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Der historische Verriss: „Automatic For The People“ von R.E.M.

Auch Expert*innenen können manchmal mächtig daneben liegen. In dieser Reihe stellen wir vernichtende Plattenkritiken von großen Alben der Musikgeschichte vor, fatale Fehlurteile, die aus heutiger Sicht mindestens merkwürdig wirken. In dieser Ausgabe geht es mal wieder um R.E.M., die alten US-Alternative-Helden, die zu Beginn der 1990er-Jahre endgültig zu einer großen Mainstream-Rockband wurden. 1992 wurde ihr Meisterwerk Automatic For The People im legendären deutschen Musikmagazin Spex von Mark Terkessidis, einem der intelligentesten Pop-Journalisten seiner Zeit, so richtig abgewatscht. Nicht unbedingt klar verständlich, aber unmissverständlich hart. Wir begeben uns auf Sinnsuche.

Hört euch hier Automatic For The People an und lest weiter:

 

Spätestens seit dem unglaublich erfolgreichen Out Of Time aus dem Jahr zuvor hatte die anspruchsvollere Musikpresse mit R.E.M. abgeschlossen, oder zumindest die Hoffnung aufgegeben. Der Stachel saß tief: Was war nur aus dieser einst brillanten Band geworden? Dieser Band, die so wichtig für US-Indie-Rock war, die am Ende auch Nirvana ermöglicht hat. Kurt Cobain war schließlich ein riesiger Fan. Klar, Automatic For The People war das ruhigste und angenehm klingendste Album, das R.E.M. je gemacht hatten. Doch für den Autor klingt hier durch die Entwicklung der Band schon von vorne herein alles gescheitert, müde und tot. Schon die ersten Sätze dieser Kritik sind eine Verweigerung vor der Platte. Und wer ist eigentlich Tanita Tikaram? Eine längst vergessene Folk-Sängerin. Allein dieser Vergleich ist in seiner Beliebigkeit fies und vernichtend. Das Urteil ist gefällt, auch wenn die Rezension zunächst eine kleine positive Wendung nimmt:

Okay, Mark Terkessidis hat einfach ganz generell die Nase voll von Michael Stipe. Hätte er diese Gehässigkeit nicht so verinnerlicht, hätte er ganz klar hören können, mit wie viel Gefühl der Sänger hier operiert, ohne je übertrieben melodramatisch zu werden. Das Phantom der Oper? Die lächerlichsten Beleidigungen sind letztendlich doch diejenigen, die am härtesten treffen. Die sich von R.E.M. verraten wähnende Indie-Fraktion nimmt Stipe kein Gefühl und kaum einen ernsthaften Gedanken mehr ab, seit er seine Band vor allem mit dem Album Green in eine unangenehm moralische Richtung gelenkt hat. R.E.M. waren für viele schon längst die amerikanische Version von U2. Aber ganz ehrlich, wo bleibt denn da die Musik? Automatic For The People ist, und da sind sich sehr viele Menschen einig, eine vollendete Platte, vielleicht die beste, die R.E.M. je gelungen ist. Doch für den hier wütenden Kritiker ist die Musik nicht stark genug, um den Kontext zu übertönen:

Damit endet die Rezension und wir sind so richtig geplättet: Warum zum Geier denn jetzt Westernhagen und Peter Gabriel? Versuchen wir das zu entwirren: Westernhagen also wegen „sexy“, und der ganze Rest von Automatic For The People klingt nach Peter Gabriel? Wie auch immer, aber dass es hier eine Beleidigung nach der anderen für Michael Stipe und Co. hagelt, ist wohl recht eindeutig. Verständlichkeit würde diese Kritik ja auch nur halb so lustig machen. Im Rückblick ist gerade zu irrwitzig, dass The Sidewinder Sleeps Tonight als der große Hit bezeichnet, Everybody Hurts und Man On The Moon aber nicht einmal erwähnt werden. Allein das spricht schon dafür, dass Herr Terkessidis diese Platte wohl völlig falsch gehört hat. Wobei: Er wollte ihr eigentlich überhaupt keine Chance gegeben. So geht schließlich ein ordentlicher Verriss: grob, gemein und irrational. Es sei ihm verziehen. Aber das mit Westerhagen und Peter Gabriel hätten wir doch gerne noch mal erklärt bekommen.

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