1997 war das Jahr, in dem Paul McCartney in den Charts mit den Spice Girls konkurrierte. Man muss sich das bildlich vergegenwärtigen. McCartney, der Ritter der Rockmusik wurde von einer Gruppe sehr junger, Kaugummi kauender Frauen auf Plateauschuhen an den Kindertisch verwiesen. Nämlich auf Platz 2 der britischen Albumcharts, während die Spice Girls wochenlang auf der Eins standen. Nun waren die Spice Girls eine sehr erfolgreiche und sympathische Band, keine Frage. Nur eben nicht Paul McCartney.
Hört euchb hier das Paul McCartney Album Flaming Pie an und lest weiter:
Wenden wir uns besagtem Album zu, mit dem McCartney auf dem zweiten Platz landete. Es handelt sich um sein siebtes Soloalbum Flaming Pie, das er in den Jahren 1995 und 1997 mit einigen seiner Familienmitgliedern aufgenommen hatte, unter anderem mit seinem Sohn und seiner Frau Linda. Zwei Songs sind sogar noch älter: Calico Skies und Great Day, auf dem seine Frau Linda Backing Vocals singt, stammen aus dem Jahr 1991.
McCartney hatte allen Grund, sich Zeit zu lassen mit dem Album. Gerade hatte er gemeinsam mit George Harrisson und Ringo Starr die extrem erfolgreiche Beatles Anthology herausgebracht, eine TV-Dokumentation, die 1995 gleichzeitig mit drei Doppel-Alben und einem Buch erschienen war. Die Beatlemania ging dadurch in eine neue Runde, gerade junge Menschen, die die Beatles nicht von ihren Anfängen her kannten, fingen an, die Band intensiv zu hören. Und EMI, die damalige Plattenfirma der Band, wollte nicht, dass McCartney während der neuerlichen Beatles-Erfolgswelle ein Soloalbum herausbrachte. Man hatte Angst, es würde zu sehr unter dem Radar laufen. Gut, dachte sich McCartney, lasse ich mir eben Zeit.
Doch hinter verschlossenen Studiotüren begann McCartney im Februar 1995 gemeinsam mit dem Electric Light Orchestra Sänger Jeff Lynne und wenig später auch Beatle Ringo Starr an neuem Material zu arbeiten. Ebenfalls beteiligt war George Martin, der alte Beatles-Produzent, sowie Sohn James McCartney, der etwa auf dem Song Heaven On A Sunday Leadgitarre spielt.
Viele der Songs haben eine nette Entstehungsgeschichte. Im Opener The Songs We Were Singing etwa erinnert sich Paul McCartney daran, wie er mit John Lennon gemeinsam Beatles-Songs schrieb. Wer sich schon immer fragte, wie das wahrscheinlich erfolgreichste Songwriter-Duo aller Zeiten arbeitete:
For a while, we could sit, smoke a pipe
And discuss all the vast intricacies of life
We could jaw through the night
Talk about a range of subjects, anything you like
But we always came back to the song we were singing
At any particular time
Dringend erwähnenswert ist die Zusammenarbeit mit McCartneys Sohn James, der dem Album etwa auf Heaven On A Sunday eine Gitarre leiht, die klingt, als hätte Eric Clapton sie höchstpersönlich eingespielt. Überhaupt erinnern manche Riffs, auch etwa auf The World Tonight, so, als stammten sie direkt aus der Feder von JJ Cale und besagtem Clapton. Das mag schlicht am Zeitgeist der 90er liegen. Es sind jedenfalls die besten Songs des Albums, in denen McCartney entspannte Bluesrockriffs zimmert und rotzig ins Mikro singt. Den Song Really Love You hätte auch ein James Brown genau so singen und schreiben können. Wobei, schmachten kann McCartney natürlich auch, etwa auf Somedays, ein Song, den McCartney schrieb, als er seine Frau Linda, die als Fotografin arbeitete, auf ein Fotoshooting begleitete. Die Zeilen sprechen ganz für sich:
Somedays I look,
I look at you with eyes that shine.
Somedays I don't,
I don't believe that you are mine.
We don't need anybody else
To tell us what is real.
Inside each one of us is love,
And we know how it feels.
Fans und Presse dankten McCartney die Veröffentlichung von Flaming Pie mit den besten Kritiken seit seinem Erfolgsalbum Tug of War 15 Jahre zuvor sowie mehr als 121.000 Verkäufen in der ersten Woche. Auch in den USA war das Album erfolgreich, sowohl in Großbritannien als auch den USA gab es Gold. Der Ozean aus guten Einfällen und endloser Kreativität, auf die McCartney schon sein ganzes Leben zurückgreift, begeistert auch heute noch beim Hören einer solchen Platte. Es unterscheidet einen gewöhnlichen Künstler von einem Ritter der Rockmusik, dass er eben einfach nie daneben liegt mit seinen Einfällen.