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Foto: Rob Verhorst/Redferns/Getty

Zeitsprung: Am 19.9.1988 erscheint „New Jersey“ von Bon Jovi

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 19.9.1988.

von Christof Leim

Wie geht man mit dem Problem um, einen Nachfolger für ein internationales Nummer-eins-Album liefern zu müssen? Die Antwort von Bon Jovi: Man schreibt noch eins. Mit New Jersey etablieren sich die fünf Rocker mit Nachdruck in der Ruhmeshalle des Hard Rock – Gold, Platin, eine gewaltige Welttour und mehrere Klassikersongs inklusive.

Hört hier in New Jersey rein:

Ab Mitte der Achtziger läuft’s bei Bon Jovi: Mit dem dritten Album Slippery When Wet erreicht die Band 1986 zum ersten Mal die Spitze der Charts in den USA und etlichen anderen Ländern. Songs wie You Give Love A Bad Name, Livin’ On A Prayer und Wanted Dead Or Alive laufen wirklich immer und überall. Kurz gesagt: Die fünf frisch gebackenen Millionäre zwischen 25 und 35 haben es geschafft. Doch Frontmann Jon Bon Jovi will nach diesem Höhenflug auf keinen Fall als One-Hit-Wonder verglühen. Der immense Erfolg und die (tatsächlich tolle) Platte sollen nicht als Glückstreffer abgehakt werden. Außerdem muss man das Eisen – oder eher: Gold und Platin – schmieden, solange es heiß ist. Deshalb macht sich der Sänger mit seinem Songwriting-Partner, Gitarrist Richie Sambora, nur vier Wochen nach unfassbaren 16 Monaten auf Welttour zu Slippery When Wet schon Ende 1987 wieder an die Arbeit.

Sie schreiben über zwei Dutzend neue Stücke, immer mit der bangen Frage im Hinterkopf, ob ihnen nochmal ein Knaller gelingt wie You Give Love A Bad Name, ihre erste US-Nummer eins. Erneut arbeiten sie mit Hitschmied Desmond Child, mit dem sie schon Hitsingles für Slippery When Wet komponiert hatten. Never change a winning Erfolgsrezept, keine Frage. Und wieder hauen die drei Kollegen ein paar Granaten raus, darunter Bad Medicine und Born To Be My Baby. Die Ergebnisse dieser Kollaboration klingen immer noch nach Bon Jovi, aber irgendwie scheint der Herr Child ein Händchen für Refrains zu haben, die quasi zwingend im Radio gespielt werden müssen. Es gibt kaum einen Songwriter, der den US-Hard Rock insbesondere der Achtziger so geprägt hat, angefangen mit Kiss (I Was Made For Lovin’ You) über Aerosmith (Dude (Looks Like A Lady)) bis Alice Cooper (Poison). Mit dem Team Bon Jovi/Sambora funktioniert das am allerbesten. Auch andere Lohnschreiber wie Holly Knight und Diane Warren sind beteiligt.

Für die Aufnahmen begibt sich die Band erneut mit Produzent Bruce Fairbairn und Toningenieur Bob Rock in die Little Mountain Studios in Vancouver, nutzt also so das gleiche Setup wie zwei Jahre zuvor. Ursprünglich wollen die Musiker ein Doppelalbum veröffentlichen, auch einen Titel haben sie sich schon ausgesucht: Sons Of Beaches. Davon hält die Plattenfirma jedoch gar nichts, und Bon Jovi müssen die Tracklist ganz ordentlich zusammenstreichen. Dazu laden sie 50 junge Fans ins Studio ein und spielen ihnen die über 20 Songs vor, um herauszufinden, welche am besten ankommen. Schon beim Vorgängeralbum hat diese Methode (offensichtlich) geholfen, das potenteste Material auszusuchen. Direkte Marktforschung, wenn man so will.

Übrig bleiben die zwölf Lieder mit sonnigem Party-Hard Rock, wie gemacht für unendliche MTV-Einsätze und die wirklich großen Stadien der Welt. Besser geht’s in diesem Genre fast nicht. Nichtsdestotrotz zeigen sich Bon Jovi als Band und Songwriter gereift und bieten eine musikalisch breitere Palette. Beispiele dafür finden sich zum Beispiel im getragenen, souligen Intro zu Lay Your Hands On Me, der Mundharmonika bei Homebound Train und dem Akustik-Blues Love For Sale. Textlich haben die Herren zwar glücklicherweise weiterhin nichts mit Feuilleton oder Auf-die-Füße-guck-Studentengeschrammel zu, doch Jon und Ritchie erweisen sich zusehends als Geschichtenerzähler in der Tradition ihres Helden Bruce Springsteen. So beschwört Blood On Blood alte Freundschaften samt der alltäglichen, aber prägenden Erlebnisse von früher. In Born To Be My Baby hält ein Paar ganz wie in Livin’ On A Prayer in mageren Zeiten zusammen, während Living In Sin von zwei Liebenden erzählt, deren Eltern sie lieber getrennt sehen wollen. Klassischer Songwriting-Stoff, keine Weltrettung, aber auch mehr als Floskeln.

Die Produktion erweist sich erneut als äußerst groß und kräftig, schön und poliert, und klingt dabei noch ein bisschen runder als auf Slippery. Vom albernen Arbeitstitel Sons Of Beaches verabschieden sich Bon Jovi und wählen stattdessen den Namen des Bundesstaates, aus dem sie stammen: New Jersey. Der gilt üblicherweise nicht als das Zentrum der Welt-Coolness, doch hier kommen einige Rock’n’Roll-Helden wie Springsteen, Skid Row und Zakk Wylde her. Das geplante Artwork, eine Sgt. Pepper-mäßige Collage, wird ebenfalls verworfen zugunsten eines einfach gehaltenen Designs, das eine blauschwarze Steinwand, das Bandlogo und den Albumtitel zeigt.

New Jersey erscheint am 19. September 1988, weniger als zwei Jahre nach Slippery When Wet und nur acht Monate nach dem Ende der monumentalen Tour. Der Rolling Stone schreibt damals kritisch, aber an einer Stelle mit weiser Voraussicht: „Jon Bon Jovi ist brilliant… in dem, was er tut. Noch klingt kaum einer der Tracks nach einem Hit, aber es besteht kein Zweifel daran, dass in einem Jahr mindestens vier Songs Teil unseres kollektiven Bewusstseins sind werden.“ Und so kommt es auch: New Jersey steigt auf Platz 8 in den USA ein, kracht aber schon in der nächsten Woche mit Schwung auf die Eins und bleibt da erstmal einen Monat. Bon Jovi haben es also geschafft und das Kunststück von Slippery When Wet tatsächlich wiederholt. Auch in anderen Ländern erobert die Scheibe die Charts, in Deutschland reicht es für Rang 4. Und die Konkurrenz aus diesem Stil kann sich damals sehen lassen: Def Leppard stehen mit Hysteria immer noch ganz weit vorne, Aerosmith und Mötley Crüe verkaufen Millionen, und seit einem Jahr spielt noch eine neue Band namens Guns N’ Roses mit.

Alle Singles von „New Jersey“ schaffen es in die US-Top Ten

Von den zwölf Songs werden gleich fünf als Single ausgekoppelt, und alle erreichen sie die Top Ten. Das hat es für ein Hard Rock-Album bis vorher nicht gegeben und nachher auch nicht mehr. Die Platte kommt sogar erstes amerikanisches Album überhaupt in der Sowjetunion auf den Markt. Schon die erste Single Bad Medicine, am 3. September vorab veröffentlicht, steht rasch auf Platz 1 der Single-Charts, womit Bon Jovi auch an diese Errungenschaft ein weiteres Häkchen machen können. Für das Video zu dieser spaßigen Rock’n’Roll-Nummer mit XXL-Refrain lässt Regisseur Wayne Isham mit Hilfe des Comedians Sam Kinison bei einem Konzert in Long Beach 5000 Kameras an die Fans verteilen – und schneidet aus deren Aufnahmen den Clip zusammen.

Born To Be My Baby klettert bis auf Platz drei, die dritte Auskopplung I’ll Be There For You rauscht wieder ganz nach oben. Nicht überraschend: Das Stück gehört zu den Top-Balladen der Ära, alleine die Backing Vocals von Richie sind schon ihr Geld wert. Man höre rein bei 2:15 Min. und 3:37 Min.. Und ein bisschen zeigt die Nummer schon den „erwachseneren“ Sound späterer Alben.

Wie lange New Jersey „heiße Ware“ bleibt, zeigt sich daran, dass Lay Your Hands On Me fast ein ganzes Jahr nach der Albumveröffentlichung ausgekoppelt wird. Der Song wird sogar von Dolly Parton als Countrynummer gecovert. Ansonsten empfiehlt sich das Stück mit seinem kapitalen Refrain natürlich als perfekte Konzerteröffnung.

Bei Living In Sin schließlich zickt MTV ein bisschen rum wegen ein paar Sexszenen, also gibt es vom Video eine entschärfte Version. Reichweite verschenken kommt für Bon Jovi nicht in Frage. Aber die Platte hat mehr drauf als die Singles: Blood On Blood und Wild Is The Wind sind Hammersongs, Love For Sale klingt (oder soll klingen), als sei es nach etlichen „Erfrischungen“ inmitten einer Party aufgenommen worden, und das kurze Ride Cowboy Ride erinnert dank einer Aufnahme in Mono an eine LoFi-Aufnahme von Annodazumal. Hinter den angegebenen Songwritern „Captain Kidd“ und „King of Swing“ stecken, genau, Jon und Richie.

Und die vielen übrig gebliebenen Songs? Etliche der unveröffentlichten Sons Of Beaches-Demos erscheinen erst 2014 im Rahmen einer Neuauflage der Platte. Einige davon tauchen daneben an anderer Stelle auf, etwa das von Alice Cooper, Joan Jett und Desmond Child geschriebene House Of Fire, das Meister Cooper schließlich 1989 auf Trash veröffentlicht. Does Anybody Really Fall in Love Anymore? nehmen später Samboras Freundin Cher und Alice Cooper-Klampfer Kane Roberts auf, Diamond Ring verwursten Bon Jovi selber 1995 für ihr Album These Days.

Jon Bon Jovi auf der Bühne in Rotterdam, November 1988: Rob Verhorst/Redferns/Getty

Mit New Jersey stehen Bon Jovi 1988 ganz oben: Sie haben zwei Hitalben hintereinander abgeliefert, die eine Ära definieren und gleichzeitig einige zeitlose Songs bieten. Das muss man erstmal hinbekommen. Die Tour zur Platte dauert nochmal anderthalb Jahre, und danach sind fünf Rocker tatsächlich komplett durch. Doch die Hard Rock-Weltherrschaft haben sie erstmal in der Tasche.

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