Unvergesslich. Mit diesem schönen, die Erinnerung ex negativo heraufbeschwörenden Adjektiv werden gerne große Momente der Geschichte beschrieben. Die „I have a Dream“-Rede von Martin Luther King, die ersten Schritte von Neil Armstrong auf dem Mond, das 7:1 gegen Brasilien im WM-Halbfinale 2014 –unvergesslich, um nur drei beliebige Ereignisse zu nennen.
Bedingung für das Nicht-Vergessen ist jedoch, dass man den markanten Moment entweder selbst live miterlebt hat oder Bild-, Ton-, oder Filmmaterial davon existieren.
Als Kit Lambert, der Tourmanager von The Who, Kamera und Tonaufnahmegeräte am 5. April 1968 auf die Bühne des legendären Fillmore East Clubs in Manhattan richtete, wollte er einen solchen unvergesslichen Moment der Musikgeschichte schaffen: ein Doppelkonzert von The Who an zwei Abenden hintereinander, zur Peaktime ihrer Karriere und an einem Ort gesellschaftlicher Umwälzungen.
Turbulenzen, wohin das Auge blickt
The Who Fillmore East 2 - Pictorial Press Ltd Alamy Stock PhotoAuf und jenseits der Bühne ging es im Frühling 1968 äußerst turbulent zu. Am Vorabend der Konzerte war der Übervater der Bürgerrechtsbewegung, Martin Luther King, erschossen worden. In ganz Amerika demonstrierten die Menschen außerdem zu Hunderttausenden gegen den Vietnam-Krieg und gegen Rassismus und Diskriminierung in den staatlichen Institutionen.
The Who wiederum hatten – gemäß ihrer Rockstar-Pflichten – Garderoben und Hotelzimmer im piekfeinen Waldorf Astoria demoliert und waren am nächsten Morgen während des Fotoshootings zu The Kids Are Alright unter der britischen Flagge vollkommen erschöpft eingenickt (so will es die Legende).
Nun standen sie als erste Headliner aus Übersee auf der Bühne des frisch eröffneten East Fillmore und spielten sich die Seele aus dem Leib – und Kit Lambert merkte etwa nach der Hälfte der Show, dass Kamera und Tonaufnahme mitliefen, ohne aufzunehmen. Sein Plan war es gewesen, aus beiden Shows ein Live-Album zu basteln und dieses als vierten Release zwischen die Veröffentlichungen von The Who Sell Out und Tommy einzubauen.
Release 50 Jahre später
Man kann den Angstschweiß noch immer riechen, der Lambert in dem Moment ausgebrochen sein muss, als er seinen Fehler bemerkte. Zum Glück für die Nachwelt gab die Band zwei Konzerte und am darauffolgenden Abend tat die Kamera, wie ihr geheißen.
All das ist nun 50 Jahre, so lange saßen The Who und ihr Management auf den unveröffentlichten Aufnahmen wie Hennen auf ihren Eiern. Am 20. April ist es so weit, dann endlich erscheint Live at The Fillmore East 1968. Die Tracklist des Konzertes könnt ihr hier nachlesen.
Es war eine gute Entscheidung, mit der Veröffentlichung zu warten, denn das Album ist nun ein echtes Stück Zeitgeschichte. Für all jene, die nicht live dabei waren: So hört sich ein Rockkonzert an, dass eine Bande Testosteron-gesteuerter Engländer mit musikrevolutionären Ambitionen im Jahr 1968 in den USA spielte, inklusive einer 30-minütigen Version von My Generation mit abschließender (hörbaren) Equipment-Zertrümmerung. Für alle, die dabei waren: Those were the days!
Re-Issue von Pete Townshends Who Came First
Ein thematisch verwandtes Schmankerl wird ebenfalls am 20. April in neuer Aufmachung das Licht der Welt erblicken. Who Came First, das erste Soloalbum von Pete Townshend, wird mit acht bislang unveröffentlichten Tracks zu seinem 45. Jubiläum neu veröffentlicht.
Bei manchen Stücken es sich um neue Variationen von bekannten Songs wie Nothing Is Everything, There's a Fortune In Those Hills und Meher Baba in Italy. Andere sind Live-Aufnahmen etwa von Drowned eines Konzerts in Indien.
Wir halten fest: Der April 2018 gehört The Who. Auf dass sie unvergessen bleiben.
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