Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 28.11.1988.
G N’ R Lies, wie das Werk offiziell heißt, erscheint in Deutschland am 28. November 1988, einen Tag später in den USA. Das Artwork sieht aus wie eine krasse Boulevard-Zeitung, mit UFO-Berichten und Pinup-Girls, gebastelt hat es Gitarrist Slash. Auf der ersten Seite der Platte finden sich die vier Titel der EP Live ?!*@ Like a Suicide, die Guns N’ Roses im Dezember 1986, also noch vor Appetite und vor ihrem Durchbruch, veröffentlicht hatten. Hier finden sich zwei frühe Songs namens Reckless Life und Move To The City, außerdem die beiden herrlich ungestümen Coverversionen Nice Boys von Rose Tattoo und Mama Kin von Aerosmith. Wie sich später rausstellt, wurden die Stücke alle im Studio eingespielt und im Nachhinein mit Publikumsgeräuschen versehen.
Für die zweite Seite nehmen Axl Rose, Slash, Izzy Stradlin’, Duff McKagan und Steven Adler vier Akustiksongs auf – also nicht unbedingt das, was man erwartet hätte. Hier zeigen die Musiker, dass sie es auch ruhiger können und dass hinter Lärm, Alarm und Skandälchen gutes Songwriting sowie klassische amerikanische Rockwurzeln stecken. Nach nur wenigen Studiosessions sind die Tracks im Kasten, Produzent Mike Clink spricht von „einem dieser magischen Momente der Rock’n’Roll-Geschichte“. Nur Axl Rose zeigt sich nicht ganz zufrieden: Jahre später findet er seine Stimme zu heiser, weil die Band damals einfach zu viel auf Tour gewesen sei. You’re Crazy hatten die fünf Krawallbrüder bereits ziemlich punkig auf Appetite gespielt; hier gibt’s nun die entspannt groovende Originalversion. Patience darf man mittlerweile als Unplugged-Klassiker bezeichnen, der in den Achtzigern und Neunzigern auf nicht wenigen Partys von Nachwuchsrockern dargeboten wurde, komplett mit Schmachtgesang und Gepfeife im Intro. In dem Text geht es vermutlich um Axls schwierige Beziehung zu Erin Everly, die er bereits im Klassiker Sweet Child O’ Mine verewigt hatte (mehr dazu hier). Womöglich hat auch Gitarrist Izzy Stradlin’ seinerseits Pärchenprobleme thematisiert. So oder so ergibt sich eine einfühlsame Akustikballade, die heute noch regelmäßig auf der Setlist steht.
Patience wird zudem ein halbes Jahr später als einzige Single von G N’R Lies ausgekoppelt und schafft es bis Platz vier der US-Charts, in Deutschland auf Rang 38. Das Video, passenderweise gedreht am Valentinstag 1989, zeigt die Band im Studio und in einem leerstehenden Hotel. Nur die Musiker sind wirklich zu sehen, alle anderen Menschen verschwimmen und verschwinden – wie poetisch. Im Clip tritt Drummer Steven Adler auf, obwohl er beim Lied gar nicht mitspielen musste. Als die Band die Nummer am 30. Januar 1989 bei den American Music Awards aufführt, befindet sich der Schlagzeuger gerade auf Drogenentzug, für ihn springt Don Henley von den Eagles ein. Patience sollte das letzte Video, Lies das letzte Album mit Adler sein.
One In A Million produziert einen Skandal, weil Axl das unakzeptable Wort „N*gger“ benutzt und über Einwanderer und Homosexuelle schimpft. Später bezeichnet er das als Kommentar zu früheren Situationen seines Lebens insbesondere kurz nach Ankunft in Los Angeles und will das nicht als generelle Aussage verstanden wissen. Er verweist etwa auf tätliche Angriffe und eine versuchte Vergewaltigung durch einen Mann, der ihm Unterschlupf gewährt hatte. Vor allem aber verteidigt er seine Wortwahl damit, einfach Leute gemeint zu haben, die ein „Schmerz im Leben“ sind, und verweist auf den John Lennon-Song Woman Is the Nigger Of The World sowie den Namen der Rap-Truppe N.W.A., also Niggers With Attitude. Später gesteht er ein, den Begriff durchaus gebraucht zu haben, um ein Tabu zu brechen. Das geht natürlich trotzdem ganz und gar nicht. Rose selbst weist Vorwürfe von Rassismus und Homophobie von sich und gibt in einem Interview mit dem RIP-Magazin zu Protokoll, „geteilter Meinung“ zu dem Stück zu sein. Schon vor der Veröffentlichung hatten seine Kollegen ihn dazu bringen wollen, den Titel zu vergessen. Vor allem Slash, Sohn einer Schwarzen, findet die Nummer nicht gut, bereut aber nicht, sie aufgenommen zu haben. Izzy Stradlin’ spricht 1988 davon, dass der Text lediglich auf die Probleme in bestimmten Vierteln von L.A. Bezug nehme. Guns N’ Roses sind sich augenscheinlich bewusst, dass es hier Ärger geben wird, und packen folgenden Hinweis auf das Cover als Teil des Zeitungslayouts: „Dieser Song ist sehr simpel und extrem verallgemeinernd. Ich entschuldige mich bei allen, die daran Anstoß nehmen.“
Live kommt das musikalisch sehr schöne One In A Million fast nie zum Einsatz – gut und richtig so, aber auch schade, weil Slash hier eines seiner besten Soli abliefert. Auch auf der 2018 veröffentlichten Deluxe-Ausgabe von Appetite For Destruction, die G N’ R Lies als Bonus enthält, fehlt der Song kommentarlos. Bei One In A Million handelt es sich übrigens um einen der ersten Songs, den Axl alleine verfasst hat, für das Outro spielt er zum ersten Mal bei einer Guns N’ Roses-Aufnahme Piano. In Used To Love Her schließlich singt der Mann darüber, dass die Geliebte ständig so viel rumnörgelt, dass er sie im Garten vergraben muss. Später erklärt Slash, es ginge in der Nummer gar nicht um Ex-Freundinnen, sondern um Axls Hund. Lustig ist’s trotzdem, allerdings nimmt ein Herr aus Florida im August 2002 das womöglich zu wörtlich und ermordet seine Ehefrau. Das Stück wird sogar im Gerichtssaal als Beweisstück herangezogen; die ganze Geschichte könnt ihr hier nachlesen.
Eben weil Guns N’ Roses damals in aller Munde sind, läuft G N’ R Lies mehr als ordentlich, der Zähler liegt drei Dekaden später bei knapp zehn Millionen verkauften Einheiten. Bis zur nächsten Veröffentlichung, dem fulminanten Doppelschlag mit Use Your Illusion I und II, sollten noch fast drei Jahre vergehen. In der Zwischenzeit pinkelt Izzy Stradlin’ mal in ein Flugzeug und nimmt nach der folgenden Verhaftung sein Leben genau unter die Lupe, und auch sonst kommt die „gefährlichste Band der Welt“ nicht zur Ruhe. Musikalisch aber hat die Truppe mit ihrem vermeintlichen „Zwischenalbum“ einen zukünftigen Klassiker hingelegt.
von Christof Leim
Nach der Veröffentlichung von Appetite For Destruction 1987 sind Guns N’ Roses der ganz heiße Scheiß im Rock’n’Roll. Alle Welt wartet auf das zweite Album, doch die Band veröffentlicht erstmal eine Scheibe mit vier Live- und vier Unplugged-Stücken – vielleicht auch, um Zeit zu gewinnen.Hört hier in G N’ R Lies rein:
Klickt auf „Listen“ für das ganze Album.G N’ R Lies, wie das Werk offiziell heißt, erscheint in Deutschland am 28. November 1988, einen Tag später in den USA. Das Artwork sieht aus wie eine krasse Boulevard-Zeitung, mit UFO-Berichten und Pinup-Girls, gebastelt hat es Gitarrist Slash. Auf der ersten Seite der Platte finden sich die vier Titel der EP Live ?!*@ Like a Suicide, die Guns N’ Roses im Dezember 1986, also noch vor Appetite und vor ihrem Durchbruch, veröffentlicht hatten. Hier finden sich zwei frühe Songs namens Reckless Life und Move To The City, außerdem die beiden herrlich ungestümen Coverversionen Nice Boys von Rose Tattoo und Mama Kin von Aerosmith. Wie sich später rausstellt, wurden die Stücke alle im Studio eingespielt und im Nachhinein mit Publikumsgeräuschen versehen.
Für die zweite Seite nehmen Axl Rose, Slash, Izzy Stradlin’, Duff McKagan und Steven Adler vier Akustiksongs auf – also nicht unbedingt das, was man erwartet hätte. Hier zeigen die Musiker, dass sie es auch ruhiger können und dass hinter Lärm, Alarm und Skandälchen gutes Songwriting sowie klassische amerikanische Rockwurzeln stecken. Nach nur wenigen Studiosessions sind die Tracks im Kasten, Produzent Mike Clink spricht von „einem dieser magischen Momente der Rock’n’Roll-Geschichte“. Nur Axl Rose zeigt sich nicht ganz zufrieden: Jahre später findet er seine Stimme zu heiser, weil die Band damals einfach zu viel auf Tour gewesen sei. You’re Crazy hatten die fünf Krawallbrüder bereits ziemlich punkig auf Appetite gespielt; hier gibt’s nun die entspannt groovende Originalversion. Patience darf man mittlerweile als Unplugged-Klassiker bezeichnen, der in den Achtzigern und Neunzigern auf nicht wenigen Partys von Nachwuchsrockern dargeboten wurde, komplett mit Schmachtgesang und Gepfeife im Intro. In dem Text geht es vermutlich um Axls schwierige Beziehung zu Erin Everly, die er bereits im Klassiker Sweet Child O’ Mine verewigt hatte (mehr dazu hier). Womöglich hat auch Gitarrist Izzy Stradlin’ seinerseits Pärchenprobleme thematisiert. So oder so ergibt sich eine einfühlsame Akustikballade, die heute noch regelmäßig auf der Setlist steht.
Patience wird zudem ein halbes Jahr später als einzige Single von G N’R Lies ausgekoppelt und schafft es bis Platz vier der US-Charts, in Deutschland auf Rang 38. Das Video, passenderweise gedreht am Valentinstag 1989, zeigt die Band im Studio und in einem leerstehenden Hotel. Nur die Musiker sind wirklich zu sehen, alle anderen Menschen verschwimmen und verschwinden – wie poetisch. Im Clip tritt Drummer Steven Adler auf, obwohl er beim Lied gar nicht mitspielen musste. Als die Band die Nummer am 30. Januar 1989 bei den American Music Awards aufführt, befindet sich der Schlagzeuger gerade auf Drogenentzug, für ihn springt Don Henley von den Eagles ein. Patience sollte das letzte Video, Lies das letzte Album mit Adler sein.
One In A Million produziert einen Skandal, weil Axl das unakzeptable Wort „N*gger“ benutzt und über Einwanderer und Homosexuelle schimpft. Später bezeichnet er das als Kommentar zu früheren Situationen seines Lebens insbesondere kurz nach Ankunft in Los Angeles und will das nicht als generelle Aussage verstanden wissen. Er verweist etwa auf tätliche Angriffe und eine versuchte Vergewaltigung durch einen Mann, der ihm Unterschlupf gewährt hatte. Vor allem aber verteidigt er seine Wortwahl damit, einfach Leute gemeint zu haben, die ein „Schmerz im Leben“ sind, und verweist auf den John Lennon-Song Woman Is the Nigger Of The World sowie den Namen der Rap-Truppe N.W.A., also Niggers With Attitude. Später gesteht er ein, den Begriff durchaus gebraucht zu haben, um ein Tabu zu brechen. Das geht natürlich trotzdem ganz und gar nicht. Rose selbst weist Vorwürfe von Rassismus und Homophobie von sich und gibt in einem Interview mit dem RIP-Magazin zu Protokoll, „geteilter Meinung“ zu dem Stück zu sein. Schon vor der Veröffentlichung hatten seine Kollegen ihn dazu bringen wollen, den Titel zu vergessen. Vor allem Slash, Sohn einer Schwarzen, findet die Nummer nicht gut, bereut aber nicht, sie aufgenommen zu haben. Izzy Stradlin’ spricht 1988 davon, dass der Text lediglich auf die Probleme in bestimmten Vierteln von L.A. Bezug nehme. Guns N’ Roses sind sich augenscheinlich bewusst, dass es hier Ärger geben wird, und packen folgenden Hinweis auf das Cover als Teil des Zeitungslayouts: „Dieser Song ist sehr simpel und extrem verallgemeinernd. Ich entschuldige mich bei allen, die daran Anstoß nehmen.“
Live kommt das musikalisch sehr schöne One In A Million fast nie zum Einsatz – gut und richtig so, aber auch schade, weil Slash hier eines seiner besten Soli abliefert. Auch auf der 2018 veröffentlichten Deluxe-Ausgabe von Appetite For Destruction, die G N’ R Lies als Bonus enthält, fehlt der Song kommentarlos. Bei One In A Million handelt es sich übrigens um einen der ersten Songs, den Axl alleine verfasst hat, für das Outro spielt er zum ersten Mal bei einer Guns N’ Roses-Aufnahme Piano. In Used To Love Her schließlich singt der Mann darüber, dass die Geliebte ständig so viel rumnörgelt, dass er sie im Garten vergraben muss. Später erklärt Slash, es ginge in der Nummer gar nicht um Ex-Freundinnen, sondern um Axls Hund. Lustig ist’s trotzdem, allerdings nimmt ein Herr aus Florida im August 2002 das womöglich zu wörtlich und ermordet seine Ehefrau. Das Stück wird sogar im Gerichtssaal als Beweisstück herangezogen; die ganze Geschichte könnt ihr hier nachlesen.
Eben weil Guns N’ Roses damals in aller Munde sind, läuft G N’ R Lies mehr als ordentlich, der Zähler liegt drei Dekaden später bei knapp zehn Millionen verkauften Einheiten. Bis zur nächsten Veröffentlichung, dem fulminanten Doppelschlag mit Use Your Illusion I und II, sollten noch fast drei Jahre vergehen. In der Zwischenzeit pinkelt Izzy Stradlin’ mal in ein Flugzeug und nimmt nach der folgenden Verhaftung sein Leben genau unter die Lupe, und auch sonst kommt die „gefährlichste Band der Welt“ nicht zur Ruhe. Musikalisch aber hat die Truppe mit ihrem vermeintlichen „Zwischenalbum“ einen zukünftigen Klassiker hingelegt.