Würde sich eine Band aus Süd-London heute Japan nennen und sich auf Plattencovern mit Mao-Gemälde und Essstäbchen ablichten lassen, wäre die Kritik, es handle sich bei alledem um kulturelle Aneignung nicht all zu weit hergeholt. Doch wir schreiben die 70er Jahre und Exotik, queere Ästhetik und alles, was glamourös, andersartig und aufregend erscheint, stehen hoch im Kurs. David Bowie tänzelt als Ziggy Stardust – einem ätherischen, durchsichtig dünnen Zwitterwesen – durch die Clubs, Roxy Music tigern als Wildkatzen durch die Welt und Japan ist ein exotisches Land in der Ferne, das noch von keinen Billigairlines angeflogen wird.
Eigentlich passt die Band Japan perfekt in die Szenerie. Das Crossdressing, die sorgfältig gezogenen Kajalstriche, der Gestus auf der ästhetischen Seite. Und musikalisch erlebt Glamrock seine Hochphase, elektronische Musik und New Romantic Movement sind im Entstehen.
Hör hier in Tin Drum rein:
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Kreativ und furchtlos: Japan kann sich locker mit seinen Zeitgenossen messen
Doch der Erfolg für die vier Schulfreunde David Sylvian, Steve Jansen, Richard Barbieri und Mick Karn aus Catford in England lässt einige Zeit auf sich warten. Beinahe so lange, bis die Band sich nach kurzen intensiven Schaffensjahren zwischen 1978 und 1982 wieder trennt, gerade als die Welt Japan auf der musikalischen Landkarte ausfindig gemacht hat.
Während Roxy Music, David Bowie, Lou Reed oder The New York Dolls in der ersten Reihe tanzen, schaffen die vier Experimentierfreunde auf der Hinterbühne fünf fantastische Alben, von denen zwei nun eine neue Würdigung erfahren. Gentlemen Take Polaroids und Tin Drum erscheinen am 24. August 2018 als Vinyl-Reissues in jeweils zwei Editionen: als 1LP auf 180gr Vinyl und als besonderes 2LP-Set, ebenfalls auf 180gr Vinyl, die mit ihrer Abspieldrehzahl von 45 min−1 für ein besonders hochwertiges Klangerlebnis sorgen.
Die Alben von 1980 und 1981 sind zwei außergewöhnliche Werke. An dieser Musik ist nichts einfach, nichts selbstverständlich. Die Ohren müssen sich einhören im Japan-Universum, dann aber wirkt das Ganze wie ein riesiger Abenteuerparcours für Kindsköpfe, Spieler, Träumerinnen und Freunde des Glamours.
Vom Glamrock zum Synthpop
Mit Gentlemen Take Polaroids hatten Japan endgültig ihren einzigartigen Sound gefunden. Waren auf Quiet Life die Euro-Disco- und Glamrock-Referenzen noch unüberhörbar, durchläuft die Band auf ihrem vorletzten Album eine Metamorphose hin zu glasklarem Synthpop mit hohem künstlerischen Anspruch. Besonders glänzen Songs wie Swing, Nightporter oder Taking Islands In Africa. Sylvian trägt das Album mit seinem seufzenden Bariton, jedes seiner Arrangements bietet neue Entdeckungen, Barbieris Keyboard setzt coole Akzente und Jansen produziert auf seinem Schlagzeug erstaunliche Kreationen.
Der letzte Vorhang schließlich, das Album Tin Drum aus dem Jahr 1981, beinhaltet weit mehr als den wohl bekanntesten Song Japans, Ghosts, auch wenn dieser so schön ist, dass Sylvian damals wohl einen faustischen Pakt für Melodie und Lyrics abgeschlossen hat. Andere Highlights des Albums, das der Band nun endlich wohlverdienten Erfolg einbrachte, sind The Art of Parties oder Canton.
Neues Half-Speed-Mastering für Gentlemen Take Polaroids und Tin Drum
Mit beiden Alben haben sich Japan zweifelsohne im Kanon der Popmusik verewigt und andere Bands wie Duran Duran, Spandau Ballet, A Flock of Seagulls oder Boy George inspiriert. Grund genug, Gentlemen Take Polaroids und Tin Drum neu aufzulegen, und zwar nicht in irgendeiner Form.
Beide Werke wurden von Miles Showell, dem Meister des Half-Speed-Masterings, in den Abbey Roads Studios komplett überarbeitet. Showell ist ein Zauberer an den Reglern, der schon mit Elton John, Dido, Iggy Azalea gearbeitet hat und auch die fantastische Beatles-Geburtstagsedition von Sargent Pepper’s Lonely Hearts Club Band verantwortete.
Was die Überarbeitung mittels Half-Speed-Mastering mit einer Aufnahme macht, muss man einfach hören! Eine Beschreibung der neuen Klangqualitäten bleibt hier automatisch im Ungefähren. Auf dass Japan mit diesen aufgemotzten Jubiläumsversionen endlich bekommen, was sie definitiv verdienen: ordentlich Aufmerksamkeit.
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