Es gibt Songs, deren Bedeutung einen zehn Jahre nach ihrem Erscheinen einholen wie ein rastloses Gespenst, das sich im Jahrzehnt oder gar Jahrhundert geirrt hat. Nun sind Gespenster aus vergangenen Epochen stets Bestandteil heutiger Popmusik, aber es ist vor allem der Text von Norah Jones’ My Dear Country, der einen dieser Tage erschauern lässt:
But fear's the only thing I saw
And three days later 'twas clear to all
That nothing is as scary as election day
But the day after is darker
And darker and darker it goes
Who knows, maybe the plans will change
Who knows, maybe he's not deranged
Geschrieben in den Tagen der zweiten Bush-Administration dachte sich Jones offenbar, dass es nicht schlimmer kommen konnte als Bush. Und es kam Obama, der mit seiner strahlenden Botschaft von Hope und Change zumindest für einige Zeit die Gespenster vertrieb. Nun sind sie zurück und Jones’ Songtext zu My Dear Country ist beklemmend aktuell, zehn Jahre nach Erscheinen des Albums mit dem ebenfalls allzu passenden Titel Not Too Late.
Es ist Jones’ drittes Album und gleichzeitig ihr agilster Versuch, ihrer Musik Hausverbot bei Starbucks zu bescheren, nach dem sie sich mit Come Away With Me und Feels Like Home einen Stammplatz dauerreserviert hatte. Der war wohl Fluch und Segen zugleich.
Nicht, dass Not Too Late eine sperrige, unangenehme Platte wäre. Man kann sich Jones auch nicht unangenehm vorstellen.
Vorsichtig formuliert ist das Album vielleicht eine Art besungene Apokalypse im Universum einer Norah Jones. In ihren Texten sinken Schiffe (Sinkin’ Soon), die Sonne verbrennt einen (The Sun Doesn’t Like You) und Freundschaften sind nicht echt (Not My Friend). Und dennoch soll es nicht zu spät sein – natürlich für die Liebe, die alle Knoten löst (Not Too Late).
But it's not too late,
Not too late for love.
My lungs are out of air,
Yours are holding smoke,
And it's been like that now for so long.
I've seen people try to change,
And I know it isn't easy,
But nothin' worth the time ever really is.
Jones hat zum ersten Mal alle Songs und Texte selbst geschrieben, viele gemeinsam mit ihrem langjährigen Partner im Leben und in der Musik, Lee Alexander. Und Jones beweist: Man sollte ihr zuhören, sie ist eine feinfühlige Erzählerin mit Gespür für sprachliche Bilder und ihre Zeilen hallen nach.
Man hört dem Album an, dass Jones es lediglich mit ihrem Partner und Bassisten Alexander geschrieben hat und nicht die großen Arrangements im Kopf hatte. Viele Songs entstanden nicht am Klavier sondern mit der Gitarre. Und es sind weniger plüschweiche Piano-Arrangements zu hören und auch weniger der typischen Kontrabass-lastigen Engtanzballaden. Stattdessen spielen The Little Willies, Jones’ gelegentlicher Alternative Country Side Kick eine prominente Rolle.
Auf Sinkin’ Ship haben sie ihren großen Auftritt und gleich fühlt man sich schwer an Tom Waits’ Whiskey-Delirium erinnert. Herauszuhören sind unter anderem Töpfe und Pfannen als Percussionselemente, eine prominent eingesetzte Trombone, mit der gesungen wird, eine Mandoline, ein GuitJo mit zwei Hälsen, um nur einige Instrumente der Willies zu nennen.
Und offenbar hat Jones sich ebenfalls vorgenommen, mehr Experimente mit ihrer Stimme anzustellen, die ihr unfairerweise zum Verhängnis wurde. Viele hatten sich schlicht satt gehört an diesen breit gezogenen Vokalen, immer leicht heißer, immer leicht schläfrig. Die New Yorker Village Voice schrieb nach Erscheinen des Albums 2007 sehr passend: “That voice is still "that voice," but gravity was never what made it fly.”
Not Too Late sollte man vor allem wegen seiner Texte hören. Die rufen zwar keine Revolution aus aber Jones beweist sich als gute Beobachterin und wir können ganz bestimmt von ihr lernen.
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