50 Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung erscheint im Juni 2016 eine Reissue von Pet Sounds. Das ist die perfekte Gelegenheit, mit Bruce Johnston über seinen Beitrag zu einem Album zu sprechen, das für Viele das beste Popalbum aller Zeiten ist. 1966 war er der ‘neueste’ Beach Boy. Dadurch hatte er einen ganz besonderen Blickwinkel auf die Entstehung von Pet Sounds und auch einen frischen, unverbrauchten Blick auf die Arbeitsweise der Beach Boys im Allgemeinen und von Brian Wilson im Besonderen.
"Ich wurde am 9. April 1965 Mitglied der Beach Boys. Damals war ich 22 Jahre alt. Meinen ersten Auftritt mit der Band hatte ich in New Orleans und am nächsten Tag kletterte Do You Wanna Dance auf Platz 12 der Billboard Magazine Hot 100 Charts, was natürlich super war für das weitere Airplay und die Verkäufe. Eine Woche später erschien die neue Singleversion von Help Me Rhonda und kletterte schnell bis auf Platz 1 der Billboard Charts. Aber damit war die lustige Fahrt lange nicht vorbei: Noch bevor der Sommer zu Ende war, erreichte California Girls Platz 3 der Billboard-Charts. California Girls war für das Album Summer Days (And Summer Nights) geschrieben und aufgenommen worden und es war der erste Beach Boys Song, auf dem ich singe. Wenn Ihr etwas über den Entstehungsprozess einiger dieser Songs wissen wollt: Mike Love schrieb seine Texte wahnsinnig schnell. Ich habe gesehen, wie er den Text zu California Girls zwei Stunden, bevor wir ihn einsingen sollten, auf dem Flur von Western Recorders schrieb.”
Brian Wilson hatte sich vom Tourleben zurückgezogen, um sich auf das Songwriting und Produzieren für die Band zu konzentrieren. Als Ersatz wurde der Sessiongitarrist Glen Campbell für Liveshows rekrutiert. Campbell hatte seinen ersten Auftritt Ende Dezember 1964, aber kurz vor dem Konzert in New Orleans im April 1965 rief er die Band an, um mitzuteilen, dass er aufgrund eigener Tourverpflichtungen als Solokünstler und Support für die Righteous Brothers keine Zeit hätte. So wurde Bruce Johnston ein Beach Boy. Vorher war Bruce neben Terry Melcher ein erfolgreicher Produzent bei Columbia Records in Hollywood gewesen. In der ersten Juliwoche 1965 erschien das Album Summer Days (And Summer Nights) und in der folgenden Woche war Brian schon wieder bei Western Recorders in Hollywood, um an einem neuen Song zu arbeiten. Bruce erzählt:
“Wir waren gerade mit Summer Days beschäftigt, da kam Brian mit einer Aufnahme von Sloop John B ins Studio und es war 250 Prozent absolut unfassbar genial! Sloop John B hätte es locker auf Summer Days (And Summer Nights) geschafft; das einzige Problem war, dass es noch keinen Gesang hatte. Dass Sloop überhaupt existiert, ist Alan Jardine zu verdanken. Al war ein riesiger Folkmusic-Fan und er liebte die Kingston Trio-Version von Sloop John B. Er überredete Brian, Sloop John B aufzunehmen, und im Endeffekt wurde das einer unserer größten internationalen Erfolge. Jetzt hatten wir also diesen tollen Track, der nur noch auf die Gesangsparts wartete. Aber wir stellten ihn erstmal hinten an und nahmen die Gesangsspuren schließlich Ende 1965 auf, als Brian sich daran machte, Pet Sounds zum Leben zu erwecken. Das Schicksal wollte es nicht, dass Sloop John B auf dem Summer Days-Album ist. Und dazu kam dann noch, dass Capitol Records Hitsongs für Pet Sounds haben wollte. Deshalb ist der Song da drauf.”
Obwohl der ursprüngliche Backingtrack zu Sloop John B schon im Juli existierte, fanden die ersten Gesangsaufnahmen erst drei Tage vor Weihnachten statt und dauerten bis zum 29. Dezember 1965. Dazwischen arbeiteten die Beach Boys an einem weiteren Album; eines mit drei Beatles Covern.
“Aus irgendeinem Grund fabrizierten wir im September 1965 ein ungeplantes Unplugged-Album, mit dem ungeplanten Hit Barbara Ann vom Album Beach Boys Party!, das im November 1965 erschien. Zwischen den Aufnahmen und der Veröffentlichung, spielten wir noch eine Single ein, die nicht auf dem Album auftauchte: The Little Girl I Once Knew, ein Song, der auch super auf Pet Sounds gepasst hätte.”
Als Brian den Backingtrack für The Little Girl I Once Knew aufnahm, sangen die Beach Boys schon die ersten Vocals für den Song ein. Gleichzeitig begann Brian mit der Arbeit an Don’t Talk (Put Your Head On My Shoulder). The Little Girl I Once Knew war ein klarer musikalischer Richtungswechsel vom bisherigen Erfolgsrezept der Beach Boys und enttäuschte ein wenig mit einer Spitzenposition auf Platz 20 der Billboard Hot 100 am 1. Januar 1966. Mit der Veröffentlichung von Barbara Ann vom Album Beach Boys Party! - mit Dean Torrence von Jan & Dean und Brian gemeinsam an den Lead Vocals -, war mit Blick auf die Charts wieder alles in Ordnung: Die Single erreichte Ende Januar 1966 Platz 2.
“In der Zwischenzeit waren wir mit Liveauftritten beschäftigt und verbrachten den großen Teil des Januars 1966 auf einer zweiwöchigen Tour in Japan. Während meiner ersten sieben Monate als Beach Boy nahm ich zwei Alben auf und ab irgendeinem Punkt machte Brian einen unglaublichen Sprung in seiner musikalischen Entwicklung und Pet Sounds entstand. Ich weiß nicht, was in Brians Kopf vor sich ging, aber sein bester Freund ist sein Bruder Carl Wilson und ich erinnere mich, dass er mir erzählte, dass Brian an neuen Songs arbeitete, während wir in Japan auf Tour waren. Und während all das passiert, während dieser ganzen Zeit, war ich im Grunde nur ein 22-Jähriger Junge mit einem neuen Jaguar XKE, der auf Tour ging, Alben aufnahm, surfte und Mädchen aufriss. Ich hatte keine Ahnung von dem Meisterwerk, dass Brian dort erschuf. Weihnachten 1965, kurz bevor wir nach Japan reisten, war ich bei Terry Melcher und seiner Mutter (Doris Day) und wir hörten das neue Beatles Album Rubber Soul. Auch Brian, Mike und John Phillips (von The Mamas and The Papas) waren dort. Brian fand, dass Rubber Soul ein großartiges Konzeptalbum war und das hatte einen großen Einfluss auf seinen Ansatz für Pet Sounds.”
Da Brian zu Hause geblieben war, um an den Songs für Pet Sounds zu arbeiten, rekrutierte er die besten Sessionmusiker, die Los Angeles zu bieten hatte (die Wrecking Crew). Die ausgefeilten Aufnahmen, die Brian dort arrangierte, waren dem, was andere Popgruppen zu der Zeit machten um Lichtjahre voraus.
"Eines Tages sagte Carl zu mir, ich müsste unbedingt ins Studio kommen, denn Brian arbeitete an etwas Großartigem, größer als wir es je gemacht hatten. Als ich die Tracks hörte, ging ich einfach davon aus, dass Mike die Texte schrieb. Ich kam gar nicht auf die Idee, dass Tony Asher viele der Texte für Pet Sounds schrieb; gelegentlich kam Tony ins Studio und er war ein sehr netter Typ."
Die Gesangsaufnahmen für Pet Sounds begannen im Februar mit Hang On To Your Ego, aus dem später I Know There’s An Answer wurde, gefolgt von Don’t Talk (Put Your Head On My Shoulder). Vier Tage später, nach dem Fotoshoot für das Pet Sounds-Cover im Zoo von San Diego, sangen alle Beach Boys ihre Beiträge für That’s Not Me ein. Bruce taucht übrigens nicht auf dem Frontcover auf, da er selbst als Künstler bei Columbia Records unter Vertrag stand. Aber man sieht ihn auf den Schwarz-weiß Fotos auf der Rückseite.
“Ich war völlig verblüfft von der Tiefe von Brians Material und dann die fantastischen Harmonien, die er sich für uns ausdachte. Die Backingtracks früherer Beach Boys Songs waren recht einfach gestrickt. Es war ein Sprung von ihrem Surfsound zu Don’t Talk (Put Your Head On My Shoulder), I’m Waiting For The Day, Here Today und Caroline No. All diese Melodien ergossen sich aus Brian. Brian hat ein Ohr für komplizierte Harmonien und das überträgt sich natürlich auf seine Fähigkeiten als Komponist und die fantastischen Backing Vocals, die wir singen. Mir wurde klar, dass Brian mehr im Sinn hatte als nur Hits, Hits, Hits zu schreiben. Was mir schon damals auffiel, war die Ernsthaftigkeit von Pet Sounds, die wunderschöne Ernsthaftigkeit.”
Für Bruce, und für die meisten von uns, ist God Only Knows eines der Highlights auf Pet Sounds. Die Arbeit für den Backingtrack dieses Songs begann am 8. März 1966, dem Tag nach der Veröffentlichung von Caroline No auf Capitol, welches allerdings unter dem Namen Brian Wilson und nicht The Beach Boys erschien.
“Vor den Beach Boys hatte ich noch nie auf der Bühne Harmonien gesungen. Aber wenige Monate nachdem ich bei der Band eingestiegen war, stand ich mit ihnen auf der Bühne und im Studio. Anfang 1966 nahm ich schon mein drittes Album mit den Beach Boys auf (Pet Sounds). Einmal, nachdem wir zwei Stunden an God Only Knows gearbeitet hatten, betrat ich das Studio und musste mich erstmal kneifen: Dort arbeitete Brian mit Don Randi und noch ein paar Musikern von der Wrecking Crew am Klaviersound, und das sind alles wahnsinnig gute Jazzmusiker. Als ich hereinkam, bearbeitete Brian gerade die Saiten des kleinen Flügels mit Klebeband, um den richtigen Sound zu bekommen. Heutzutage hat man Synthesizer und kann sich den perfekten, harten Staccato-Sound herstellen. Ich stand da und dachte, was ist denn hier los, aber ich blieb cool und sagte nichts. Ich sah nur zu (und lernte). Das Abklebeband auf den Klaviersaiten von God Only Knows bringt den perfekten abgehackten Staccato-Sound; dazu noch ein paar Hörner und ein winziger Streichersatz – es war alles sehr unkonventionell und wundervoll. Ich war Produzent bei Columbia Records gewesen und hatte viele Studiosessions mit großen Orchestern in einem großen Studio erlebt und ich dachte, wie soll das in dem winzigen Western Studio 3 funktionieren, da gibt es ja kaum Platz zum Sitzen! Ich hörte zu, wie God Only Knows Formen annahm und auf den Demos kann man hören, wie alles in die Schlagzeugmikros dringt, aber es klang total cool.”
“Der Song God Only Knows ist perfekt geschrieben, die Aufnahme ist fantastisch (mit nur zehn Textzeilen) und es passt einfach alles! Brian hat Pet Sounds in mono abgemischt, weil sein Gehör geschädigt ist – er kann kein Stereo hören –, es mangelt ihm mit Sicherheit nicht an Talent. Wir hatten zwei oder drei Sessions, um den Gesang für God Only Knows aufzunehmen und bei einer davon stießen Marilyn (Brians Frau) und ihre Schwester Diane dazu und sangen zusammen mit der ganzen Band und Terry Melcher den Schlussteil der Backing Vocals. Es war wie töpfern. Du bringst den Ton in Form und es sieht toll aus, aber irgendwie hast Du das Gefühl, etwas stimmt nicht, und dann haust Du ihn wieder zu einem feuchten Klumpen Ton zusammen. Genauso machte es Brian mit God Only Knows.
Zum Schluss machten wir noch eine Aufnahme, auf der nur Carl die Leadvocals singt und dann Carl, Brian und ich die Bridge und das Ende. Gegen Ende dieser Session begann Carl den Schlussteil zu singen, aber seine Stimme klang etwas müde, also sagte Brian zu Carl: ‘Warum gehst Du nicht einfach nach Hause und ich singe den letzten Teil Deines Vocalparts und meinen eigenen, und Bruce kann seinen Gegenpart singen’. Jahre später wurden für eine Stereoversion von Pet Sounds Carls Originalvocals für das Ende des Songs ausgegraben und ersetzen jetzt Brians Stimme von der originalen Monoaufnahme. Warum stellt jemand die Entscheidung des Originalproduzenten Brian Wilson in Frage? Für mich ist das, als würde man Citizen Kane nachcolorieren … Perfektion sollte man nicht anrühren.”