Wir haben uns bereits mit Blues beschäftigt, auch in Soul und Jazz sind wir eingetaucht. Heute möchten wir uns einem der aggressivsten Genres der Krachmusik widmen: dem Thrash Metal. Wer hat diese Musik geprägt, in den USA wie in Deutschland? Welche Songs sollte man kennen? Ein Überblick zum Einstieg.
von Timon Menge und Christof Leim
Hier könnt ihr euch unsere Thrash-Empfehlungen anhören:
Geschwindigkeit, Power und jede Menge Gesellschaftskritik: Während der Achtziger holt der Thrash Metal die Jugend dort ab, wo sie steht. Von 1981 bis 1989 regiert der konservative Präsident Ronald Reagan die USA; junge Menschen brauchen ein Ventil für ihre Wut. Und sie sollen es bekommen. Der größte Knotenpunkt: Kalifornien.
Exodus
Genau dort legen Exodus 1979 los. Bis zur ersten Albumveröffentlichung Bonded By Blood dauert es zwar noch weitere sechs Jahre; trotzdem leistet die Gruppe als wichtiger Teil der Bay-Area-Szene einen großen Beitrag zu allem, was ab 1980 an der Westküste passiert. Vor allem Frontmann Paul Baloff, Gitarrist Gary Holt sowie Gründungsmitglied und Trommler Tom Hunting prägen zu Beginn die Stoßrichtung der Band. Zum Line-up der ersten Stunde zählt allerdings auch Kirk Hammett, der sich seine Gitarre später für eine andere, nicht ganz unbekannte Band namens Metallica umschnallen wird. Im Gegensatz zu denen zählen Exodus nicht zu den sogenannten „Big Four“. Sollten sie aber.
Anspieltipps: Fabulous Disaster; The Toxic Waltz; Bonded By Blood; Blacklist; Salt The Wound
Metallica
Natürlich kommt kein Text über Thrash Metal ohne Metallica aus. Die Band um Lars Ulrich und James Hetfield gibt im Sommer 1983 nach einigen legendären Demos mit ihrem Debüt Kill ‘Em All den eigentlichen Startschuss für die Thrash-Welle und etabliert sich schnell als Genreprimus, dem in den Anfangsjahren so ziemlich alle folgen. Auch die Nachfolgewerke setzen Maßstäbe: Mit Ride The Lightning (1984) wird Thrash clever, Master Of Puppets (1986) markiert die Thrash-Sternstunde, spätestens ab …And Justice For All (1988) wächst das Ganze über den Metal-Untergrund hinaus. Danach schießen Metallica durch die Stratosphäre und werden dank des Black Album (1991) zur erfolgreichsten Metal-Band der Welt. Darüber darf die Besatzung von Trveheim schimpfen, so viel sie will – für Geburt und Entwicklung des Thrash gibt es keine wichtigere Band als Metallica. Zählen deshalb zu den „Big Four“.
Anspieltipps: Whiplash; Creeping Death; Battery; Master Of Puppets; One
Slayer
Metalfans werden diese Truppe auch unter dem Namen „Släääyyyaaarrr“ kennen, denn so dürfte die Lautschrift in der Realität meist aussehen. Kein Wunder, Slayer begeistern. Seit 1981 gelten die Kalifornier (völlig zu Recht) als besonders aggressive Vertreter des Thrash Metal und holzen mit einer besonderen Präzision und Bosheit alles um, was sich ihnen in den Weg stellt. Frühe Werke wie Show No Mercy (1983), Hell Awaits (1985) und vor allem Reign In Blood (1986) gehören inzwischen hoffentlich zur Grundschulbildung. Doch selbst Jahrzehnte später stellen Slayer mit Repentless (2015) noch einmal unter Beweis, wie schön sie immer noch rumpeln können. Eine Querverbindung zur Kollegschaft gibt es auch hier: Seit dem Tod von Gründungsgitarrist Jeff Hanneman im Mai 2013 spielt Exodus-Klampfer Gary Holt eine der beiden Äxte für Slayer. Im November 2019 löst sich die Band auf. Zählen ebenfalls zu den „Big Four“.
Anspieltipps: Raining Blood; Angel Of Death; War Ensemble; Seasons In The Abyss; Repentless
Megadeth
Zwar erscheint das Megadeth-Debüt Killing Is My Business... And Business Is Good! erst 1985 und damit vergleichsweise spät, doch Sänger/Gitarrist Dave Mustaine gehört zu den Urvätern des Thrash, denn er spielte (und komponierte) in der prägenden Phase bis 1983 bei Metallica. Seine eigene Kapelle zimmert die Riffs technisch noch anspruchsvoller und wilder, was trotz ständiger Line-up-Wechsel und Drogenproblemen Großtaten wie Peace Sells…But Who’s Buying? (1986) und Rust In Peace (1990) hervorbringt. Mit dem Beginn der Neunziger folgen Megadeth wie eigentlich alle (außer Slayer und Exodus!) dem Metallica-Vorbild, klingen eingängiger – und stoßen dank Countdown To Extinction (1992) und Youthanasia (1994) in Platin-Dimensionen vor. Es gibt übrigens Gerüchte, dass Mustaine beim Singen deshalb so angepisst klingt, weil er grundsätzlich nicht die Zähne auseinander macht. Gehören natürlich zu den „Big Four“.
Anspieltipps: Peace Sells; In My Darkest Hour; Tornado Of Souls; Hangar 18; Symphony Of Destruction
Testament
Diese Bay-Area-Helden gehören zur zweiten Welle des Thrash, mit ersten Demos 1985 und dem Debütalbum The Legacy im Jahr 1987, das instantan zum Genreklassiker wird. Das Quintett um Hauptsongschreiber Eric Peterson (Gitarre) findet immer eine gute Balance zwischen Eingängigkeit, Songwriting und Geboller, mit Chuck Billy (Gesang) und Alex Skolnick (Gitarre, ein Schüler von Joe Satriani) weist die Besetzung echte Könner auf. The New Order (1988) und Practice What You Preach (1989) zeichnen quasi den Weg der ersten Metallica-Alben nach (heißt: geschäftlich aufwärts, musikalisch vielseitiger), später versucht sich die Band an eingängigeren Tönen (The Ritual, 1992), veröffentlicht ein übersehenes Meisterwerk (Low, 1994) und taucht dann sogar in den Death Metal ab (Demonic, 1997). Nach längerer Pause heute wieder aktiv mit den drei oben genannten Gründungsmitgliedern.
Anspieltipps: Over The Wall; The New Order; Practice What You Preach; Low; D.N.R.
Overkill
Nun reisen wir an die US-Ostküste, denn auch dort entsteht zu Beginn der Achtziger eine lebendige Thrash-Szene. Overkill legen 1980 los; Gründungsmitglied und Sänger Bobby „Blitz“ Ellsworth sowie Bassist D.D. Verni sind noch heute an Bord. Über die Jahrzehnte veröffentlicht die Gruppe viele prägende Alben, von ihrem Debüt Feel The Fire (1985) über das wichtige dritte Werk Under The Influence (1988), dessen Nachfolger Years Of Decay (1989) bis hin zu moderneren Erfolgen wie White Devil Armory (2014). Stilistisch gehen Overkill etwas klassischer vor, weshalb sie auch „Motörhead des Thrash Metal“ genannt werden. Kein ganz schlechtes Kompliment, aber auch nicht verwunderlich, denn ihren Namen entleihen Overkill dem gleichnamigen Motörhead-Album. Ach ja, einen Gitarristen namens Dan Spitz gab es kurzzeitig auch. Der hatte später allerdings andere Pläne — mit Anthrax.
Anspieltipps: Elimination; Mean, Green, Killing Machine; Hello From The Gutter; I Hate; Coma
Anthrax
Ebenfalls an der Ostküste lärmen Anthrax ab 1981 in der Ursuppe des Thrash herum. Auf dem Erstlingswerk Fistful Of Metal (1984) haben sie ihre Form noch nicht erfunden, ab Spreading The Disease (1985) und Among The Living (1987) gehören sie zu den Speerspitzen des Genres und zu den sagenumwobenen „Big Four“. Mit dem immer schwierigen Übertritt in die Neunziger wechselt das Kernteam um Scott Ian, Charlie Benante und Frank Bello den Sänger (Joey Belladonna raus, John Bush von Armored Saint rein), außerdem hält jede Menge Groove Einzug in die Songs, was durchaus Einfluss auf neue Bands der Dekade hat (vergleiche Sound Of White Noise, 1992). Wegen der Rap-Metal-Kollaborationen I’m The Man und Bring The Noise gelten die Herren als Wegbereiter für den Crossover. Man könnte sagen: Anthrax haben dreimal Neuland betreten. Mittlerweile spielt die Band wieder im klassischen Line-up (mit Belladonna, minus Leadgitarrist Dan Spitz) vor allem klassischen Stoff.
Anspieltipps: Madhouse; Caught In A Mosh; I Am The Law; Bring The Noise; Only
Sodom
Auch in Deutschland schlägt die Thrash-Bombe zu Beginn der Achtziger ein. Zu den bekanntesten Vertretern des „Teutonic Thrash Metal“ zählen Sodom aus Gelsenkirchen, die 1983 ihr erstes offizielles Demo Witching Metal veröffentlichen. Die klangvollen Namen der Musiker zur Veröffentlichungspremiere: „Aggressor“ singt und spielt Gitarre, „Witchhunter“ trommelt und „Angelripper“ singt und spielt Bass. Im weiteren Verlauf ihrer Krachmusikkarriere nehmen Sodom Klassiker wie Obsessed By Cruelty (1986), Persecution Mania (1987) und Agent Orange (1989) auf und spielen sich tief in die Herzen der Thrash-Gemeinde — nicht nur in Deutschland, wo Agent Orange das erste Thrash-Album in den Charts markiert, sondern weltweit. Besonders filigran gehen die Gelsenkirchener nie zu Werke, leisten durch ihre unprätentiöse Herangehensweise aber einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Black Metal. Auf der Bühne stehen sie noch heute; und Tom „Angelripper“ ist immer noch dabei.
Anspieltipps: Nuclear Winter; Agent Orange; Remember The Fallen; Code Red; Ausgebombt
Kreator
Ein paar Meter weiter geht es zwar erst etwas später los, dafür aber nicht minder erfolgreich: Kreator aus Essen sind nach wie vor der deutsche Thrash-Export. Seit beinahe 40 Jahren steht Frontmann Miland „Mille“ Petrozza ununterbrochen auf der Bühne, 1984 geht es so richtig los. Ein Jahr später veröffentlichen die Ruhrpottmetaller ihr Debüt Endless Pain; ab 1986 folgen mit Pleasure To Kill (1986), Extreme Aggression (1989) und Coma Of Souls (1990) Klassiker, die nun wirklich in jedes Regal gehören. Doch auch neuere Platten der Gruppe können die Gefolgschaft begeistern. Mit Gods Of Violence gelingt Kreator 2017 sogar der Sprung auf Platz eins der deutschen Charts.
Anspieltipps: Pleasure To Kill; Extreme Aggression; Enemy Of God; People Of The Lie; Satan Is Real
Annihilator
Diese Band um Sechs-Saiten-Gott Jeff Waters gehört zur zweiten Welle des Thrash und kommt zur Abwechslung mal aus Kanada. 1984 geht es los, die erste Platte erscheint erst fünf Jahre später, gehört aber zum Besten, was das Genre zu bieten hat. Alice In Hell ballert wie nichts Gutes, besitzt Melodien, Epik, Millionen Ideen und tolle, tolle Gitarrenarbeit. Nach diesem verheißungsvollen Start bringt Waters das Kunststück fertig, für jede der drei folgenden Platten den Sänger zu wechseln – und es funktioniert sogar. Never, Neverland (1990) ist noch besser als das Debüt, Set The World On Fire (1993) markiert das obligatorische Analogon zum Black Album, auf King Of The Kill (1994) singt der Chef sogar selber. Danach schwimmt Waters mit ständig wechselnden Kollegen kreativ im eigenen Saft, konnte sich zuletzt aber wieder fangen.
Anspieltipps: Alison Hell; The Fun Palace; Never, Neverland; Set The World On Fire; King Of The Kill