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Foto: Universal Music

Widersprüche, Wandel, Wachstum: So klingt Fletchers neues Album „Would You Still Love Me If You Really Knew Me?“

Was steckt hinter den Masken, die man im Alltag aufsetzt? Hinter den Erwartungen, Widersprüchen und den überraschenden Wendungen, die man an sich selbst und anderen erlebt? Auf Would You Still Love Me If You Really Knew Me? stellt Fletcher genau diese Fragen. „Would you still love me while the supernova’s dying?“, fragt sie am Ende ihres Albums. Eine große, fast kosmische Frage, hinter der ein tief menschliches Bedürfnis steckt: geliebt zu werden. Nicht trotz der eigenen Widersprüche – sondern wegen ihnen.

Einer der Schlüsselmomente auf dem Album ist der Song Boy. „I kissed a boy“, singt Fletcher – eine sehr simple Zeile, die in ihrer Wirkung umso komplexer ist. Denn direkt danach folgt der entscheidende Zusatz: „And I’m still proud to be queer.“ Boy handelt von einer unerwarteten Liebeserfahrung – und wurde im Netz entsprechend intensiv diskutiert. Das steht für Fletcher jedoch in keinerlei Widerspruch zu ihrer Identität oder ist gar eine Absage an Queerness, sondern ist einfach eines der Dinge, die einem das Leben unerwartet entgegenschleudert. „It wasn’t on your bingo card this year / Well, it wasn’t on mine“, singt sie etwa. 

Nach der Party

Auf Would You Still Love Me If You Really Knew Me?, einem introspektiven, sensiblen Popalbum, ist das Leben nicht immer eine nicht endenwollende Party. Die Glitzerwelten gibt es, aber genau so die Trümmerfelder und Fragezeichen. In Don’t Tempt Me… liegt der:die Protagonist:in auf dem Hotelteppich, unfähig weiterzumachen, Auswege abwägend, und fleht: „God, please save me / Mom and Dad, if I leave, would you be proud of your baby still?“

Fletcher im Circle Store:

Oder in Chaos: Da singt Fletcher über den inneren Ausnahmezustand, der sich trotz allen möglichen Kontrollversuchen einfach nicht mehr bändigen lässt. „There’s an earthquake in my mind / While the wildfires burn outside“, singt sie darin. Und: „When the world gets quiet and everybody's dreaming / I stay up late so I can finally hear myself think / When I'm far from home, I, I call up God on the telephone / I say ‚Hey, there girl, I don't know what I'm doing / Think I made a mess of my life, my soul is twisted up in ruins I feel so alone,‘ /and the silence feels like a dial tone“.

Lernprozess

In The Arsonist meditiert Fletcher über die Selbstsabotage früherer Tage. „Now that I'm older, I can't afford to blow up my life every time I get bored“, singt sie. Vielleicht ist das eine der Schlüsselerkenntnisse des Albums: dass man nie aufhören wird, Fehler zu machen oder ins Schleudern zu kommen. Aber dass das kein Grund ist, alles gleich explodieren zu lassen – oder sich selbst aufzugeben.

In Good Girl / Gone Girl stellt Fletcher dieses Spannungsfeld zwischen Erwartungen und tatsächlichen Entwicklungen in den Vordergrund. Das zeigt alleine der Titel, der Erwartung und Emanzipation von dieser gegenüberstellt. Und dann ist da in Chaos die Zeile: „I miss the Jersey girl I used to be“. Erinnerungen an vergangene Tage und wie sehr sich alles verändert hat.

Would You Still Love Me If You Really Knew Me? ist ein tiefemotionales Album über Veränderung, Identität, Wachstum, Distanz und Nähe. Es geht um das Aushalten von Widersprüchen, um das Loslassen, aber auch das Akzeptieren von Erwartungen – und um den Lernprozess, die eigenen Brüche, Sehnsüchte und Verzweiflungen nicht nur auszuhalten, sondern als Teil der eigenen Geschichte anzunehmen. 

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