Aber hallo, hier war wohl jemand in den Farbtopf gefallen. Die Stones präsentierten sich auf dem Cover von Dirty Work aus dem Jahr 1986 der damaligen Mode entsprechend in quietschbunten Outfits. Das passte farblich bestimmt gut zur abstrakten Pop-Art an der Wand einer klischeehaften Designer-Loft der 80er-Jahre. Aber der Schein trügt: Die Stones rockten auch im kitschigen Pop-Jahrzehnt so, wie man sie kennt und liebt. Allerdings ist Dirty Work, das 18. Studioalbum der Stones, eine dieser Platten, die in der langen und mit Meilensteinen gepflasterten Karriere dieser legendären Band zwangsläufig als „durchschnittlich“ gehandelt werden. Zumindest finden das manche Kritiker und bestimmt auch der ein oder andere Fan. Aber was bedeutet das eigentlich?
Hör hier schon mal in Dirty Work rein, zum ganzen Album kommst du über den "Listen"-Button:
Das Album würde verkrampft klingen, die Songs wären unausgeglichen und unmotiviert vorgetragen, die Produktion sei zu glatt und typisch für die Achtziger, heißt es in manchen Kritiken. Klar: Wenn man schon ein paar mal die Rockmusik revolutioniert hat, muss man sich auch allerhöchsten Ansprüchen stellen, und die Stones mussten nach einer dreijährigen Bandpause, nach der die Spannungen zwischen Jagger und Richards immer noch nicht aus der Welt waren, auch mal wieder ordentlich abliefern.
Dirty Work sollte eine Rückkehr zu den Rock&Roll-Wurzeln der Band sein, und man muss gar nicht so genau hinhören, um das zu bestätigen: Schon beim forschen und tighten Opener One Hit (To the Body) ist man Jaggers Ausbrüchen und Richards’ Riffs verfallen, und zwei Lieder später wartet mit einer Cover-Version der Soul-Nummer Harlem Shuffle schon der nächste moderne Stones-Klassiker. Die meistens recht harte Gangart der Platte wird immer mal wieder gebrochen, wie von der Reggae-Nummer Too Rude oder dem Schunkler Sleep Tonight, bei denen übrigens Keith Richards zwangsläufig den Gesang übernahm. Mick Jagger war während der Aufnahmen zu sehr damit beschäftigt, Promo für sein erstes Soloalbum zu machen, also musste Keith im Studio den Laden zusammenhalten. Es sind wahrscheinlich diese kleinen Ungereimtheiten, die diese Platte für manche zu einem eher unvollkommenen Stones-Werk machen.
Aber halten wir fest: Musikalisch ist Dirty Work eigentlich große Klasse. Andere Bands wären damit berühmt geworden, bei den Stones muss es sich eben mit Let It Bleed und anderen Meisterwerken messen lassen. Viel wichtiger ist Dirty Work aber aus einem anderen Grund: Es war die letzte Platte, an der Ian „Stu“ Stewart mitwirkte, Pianist und Gründungsmitglied der Stones, der von 1964 bis 1986 auf jedem Album (außer Beggars Banquet) spielte. Der sechste Stone passte wegen seines markanten Kinns leider nicht so gut ins gewünschte Schönheitsbild der Band, deshalb strich ihn Manager Andrew Loog Oldham aus dem Lineup und platzierte ihn hinter den Kulissen. Wie wichtig er trotzdem für die Band war, musikalisch und menschlich, das betonten alle Beteiligten immer wieder. Keith Richards etwa sagte, Stu sei die Person gewesen, die die ganze Truppe in schwierigen Zeiten zusammengehalten habe. Und solche Zeiten gab es oft.
Die Stones mit Stu (ganz links) im Frühling 1963Noch vor Veröffentlichung von Dirty Work verstarb Stewart völlig überraschend an den Folgen eines Herzinfarkts, im Dezember 1985 mit nur 47 Jahren. Das einzige Mitglied der Band wohlgemerkt, das die Finger strikt von jeder illegalen Substanz ließ. Mit persönlicher Widmung auf der Innenseite des Covers verabschiedeten sich die Stones von ihrer guten Seele und ließen Stu mit dem letzten Stück Key To the Highway noch ein letztes Mal seinen unnachahmlichen Boogie Woogie anstimmen. Alleine deshalb gebührt dieser Platte ein ganz besonderer Platz in der Diskographie der Stones. Ruhe in Frieden, Stu!