Metallica: Welche Schätzchen man in der Deluxe-Box von „…And Justice For All“ findet
platten16.11.18
Nach 30 Jahren haben Metallica ihr viertes Album …And Justice For All neu aufgelegt, frisch remastered und in einer Deluxe-Box-Version mit massenhaft Extras ausgestattet. Wir haben uns genauer angeschaut, was man an Schätzchen und Besonderheiten finden kann.
von Christof Leim
Hört hier in die Neuauflage von Justice rein:
Klickt auf „Listen“ für das ganze Album.
Die Neuauflage
Mit …And Justice For All können Metallica 1988 trotz komplexer Songs und eines rüden, durchaus umstrittenen Klangbildes einen Verkaufsschlager landen. Die ganze Geschichte des Albums könnt ihr hier nachlesen, alles zu den Songs gibt es hier, und was es mit dem fehlenden Bass auf sich hat, steht hier.
Die Neuauflage gibt es in drei Editionen: das Album alleine als Remaster (CD/LP/MC/Download/Stream), ein 3er-CD-Paket mit ausgesuchten Demos und Liveaufnahmen – und ein Boxset mit 11 CDs, 6 LPs, 4 DVDs, einem großen Buch und ordentlich „Sammelkram“. So setzt die Box also fort, was Metallica in den vergangenen Jahren mit den Neuauflagen ihrer ersten drei Werke angefangen haben. Sie ist ein fettes Teil, fast fünf Kilogramm schwer und etwa so groß wie 28 übereinandergestapelte Schallplatten. Der gesamte Audioinhalt lässt sich über einen Download-Code runterladen und übrigens auch auf Spotify anhören.
Das Remaster
Für das Kernstück der ganzen Angelegenheit wurden alle neun Songs von Blackened bis Dyer’s Eve neu gemastert. Dadurch knallt die Platte ein bisschen mehr, ihr grundlegender Sound hat sich allerdings nicht geändert.
Die Box bietet die Neuauflage als CD-Digipak und als Doppel-LP mit zwei Songs pro Seite – wie früher. Ein interessantes Detail: Auf der Auslaufrille der schwarzen Scheiben findet sich die Gravur „Made on the MetalliPress“, denn die Band besitzt eine eigene Vinylpresse, wie Kirk Hammett in seinem Unboxing-Video erzählt (siehe unten).
Die Schätzchen
Für einen geschmackssicheren Metallica-Freak gibt es einiges zu finden, zu hören und zu gucken. Drei Höhepunkte lassen sich dabei ausmachen:
- Das Buch: Geschichten, Fotos, Einblicke
- Live In Seattle ’89: ein neues, sehr gutes Livealbum
- Die Demos: Wie der Bass scheppern kann…
Schätzchen #1: Das Buch
Fotos, Fotos, Fotos: Der 120-seitige Schinken beeindruckt vor allem mit haufenweise coolen Bildern. Ob im Studio, auf der Bühne, hinter den Kulissen, bei Parties, bei „richtigen“ Sessions, im Eis oder auf Gebirgen – Fotograf Ross Halfin war immer dabei. Was man feststellen kann: Schon damals sah Hetfield auf der Bühne aus, als wäre er acht Meter groß, ansonsten schneidet er meistens blöde Grimassen. Außerdem wirken alle vier nicht selten noch ziemlich jung (was sie ja auch waren), fast immer haben sie Metal-Shirts an, und Lars trägt genaugenommen einen Vokuhila.
Das Buch begleitet die Entwicklung von den Aufnahmen ab 3. Januar 1988 bis zum Ende der Damaged Justice Tour am 7. Oktober 1989. Es findet sich viel Schnipselkram wie Grafiken, Poster, Magazine, Promotexte und Shirts. Die Notizen aus dem Studio, Songarrangements und Detailanweisungen von Kirk zeigen: Das war echt Fummelei damals in in Prä-Digital-Zeiten.
Die Justitia vom Gerechtigkeitsbrunnen in Frankfurt diente unter anderem als Vorbild für das Cover von „Justice“Jede Menge Zeitzeugen kommen zu Wort, angefangen mit Produzent Flemming Rasmussen, der das Projekt retten musste, und Mike Clink, den er ersetzte. Steve Thompson und Michael Barbiero, damals verantwortlich für den Mix, nennen die Streitereien über den Sound diplomatisch „kreative Differenzen“, Toningenieur Toby Wright eröffnet, dass Lars bei The Shortest Straw zum ersten Mal Backing Vocals gesungen hat. Wir erfahren auch, dass ein Vorbild zur Statue auf dem Cover in Frankfurt steht, wie Metallica mit dem One-Video erfolgreich ihren Kopf durchgesetzt haben, und was damals die zehn Lieblingsplatten der Musiker waren. Zu Wort kommen Sammy Hagar (Van Halen), Jim Martin (Faith No More), Pushead (Metallica-Grafiker), diverse Mitglieder der Crew, Haus- und Hoffotograf Ross Halfin, Metallica-Intimus Steffan Chirazi und etliche mehr.
Immer wieder ein Thema sind die gute Leistung von Jason Newsted im Studio, die man bekanntermaßen nicht hört, ebenso sein bemerkenswertes Rückgrat in einer allgemein schwierigen Situation nach dem Tod seines Vorgängers Cliff Burton. Leider aber kommt Newsted in diesem Buch nicht zu Wort. (Allerdings veröffentlicht der Metallica-Online-Fanclub ein ausführliches Gespräch mit dem Bassisten.)
Schätzchen #2: Live In Seattle ‘89
Dieses Konzert wurde 1993 schon als Video in der Live Shit: Binge & Purge-Box veröffentlicht – und gilt vielen Fans als eines der besten Metallica-Livedokumente überhaupt. Die Band steht hier echt in Flammen, spielt messerscharf, knüppelhart und mit Groove – da konnte damals niemand mithalten. Nun gibt es diese Show jetzt endlich offiziell zum Hören als Dreifach-Vinyl und mp3, für die Streaming-Freunde auch auf Spotify.
Man kann es auch so formulieren: Mit Live In Seattle ’89 haben Metallica ein geiles neues Livealbum aus ihrer womöglich besten Zeit veröffentlicht. Das fängt schon mit der großartigen Setlist an. Man höre nur den Doppelschlag Blackened/For Whom The Bell Tolls am Anfang oder den Übergang von To Live Is To Die in Master Of Puppets. Zudem hört man The Thing That Should Not Be live eher selten.
Schätzchen #3: Demos und James’ Riff Tapes
Erneut haben Metallica tief in ihren Gerümpelkisten gewühlt und drei CDs mit Aufnahmen gefüllt, die die Entstehung der Songs skizzieren – was zugegebenermaßen vor allem Musiker und Vollnerds begeistern dürfte. Es fängt an mit Hetfields Riff Tapes, die oft nur kleine Fragmente enthalten, aus denen nachher die berühmten Lieder entstanden sind. Es klingt lustig, wie zurückhaltend unser Mann zu rudimentären Sequenzen die späteren Gesangsmelodien summt, als säße er nachts neben seinem Kassettenrekorder und dürfte die Mama nicht wecken.
Zum Teil klingen die Arbeitsproben der Writing In Progress-Versionen noch anders als später, ein Justice-Bausatz quasi. So hingen Eye Of The Beholder und Harvester Of Sorrow mal wie ein Mash-up zusammen in einem Track, oder es hatte der Titelsong einen etwas anderen Chorusgesang. Richtig interessant wird es für die Metalli-Freaks bei den fast fertigen Demos und vor allem den Rough Mixes aus dem Studio. Deren Sound wirkt zwar noch ein bisschen unrund manchmal, auch fehlen Soli oder Vocals, aber hier scheppert der Bass, dass man fast „Hallo Jason!“ rufen möchte.
Und sonst? Live-Mitschnitte!
Die Anzahl der angebotenen Liveaufnahmen üppig zu nennen, wäre eine Untertreibung. Wir haben mal gezählt: Als Audio oder Video finden sich 134 beim Konzert mitgeschnittene Songs. Natürlich hört man die meisten Lieder davon mehrfach (etwa Blackened, One, Puppets oder Seek & Destroy), was ziemlich rasch Abnutzungserscheinungen mit sich bringt. Allerdings finden sich hier auch selten gespielte Nummern wie Eye Of The Beholder, The Shortest Straw und Leper Messiah.
West Hollywood, Mai 1988
Los geht’s mit einer Aufnahme aus dem nur 500 Leute fassenden Troubadour in West Hollywood. Dort absolvieren Metallica zwei Warm-up-Shows für die Monsters Of Rock-Tour, eine davon unter dem Decknamen „Frayed Ends“. Der Sound fällt gewöhnungsbedürftig aus. Damals sind weder das Album noch die erste Single Harvester Of Sorrow erschienen, doch der Song steht schon auf der Setlist. Die Version von Whiplash fällt an diesem Abend so unfassbar schnell aus, dass Kirk sich im Unboxing-Video fragt, „welche Vitamine“ die Band wohl genommen hat. Nicht wenige Fans vermuten daraufhin, diese „Vitamine“ seien sicher von weißlicher Farbe gewesen und durch die Nase eingenommen worden, aber Details bleiben natürlich (k)ein Geheimnis.
London, Oktober 1988
In das legendäre Hammersmith Odeon in der britischen Hauptstadt passen 3500 Fans, und Metallica spielen gleich dreimal hintereinander. Die Tour läuft da schon einen guten Monat, die Metal-Maschine rollt mit Macht, aber aber mehr als Bootleg-Qualität ist leider nicht drin. Seltenes im Programm: Damage Inc. und Battery.
Long Beach, Dezember 1988
In den USA gelten Metallica damals schon als echte Stadion-Headliner, deshalb spielen sie Ende 1988 in der über 13000 Menschen fassenden Long Beach Arena. Und ja, das ist genau der Laden, in dem Iron Maiden Live After Death aufgenommen haben („Scream for me, Long Beach!“). Auch hier zeigt die Band ein bemerkenswertes Energieniveau und spielt vermutlich mehr Justice-Songs als jemals sonst bei einer Show, nämlich vier. Qualität: mittel.
Die B-Seiten
Es gibt nicht viele. Zwei Coversongs hatten Metallica aufgenommen, nämlich Breadfan von Budgie und The Prince von Diamond Head. Die finden sich hier auch in neu gemasterter Form. Wusstet ihr, dass es außerdem sogenannte „Radio Edits“, also gekürzte Versionen, von drei Songs gibt? Bei Metallica heißt das allerdings, dass Eye Of The Beholder, One und …And Justice For All „nur noch“ fünf bis sechs Minuten lang sind. Wer die Tracks gut kennt, wird sich über fehlende Einzelteile wundern.
Der Vollständigkeit halber seien noch die damaligen Single-B-Seiten erwähnt, acht Mitschnitte, die von einem Gig in Texas (Februar 1989) und eben jenem Seattle-Konzert (August 1989) stammen – und zu den besseren Liveaufnahmen in dieser Box zählen.
Die DVDs
Zum Gucken gibt es einiges auf den vier DVDs mit vielen Konzertpassagen, Backstage-Unsinn und Reportagen.
And Camcorders For All:
Dieses Segment stammt aus Lars Ulrichs Privatsammlung, der Name ist Programm. Das produziert vor allem Zappel-Footage, was an die Pantera-Homevideos erinnert, außer dass hier weniger kaputt geht. Wir sehen zum Beispiel, wie Lars unter der Hallendecke rumklettert, außerdem Unsinn im Flugzeug, Hetfield mit einem ferngesteuerten Auto, der beeindruckende Zusammensturz der Justice-Statue und die Stimmung nach dem allerletzten Gig (die so gut ist, dass Hetfield Fotograf Halfin spontan die Schläfen kahlrasiert). Das wirkt alles ganz amüsant, die immer wieder gleichen Songs dazwischen in höchstens Bootleg-Qualität braucht man nicht.
Das One-Video:
Muss man haben, muss kennen. Hier gibt es nun alle Versionen gesammelt inklusive einer „B-Roll“mit alternativen Auftritten und dem Auftritt bei der berüchtigten Grammy-Verleihung.
Mehr Konzerte:
Ordentlich Spaß macht die Aufzeichnung aus Mountain View vom September 1989: Wir sehen die Justice-Produktion in voller Pracht, die Band geht ab wie nix, vor allem James und Jason, und die Qualität kann man durchgehen lassen.
Das Konzert aus Newark in Delaware vom August 1989 fällt aus dem Rahmen: Metallica spielen hier in einem 1000er-Club, einer College-Bar namens Stone Balloon. Etwas Größeres ließ sich in Delaware nicht finden, aber Lars wollte unbedingt in allen 50 Bundesstaaten auftreten. Metallica feiern die Gelegenheit erstens mit einem Old School-Set mit vielen Songs von Kill ‘Em All, zweitens angeblich mit großzügigem Alkoholausschank bei der Arbeit. Geprobt wird in der Garderobe mit einem Stuhl als Drumkit, und wir wissen jetzt auch, dass Ulrich damals zwei Paar Tennissocken bei dem Trommeln getragen hat. Hurra.
Ansonsten gibt es ein paar rohe Mitschnitte von besagter Monsters Of Rock-Tour im Sommer 1988, bei der Metallica nachmittags als zweite Band auftreten mussten. Das hält die Musiker allerdings nicht davon ab, richtig Alarm auf der Bühne zu veranstalten, und ab 15 Uhr war dann Biertrinkzeit. Die folgende Band Dokken hatte damals regelmäßig einen richtig schweren Stand, aber bei dieser Show steht Dokken-Drummer Mick Brown am Bühnenrand und hat sichtlich Spaß mit Whiplash. Immerhin.
Doku und Interviews:
Wer bis hierhin immer noch nicht genug bekommen hat, darf sich noch über eine Reportage namens Justice On Wheels freuen, für die ein Kamerateam die Reisegruppe besucht hat. Das Filmchen wurde zwar bereits veröffentlicht, aber die Interviews mit Band und Crew erlauben erneut Blicke in den mentalen Maschinenraum der Metallica-Tour. Grundtenor: Es ist der Band immens wichtig, ihr eigenes Ding durchzuziehen und es anders zu machen als die anderen Kinder, woraus resultiert eine grundlegende „Fuck You“-Attitüde resultiert. Des Weiteren spricht der renommierte japanische Rock-Journalist Masa Ito mit allen vier Mitgliedern getrennt und produziert so ein nettes Zeitdokument. (Wir könnten wetten, dass Lars während des Gesprächs mit einem ordentlichen Kater kämpft.)
Das Sammelzeug
Wie schon bei den ersten drei Boxen haben Metallica viel Kleinkram in die Box gepackt, den wir mal „das Sammelzeug“ nennen wollen. Dazu gehört eine Picture Disc von One mit der ebenso bekannten wie coolen Pushead-Grafik, die Kirk „Stumpy“ nennt, ein Pushead-Druck von Shortest Straw, ein Tourpass mit Setlist, vier Patches und eine Mappe mit Drucken von Hetfield handschriftlichen Texten. Sammler werden also versorgt.
Fazit
Mit der Deluxe Box von …And Justice For All kann man sich eine ganze Weile beschäftigen. Es freut das Fan-Herz, in die Welt von Metallica vor 30 Jahren eintauchen zu können. Viele Liveaufnahmen wiederholen sich zwar, weil Metallica ihre Setlisten damals noch wenig variierten, auch reicht die Qualität manchmal nicht aus, mehr als historisches Interesse zu befriedigen. Doch die drei Schätzchen – Buch, Seattle, Demos – alleine bringen großen Spaß, das schmucke Gesamtpaket ohnehin. Mehr Justice geht dann aber echt nicht.