Auch Experten können manchmal mächtig daneben liegen. In dieser Reihe stellen wir vernichtende Plattenkritiken von großen Alben der Musikgeschichte vor, fatale Fehlurteile, die aus heutiger Sicht mindestens merkwürdig wirken. Dieses Mal geht es um eine Platte, die letztes Jahr 40-jähriges Jubiläum feierte: News Of The World von Queen. 1977 erschien auch das Debütalbum der Sex Pistols, die dieses zeitgleich und im selben Studio aufnahmen wie Queen News Of The World. Hier die Punk-Revoluzzer, da die großen Hardrock-Diven – ein Gegensatz, den Bart Testa in seiner Kritik für den Rolling Stone zum Anlass nahm, um Queen durch den Kakao zu ziehen. Die reichen Rockstars und ihre kitschigen Überwältigungskompositionen – wer braucht das schon?
Auch wenn die Rezension unscheinbar beginnt, eher beschreibend statt wertend, schwingt in diesen Worten doch ganz klar mit: Der Kritiker findet das alles unerträglich, was er da hört. Eigentlich meint er: Wir leben im Jahr 1977, wer braucht da Reminiszenzen an das britische Weltreich, romantische Crescendos und Chorgesänge? Tradition? Punkrock ist gerade dabei, die olle Tradition auszuradieren, mindestens im Rock. „Elaborierte Musik“, sprich der Bombast-Rock von Gruppen wie Yes oder eben Queen, ist dem Untergang geweiht. Diesen Generationskampf deutet Bart Testa hier schon an, wird aber im nächsten Absatz sehr explizit:
Man muss vollstes Verständnis für jemanden haben, der News Of The World zum ersten Mal hört: Es beginnt mit We Will Rock You, gefolgt von We Are The Champions. Das ist, neben Bohemian Rapsody, Queen in einer Nussschale, die volle Breitseite Power und Pathos. Das muss einen in die Knie zwingen, diese kreative Gewalt und gewaltige Kreativität. Das verleitete wohl auch viele Kritiker damals, Queen musikalischen Faschismus vorzuwerfen, auch diese Rezension ist gespickt mit derartigen Anspielungen – Neue Weltordnung, Riefenstahl, einmarschieren und so weiter.
Ein weiterer Vorwurf, den Bart Testa Queen macht, ist aber grundlegend falsch: Er schreibt hier, dass Queen im Prinzip technisch nicht viel mehr drauf haben als die meisten Punkbands, außerdem kritisiert er die Anbiederung an Punk, die Queen auf News Of The World angeblich vollziehen. Tatsache ist, dass keine der großen Rockbands der 1970er besser auf Punk reagierte als Queen. Das hört man in Sheer Heart Attack, aber auch in anderen Songs. Queen beherrschen den oft auch nackten, furiosen Sound, solche Tendenzen waren auch auf früheren Queen-Platten schon zu erkennen. Auf News Of The World brachte die Band ihren Sound perfekt mit dem Zeitgeist in Einklang, ohne auf ihre übliche Grandezza zu verzichten. Auch wenn der Kritiker dem Album eigentlich eine komplette Absage erteilt, muss er dann doch immer wieder – wenn auch zynisch – eingestehen, dass dieses Album eigentlich alles richtig macht:
Da war der gute Bart wohl immer noch paralysiert von den glorreichen ersten drei Songs, dass die B-Seite so an ihm vorbeigezogen ist. Hier bringen Freddie Mercury und seine Mannen nämlich in bester Queen-Manier ihr typisch ausuferndes Musiktheater in vielen knackigen Songs unter. Diese Stücke textlich auf Begriffe wie „sexuelles Versagen, Starruhm und Langeweile“ zu reduzieren ist natürlich ziemlich hanebüchen. Aber diese Kritik will ja auch gar nicht tiefer einsteigen, sondern verwegene, platte Thesen liefern. Es geht ja um ein Top-Ten-Album einer Band, die gerade vom Zeitgeist überholt wird. Dass dem nicht so war, zeigten Queen mit ihren folgenden Alben. Bei den Sex Pistols reichte es nicht für recht viel mehr als Never Mind The Bolllocks, das übrigens wie News Of The World im Jahr 1977 erschien. Beide Platten sind heute Monumente, die von einer Zeitenwende erzählen, aber auch viele Gemeinsamkeiten haben.
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