Metallica goes Klassik: Zwanzig Jahre nach S&M spielt die Band erneut mit dem San Francisco Symphony Orchestra. Bombast trifft auf Geballer, episch und groß, aber nicht unerwartet. Doch in der zweiten Hälfte drehen sie auf… Wir haben uns S&M2 im UCI in Bochum angesehen.
von Christof Leim
Hier könnt ihr euch Metallicas Orchesterkollaboration von 1999 anhören:
Eine einmalige Angelegenheit sollen sie sein, die beiden Konzerte, die Metallica am 6. und 8. September 2019 mit dem Orchester ihrer Heimatstadt spielen. Die erfolgreichste Metal-Band der Welt zelebriert dabei das 20. Jubiläum ihrer ersten Klassikkollaboration, die 1999 im Grammy-prämierten Album S&M gipfelte. Weitere Termine oder gar eine Tour stehen für die Neuauflage nicht auf dem Plan. Zwei Abende, zweieinhalb Stunden, vier Metal-Veteranen, 75 Orchestermitglieder. Das war’s. Die Aufführungen wurden jedoch aufgezeichnet – und am 9. Oktober 2019 weltweit in Kinos gezeigt. Und wenn Metallica „weltweit“ sagen, dann meinen sie es auch so: S&M2 läuft in 3.698 Sälen in 96 Ländern. Nicht schlecht.
Foto: Brett Murray„Kreise“ scheinen das optische Thema zu sein: Metallica stehen auf einer runden Bühne in der Mitte, das Orchester sitzt im Kreis um sie herum, weiter außen folgen die ersten Reihen an Fans. Eine Barrikade gibt es nicht. Über den Köpfen hängen große Ringe, auf denen wie schon bei den letzten Touren Projektionen und Grafiken laufen. Sieht gut aus.
Drama und Epik
Das legendäre Ennio-Morricone-Stück The Ecstasy Of Gold macht wie immer den Anfang – und wirkt livehaftig gespielt von einem echten klassischen Klangkörper epischer als sonst. The Call Of Ktulu folgt, jetzt spielt die Band mit, und wie schon 1999 erweist sich das Instrumental als Dramabringer erster Güteklasse. Mit For Whom The Bell Tolls und The Day The Never Comes geht die Headbangerei dann richtig los. Metallica klingen und spielen gut, die klassisch ausgebildeten Damen und Herren sowieso, nur James Hetfield singt anfangs heiser. Die Atmosphäre wirkt konzentriert, aber nicht angespannt, auch der Dirigent Edwin Outwater hat augenscheinlich Spaß. Nach einer Weile fangen Hetfield, Kirk Hammett und Rob Trujillo an herumzulaufen, verlassen ihr rundes Podium und stehen dann zwischen den sitzenden Orchestermusikern und -musikerinnen, gelegentliche „fist bumps“ inklusive. Ein bisschen haben sich unsere Helden sogar schick gemacht: Trujillo trägt einen Anzug mit Vans, Hetfield immerhin ein schwarzes Hemd.
Die große Frage im Vorfeld lautete: Werden Metallica die Arrangements von damals wiederholen, oder gibt es andere Songs, Variationen und Überraschungen? Es passiert beides. Genau die Hälfte der 20 Stücke fanden sich schon auf S&M, darunter die damalige Neuerscheinung No Leaf Clover sowie The Memory Remains, das 2019 mit euphorischem und begeisternd lange anhaltendem Chorgesang der 16.000 Zuschauer endet. Andere Nummern sind frisch dabei: Confusion vom letzten Album Hardwired…To Self-Destruct gewinnt durch die Sinfoniebegleitung, Halo On Fire zieht sich so oder so, und Moth Into Flame käme auch ohne aus. Interessanterweise bieten Metallica an diesem Abend zum ersten Mal überhaupt bei einer Show Stücke von allen zehn Studioalben.
Manchmal klappt’s, manchmal nicht
Eine grundlegende Sache hat sich seit 1999 nicht geändert: Metallica spielen ihre Songs, wie sie sie immer spielen, das Orchester tönt zusätzlich. Bei manchen Tracks funktioniert das hervorragend, und zwar meistens dann, wenn die Riffs genügend Platz lassen: Bells und Wherever I May Roam etwa erhalten einen gewaltigen Schub, das oft vernachlässigte The Outlaw Torn gewinnt an Tiefe (und wird von Hetfield großartig emotional gesungen). Oft kann die sinfonische Abteilung jedoch mit den Gitarren nicht mithalten und vermögen nur Akzente zu setzen. Dann grätschen die Blasinstrumente mal schräg rein, die Pauken ballern mit, die Geigen wuseln herum und müssen sich ordentlich beeilen, wenn Hetfields rechte Hand losgaloppiert. Grundlegend klingen die S&M2-Bearbeitungen von Bruce Coughlin wie die Arrangements von Michael Kamen, der vor zwanzig Jahren die Verantwortung für die klassische Seite trug. Das bedeutet manchmal austauschbare Streichersoße, manchmal zusätzliche Klangerlebnisse.
Foto: Brett MurrayAuf der (hoffentlich) großen und guten Soundanlage eines Kinosaals und mit breiter Leinwand wirkt das alles natürlich extra gewaltig. In einem kurzen Interview am Anfang hatte Trujillo die Besucher weltweit noch aufgefordert, Lärm zu machen und sich aus den Sitzen zu erheben. In Bochum gibt es aber keine Moshpits oder Mitsingerei, es wird jedoch vermutlich mehr Bier getrunken. Geht auch.
Hetfield solo
Wie in der Klassik üblich, unterbrechen Metallica das Konzert in der Mitte für eine kurze Pause. Wir sehen, wie Lars Ulrich das Mikrofon ergreift und erstmal die unzähligen Flaggen aus aller Herren Länder bewundert. Anschließend spricht Michael Tilson Thomas, hochdekorierter Chefdirigent des SFO. Er läutet den zweiten Akt ein mit der kurzen Erklärung einer musikalischen Strömung namens Primitivismus, zu dessen Protagonisten der russische Komponist Sergei Prokofjew gehört. Dessen Skythische Suite spielt das Orchester unter Thomas Führung jetzt ohne Rock’n’Roll-Begleitung – und zeigt, was Profis drauf haben. Respekt.
Foto: Brett MurrayNun wird es interessant: Thomas erklärt kurz den „Futurismus“, einen Stil der Klassik, der die Ära der Industrialisierung musikalisch umsetzt. Das Werk The Iron Foundry oder Die Eisengießerei von Alexander Mosolov führen das Orchester und Metallica gemeinsam auf. Und diesmal kommen die beiden Welten wirklich zusammen, verweben und ergänzen sich. Die Metaller liefern das harsche, tatsächlich industriell klingende Fundament, das SFO baut darauf auf. Unerwartet, aber verdammt cool.
Foto: Brett MurrayDann steht James Hetfield am Mikro, ohne Gitarre, ohne seine Mitstreiter – und singt The Unforgiven III nur zum Orchester. So kraftvoll, so ausdrucksstark hat man den Mann selten gehört, eine wahrlich beeindruckende Leistung, die ausgiebig beklatscht wird – und ein weiterer Höhepunkt des Films. All Within My Hands spielen die vier Metal-Musiker dann auf stromlosen Instrumenten, also Akustikgitarren, wie wir es von der Helping Hands-Aufzeichnung kennen. Der Song von der ungeliebten St. Anger-Platte gewinnt dadurch deutlich; erneut ist ein Herr namens Avi Vinocur als Gastsänger dabei.
Long live Cliff
Nun wird es Zeit für Gänsehaut: Scott Pingel ist der erste Bassist des San Francisco Symphony Orchestra. Früher mal hat er mit einer Garagenband Metallica-Songs gelärmt, jetzt zollt er dem unvergessenen Cliff Burton Tribut: Nach einer kurzen eigenen Komposition spielt Pingel dessen Basssolo (Anesthesia) Pulling Teeth auf einem elektrischen „Kontrabass“, komplett mit Verzerrung und Wah-wah. Da kann man schon mal ein Tränchen ins Knopfloch bekommen. Abgefahren: Als das Stück 1983 Kill ‘Em All erschien, standen noch Lichtjahre zwischen Thrash und Orchester.
Foto: Brett MurrayNun biegt S&M2 auf die Zielgerade ein: Wherever I May Roam beginnt mit einer echten Sitar, das Machinengewehrgeknatter im Intro von One simuliert Lars zusammen mit einem Perkussionisten auf einer Snare-Drum, Master Of Puppets glänzt wie immer als eines der besten Metal-Stücke überhaupt, und Nothing Else Matters wurde schon im Original durch Streicher verziert. All diese Stücke gewinnen durch das Orchester, die Fans in der Halle feiern (zu sehen sind sie allerdings nicht oft). Das unkaputtbare Enter Sandman beendet – natürlich – die Aufführung.
Fazit: Dank der furiosen ersten Hälfte des zweiten Aktes klingt S&M2 anders als der 20 Jahre alte Vorgänger, die meisten, wenn gleich nicht alle „neuen“ Songs machen es kurzweilig. Und ja, das funktioniert überraschenderweise sogar im Kino.
Setlist:
The Ecstasy Of Gold
The Call Of Ktulu
For Whom The Bell Tolls
The Day That Never Comes
The Memory Remains
Confusion
Moth Into Flame
The Outlaw Torn
No Leaf Clover
Halo On Fire
--
Scythian Suite, Op.20 , Second Movement
Iron Foundry
The Unforgiven III
All Within My Hands
(Anesthesia) Pulling Teeth
Wherever I May Roam
One
Master Of Puppets
Nothing Else Matters
Enter Sandman
https://www.udiscover-music.de/news/metallica-erfolgreichste-tour-band-aller-zeiten