
von Timon Menge
So rückt die Musikwelt in der Krise weiter zusammen, Bands veröffentlichen kostenlose Livestreams, Fans drehen unterhaltsame Videos und Unternehmen wie Live Nation und Ernie Ball zeigen sich solidarisch. Mit Musikproduzent Hal Willner fordert die Krankheit COVID-19 allerdings auch ein weiteres Todesopfer.
Das Aus für die Festivals
Seit Mittwoch ist es offiziell: Bis zum 31. August dürfen in Deutschland keine Großveranstaltungen stattfinden. Das bedeutet unter anderem das Aus für den gesamten Festivalsommer. Zahlreiche namhafte Veranstalter haben bereits Absagen veröffentlicht. Das trifft die gesamte Unterhaltungsbranche hart, wie auch Kiss-Bassist Gene Simmons in der US-Fernsehsendung Good Day LA feststellt: „Wir können uns über die großen Zahlen unterhalten, und die sagen uns, dass wir gerade Milliarden von Dollar verlieren. Über die Reichen und Berühmten und die Gutaussehenden, die verrückte Kostüme tragen und schräge Frisuren haben — Milliarden von Dollar, die den Abfluss heruntergespült werden. Aber was soll’s? Wir sprechen auch über alleinerziehende Mütter und Familien, die von Gehalt zu Gehalt leben. Die Menschen, die die Konzerte tatsächlich auf die Beine stellen — die Security-Dienste, die Roadies und all das. Das ist das Wichtige, denn da geht es um’s Überleben. Die Menschen innerhalb und in der erweiterten Infrastruktur leiden am meisten.“ Er selbst gehöre nicht zu denjenigen, die jammern dürften.
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Kiss lassen auch Taten folgen. So hat die Band gerade erst ein „Stay At Home“-T-Shirt auf den Markt gebracht, dessen Erlös zu 100% an den Crew-Nation-Fonds von Live Nation geht, also an Tourmanager*innen, Produktionsleiter*innen und an all die Menschen, die dafür sorgen, dass Shows und Tourneen überhaupt stattfinden können.
Unterstützung für die Live-Branche
Nicht nur Live Nation zeigt sich in der Krise aktiv. Unter dem Banner Live For Life haben sich mehr als 100 US-Veranstaltungsfirmen zusammengeschlossen, um während des Shutdowns das Gesundheitssystem der Vereinigten Staaten zu unterstützen. Mit all ihrer Expertise im 3D-Druck und im Aufbau vorübergehender Strukturen, möchten die Event-Spezialisten zum Beispiel provisorische Krankenstationen ermöglichen. „Wir beschäftigen uns jeden Tag damit, Großveranstaltungen auf die Beine zu stellen“, erzählt Unternehmer Chris Meyer im Interview mit dem Rolling Stone. „Wir kennen die Werkzeuge, die Prozesse und unsere Mitarbeiter haben eine Menge Erfahrung. Normalerweise setzen wir das für große Konferenzen, Festivals, Autoshows und Sportveranstaltungen ein. Aber die Prinzipen der Planung und der Logistik und der Verlagerung eines Events lassen sich auch auf die aktuellen Bedürfnisse anwenden.“
Die Stadt New Jersey hat indes ein Benefizkonzert der Superlative auf die Beine gestellt. Im Rahmen von Jersey 4 Jersey werden am 22. April die Töchter und Söhne der Stadt auftreten, natürlich online. Dabei sind zum Beispiel Bruce Springsteen und Bon Jovi. Auch Nicht-Musiker*innen wie Danny DeVito, Whoopi Goldberg und Chris Rock werden an der Veranstaltung teilnehmen. Weitere Informationen dazu findet ihr hier.
Pink Floyd und Grateful Dead streamen Konzerte
Pink Floyd sorgen ebenfalls für Online-Unterhaltung und zwar zunächst mit ihrem Pulse-Konzert von 1995. Damit feiert die britische Band den Auftakt einer Konzertserie, wie Metallica sie bereits umsetzen. „Wir wünschen euch allen das Beste und hoffen, dass es euch und euren Familien in dieser schwierigen Zeit gut geht“, verkündete die Gruppe via Facebook. „Wir werden weiterhin Dinge posten, als wäre alles normal, und können euch hoffentlich interessante und kurzweilige Bilder, Musik und Videos zur Verfügung stellen, damit wir gut durch all das kommen.“ Der Stream von Pulse beginnt heute, am 17. April, um 18 Uhr auf dem YouTube-Channel von Pink Floyd.
Die Nachlassverwalter der Grateful Dead schließen sich an und werden von nun an jeden Freitag ein Konzert aus dem Archiv der Band übertragen. Vor dem sogenannten Shakedown Stream stehen Grateful-Dead-Archivar David Lemieux und Historiker Gary Lambert für Fragen zur Verfügung. Heute Abend geht es weiter, und zwar ebenfalls auf dem YouTube-Kanal der Band. Wer live dabei sein will, muss sich allerdings einen Wecker stellen oder eine zusätzliche Tasse Kaffee trinken: Nach deutscher Zeit startet die Übertragung um zwei Uhr nachts.
Twitter Listening Parties
Ein ganz anderes Konzept hat Tim Burgess von The Charlatans entwickelt: Twitter Listening Parties. Jeden Tag lädt Burgess mehrfach Musiker*innen und Mitglieder anderer Bands ein, eines ihrer Alben zu twittern — und die Fans zuhause können anschließend zeitgleich auf den „Play“-Button drücken. Eigentlich sollte diese Form des gemeinsamen Musikhörens eine einmalige Sache werden, nämlich zum nahenden 30-jährigen Jubiläum des Charlatans-Albums Some Friendly (1990). „Aber es sah für mich so aus, als könnte es sehr verbindend sein, auch Leute von anderen Bands dazu einzuladen, damit sie ihre Musik posten und Infos aus erster Hand erzählen können“, gibt Burgess im Rolling Stone zu Protokoll. Den „Fahrplan“ könnt ihr euch hier anschauen.
A few folks asking how these work. They’re really easy:
Stream or play the album in question and follow me and the relevant twitterer(s) and watch the tweets in real time. Ask questions/ share memories etc using #timstwitterlisteningparty. Nowt complicated. That’s it ; ) — Tim Burgess (@Tim_Burgess) March 26, 2020
Der ehemalige Oasis-Frontmann Liam Gallagher ist schon einen Schritt weiter und denkt bereits an die Zeit nach der Coronakrise. So möchte er am 29. Oktober in der Londoner O2-Arena ein kostenloses Konzert für die Mitarbeiter*innen des britischen National Health Service veranstalten. „Sie machen einen unglaublichen Job und wir können froh sein, sie zu haben“, erklärt er seine Entscheidung via Twitter.
Kreative Heimvideos
Wer gerade nicht arbeiten muss/darf, hat gelegentlich eine Menge Zeit. Dadurch entstehen im Netz die lustigsten Fan-Beiträge, wie zum Beispiel diese ganz eigene Interpretation von Freddie Mercurys Auftritt mit Queen beim legendären Live Aid-Konzert:
Auch die Familie Heller aus Maple Valley, Washington hat eine erstklassige Performance hingelegt und zwar zum Journey-Hit Separate Ways (Worlds Apart). „Das gemeinsame Eingesperrtsein setzt sogar den Besten von uns zu und die Quarantäne hatte ziemliche Auswirkungen auf uns“, gibt Steven Heller in einem Interview zu Protokoll. „Meine Frau hat mir geschrieben und meinte, dass wir ein Musikvideo nachstellen müssen. Ich dachte zuerst, dass das bestimmt eine Menge Arbeit wird, aber ihre Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt und hier sind wir.“ Anschauen könnt ihr euch den Clip hier:
Schutzmasken aus der Gitarrenfabrik
Der Gitarrensaitenhersteller Ernie Ball leistet seinen ganz eigenen Beitrag zur weltweiten Coronakrise. „Wir sitzen alle im selben Boot“, schreibt der kalifornische Betrieb in einem Statement. „Deshalb widmet sich unsere Accessoire- und Gitarrengurtproduktion ab jetzt der Herstellung von Schutzmasken zur Eindämmung von COVID-19.“ Man wolle die Masken kostenlos an lokale Unternehmen und Bürger verteilen, sogar per Lieferung frei Haus.
Musikproduzent Hal Willner an COVID-19 gestorben
Mit Hal Willner fordert das Coronavirus allerdings auch ein weiteres Opfer. Am Dienstag verstarb der Musikproduzent, den man zum Beispiel für seine Arbeit mit Metallica und Lou Reed kennt, im Alter von 64 Jahren. Noch am selben Tag haben Metallica einen Instagram-Post veröffentlicht, in dem sie von einem Schock sprechen und ihre Trauer über Willners Tod zum Ausdruck bringen. Schlagzeuger Lars Ulrich schreibt: „Ich werde die Zeit mit Hal immer in Ehren halten. Er war ein sehr warmer, offener und kommunikativer Mensch, und als Lous ‘rechte Hand’ war er maßgeblich an der Arbeit an Lulu beteiligt. Ich werde ihn nie vergessen.“ Rest in peace, Hal.