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„Pet Sounds“: Die Oscar-Bewerbung der Beach Boys

Mit musikalischen Auszeichnungen verhält es sich wie mit Oscars: Wer immerzu Rollen annimmt, in denen er sexy am Strand rumhängt, vielleicht sogar Leben rettet, der verdient viel Geld, bekommt aber keinen Academy Award. Für solch einen muss schon ein wenig komplexe Charakterentfaltung, die Überwindung von Grenzen und eine gehörige Portion unverschuldetes Leid im Drehbuch stehen. Prädestiniert sind zum Beispiel kaputte und vereinsamte Ölmultimillionäre (wie Daniel Day-Lewis in There Will Be Blood) oder ein stotternder englischer König (Colin Firth in The Kings Speech).

Hier könnt ihr Pet Sounds der Beach Boys hören:

Die Brüder Brian, Dennis und Carl Wilson sowie Cousin Mike Love und Schulfreund Alan Jardine, die zusammen The Beach Boys ergaben, waren lange die hotten aber harmlosen Strandschönlinge der Nation: das Haar von Salz und Sonne ausgebleicht, im Kleiderschrank hauptsächlich Boardshorts und stets grinsend, braun gebrannt und mit Surfboard unterm Arm anzutreffen. Wie keine andere Band der Welt lebten sie den kalifornischen Traum, der besonders an der kühlen Ostküste die Sehnsucht nach heißen Strandtagen stillte. „Life’s better in Boardshorts“, lautet das Firmenmotto einer großen Surf-Marke. Die Beach Boys lieferten für dieses Motto den passenden Soundtrack. So jedenfalls kannte man sie Anfang der 1960er Jahre. Dabei blieben sie konservativ genug in ihren Songtexten, damit ihre Musik trotz Hang-loose-Motto auch noch was für die Oma war.

Ein historischer Moment

Dann kam im Jahr 1966 Pet Sounds, ein Album, das trotz verhaltener erster Reaktionen von Musikwissenschaftler*innen heute zu einem der einflussreichsten überhaupt gezählt wird und zudem eine der ersten Konzept-Platten großer Bands war – in diesem Fall geht es jedoch eher um ein klangliches und produktionstechnisches Konzept als um den Inhalt. Die Bibliothek des U.S.-Kongresses nahm das Album mit der Begründung auf, es sei „kulturell, historisch und ästhetisch bedeutsam“. Man könnte sagen, Pet Sounds war die Entwicklung der Beach Boys weg von Baywatch und hin zur Oscarreife. Avantgardistisch und mit einer Masse an unkonventionellen Instrumenten wie Fahrradklingeln, einem Elektrotheremin, Coca-Cola-Dosen oder Hundebellen, stach die Platte sofort aus dem Easy-Listening-Sound der anderen Beach-Boys-Alben heraus.

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Sie war ambitioniert, schräg, disharmonisch und für die damalige Zeit unerhört teuer produziert. Gleichzeitig wurde Pet Sounds immer wieder als eine Soloproduktion von Brian Wilson bezeichnet, der sich ein Jahr zuvor von dem andauernden Touren der Beach Boys zurückgezogen hatte, um mehr zu schreiben und zu komponieren. Pet Sounds ist also fast ausschließlich ein Werk Wilsons, aufgenommen unter seiner Produktionsregie, allerdings eingespielt mit seinen Bandkollegen.

Beach Boys

Wilson und die Drogen

Dementsprechend introspektiv sind die Songs und handeln von Brian Wilsons Gedanken zum Zustand der Welt, der Gesellschaft und seinen Beziehungsproblemen. Der Song You Still Believe In Me handelt vom Thema Treue, I Just Wasn’t Made For These Times behandelt Wilsons Zweifel an der amerikanischen Gesellschaft der 1960er Jahre, I Know There’s An Answer schließlich ist eine Kritik am Drogenkonsum der Hippies. Das mag zunächst verwundern, wurde das Album doch immer wieder zum Genre des Acid und Psychedelic Rocks hinzugezählt, und zu diesem gehört der Konsum von bewusstseinserweiternden Drogen wie der Knochen zum Hund. Aber für Tripp-Erfahrungen waren die Beach Boys dann doch – zumindest zu diesem Zeitpunkt noch – zu brav: Brian Wilson machte gerade erst seine zaghaften ersten Erfahrungen mit Cannabis und LSD. Stattdessen gibt’s eine  gesungene Gardinenpredigt für die Hänger der Nation:

They trip through their day And waste all their thoughts at night Now how can I come on And tell them the way that they live could be better I know there’s an answer I know now but I have to find it by myself

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Wenigstens hat Brian selbst auch keine Antwort, wie es besser laufen könnte. Aber die setzt Kritik ja auch nicht voraus. Das Erstaunlichste an dem siebten Album der sonnenbraunen Wunderknaben von der Westküste ist, dass die Melodien nicht auf Anhieb zum Tanzen einladen oder ins Ohr gehen, das Album aber umso spannender ist. Ein bisschen wie ein unbekanntes Viertel der eigenen Heimatstadt, das man durch Zufall entdeckt und dann erkundet: Alles sieht neu und anders und ungewohnt aus, aber der Himmel ist ja noch der Gleiche. Pet Sounds ist eine Entdeckungsreise durch die musikalischen Welten, durch die Stile, durch die Geschmäcker – auf jeden Fall Oscar-verdächtig!

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