Bunt gefärbte Haare, farbenfrohe Kostüme, parolenhafte Texte: Als schrille kleine Schwester des Punk hat die Neue Deutsche Welle die Achtziger in Deutschland geprägt, wie kaum eine andere Strömung. Wir haben zehn unvergessene Hits zusammengestellt, die an die wunderbar verrückte Zeit erinnern.
von Timon Menge
Deutschland, 1980. Die Terroranschläge der RAF haben das Land bis ins Mark erschüttert, der Kalte Krieg befindet sich bereits zum dritten Mal in einer äußerst kritischen Phase und trotz großen Widerstands werden in Deutschland gleich mehrere neue Atomkraftwerke gebaut. Die Welt scheint an einem Scheideweg zu stehen. Deutschlands Jugend ist aufgewühlt und möchte etwas ändern. In musikalischer Hinsicht bedeutet das vor allem die Abkehr von dem Glauben, dass Rock- und Popmusik englischsprachig sein muss. Künstler wie Udo Lindenberg, Kraftwerk und die Fehlfarben hatten dem deutschen Pop bereits in den Siebzigern den Weg geebnet. In den Achtzigern bricht die Neue Deutsche Welle alle Dämme - unter anderem mit diesen Songs:
1. Joachim Witt - Goldener Reiter (1980)
„Hey, hey, hey ich war der goldene Reiter“: Diese Textzeile hat wohl beinahe jeder schon einmal gehört. Noch heute zählt der Song Goldener Reiter von Joachim Witt zu den bekanntesten und erfolgreichsten Veröffentlichungen der Neuen Deutschen Welle - und das obwohl der Text gleich mehrere düstere Themen streift, wie Kapitalismuskritik, Schizophrenie und den mangelhaften Umgang mit psychischen Erkrankungen. „Hey, hey, hey ich war so hoch auf der Leiter / Doch dann fiel ich ab, ja dann fiel ich ab“, singt der Hamburger. Gute Laune geht anders, aber Witt scheint mit seiner düsteren Single einen Nerv getroffen zu haben.
2. Spider Murphy Gang - Skandal im Sperrbezirk (1981)
Als Sperrbezirk bezeichnet man ein Gebiet, in dem Prostitution entweder gar nicht oder nur sehr eingeschränkt stattfinden darf. Als die Olympischen Sommerspiele 1972 in München gastierten, nahmen die Regionalpolitiker das erstmals zum Anlass, um den Sperrbezirk der bayrischen Landeshauptstadt zu vergrößern. 1978 kam die CSU an die Macht, 1980 wurden die Regeln erneut verschärft. „Und draußen vor der großen Stadt / Steh’n die Nutten sich die Füße platt“, singt die Spider Murphy Gang reichlich unfein. Der „Skandal im Sperrbezirk“: In der verbotenen Zone gibt es eine Prostituierte namens Rosi, die man anrufen und zuhause besuchen kann.
3. Trio - Da Da Da, ich lieb Dich nicht, Du liebst mich nicht (1981)
Vor der Veröffentlichung dieses Songs hätten wohl die meisten Musiker*innen behauptet, dass es nicht möglich sei, mit den Textbausteinen „Da da da“ und „Aha“ einen Hit zu landen. Trio beweisen 1982 das Gegenteil und stürmen mit ihrem Minimalismus-Meisterwerk Da Da Da die deutschen Charts. Inhaltlich handelt es sich bei dem Stück wohl am ehesten um eine Art Schlagerparodie, in der Trio die Einfachheit des Genres auf die Schippe nehmen. Das ist ihnen gelungen – ironischerweise mit Schlager-ähnlichem Erfolg.
4. Extrabreit - Hurra, hurra, die Schule brennt (1982)
Etwas abgedrehter wird es, als Extrabreit ihren großen NDW-Hit Hurra, hurra, die Schule brennt vorlegen. Von „Nasenringen aus Phosphor“ ist im Text die Rede, genau wie von „Streichholzetiketten am Ohr“. Inhaltlich handelt der Song von genau dem, was man erwarten würde, wenn man den Titel liest: von einer Horde Schüler*innen aus der Vorstadt, die mit großer Begeisterung ihre Schule anzünden. „Das ist geil, das ist geil / Hurra, hurra, die Schule brennt“, singen sie anschließend und „stehen zusammen / dicht bei den Flammen / bis die Sonne untergeht“. Hand aufs Herz: Ein ganz kleines bisschen haben wir davon als Schüler doch alle mal geträumt, oder?
5. Hubert Kah - Sternenhimmel (1982)
Bei Hubert Kah und seinem Sternenhimmel geht es ein wenig unverfänglicher zur Sache. Bei diesem Stück sind nicht nur die einprägsame Melodie und der dazugehörige Text erwähnenswert, sondern vor allem auch die Performance von Kah und seiner Band in der ZDF-Hitparade. Geschminkt und in aufwändigen Kostümen zündeten die jungen Musiker dort zu Beginn der Achtziger ein knapp dreiminütiges Feuerwerk des ironischen Quatsches, das auch 40 Jahre später noch funktioniert. Kah selbst trat in Nachthemd und orangefarbenen Socken auf. Das gefiel nicht jedem aus dem Publikum: Als Kah und seine Gruppe den ersten Platz der ZDF-Hitparade belegten und somit klar war, dass sie auch zur nächsten Sendung eingeladen würden, gab es einige Buh-Rufe.
6. Peter Schilling - Major Tom (völlig losgelöst) (1982)
Die Blaupause für Peter Schillings größten Erfolg liefert niemand geringeres als David Bowie. „Ground Control to Major Tom“, singt der Brite in seinem Song Space Oddity. Und genau wie die Bowie-Vorlage, handelt auch Major Tom (völlig losgelöst) von einem Astronauten in empfindlichen Schwierigkeiten: Er treibt durch das All und weiß nicht, wie er zurück zur Erde kommen soll. Ähnlich verloren dürften sich manche Jugendliche zu Beginn der Achtziger gefühlt haben.
7. Nena - 99 Luftballons (1983)
Mit ihren Äußerungen in jüngerer Vergangenheit eckt Nena gelegentlich an, um es mal vorsichtig auszudrücken. In den Achtzigern gehörte der jungen Sängerin aus Deutschland die Welt. Das meinen wir wörtlich, denn mit ihrer Antikriegshymne 99 Luftballons gelang Nena nicht nur hierzulande ihr größter Hit; auch in Ländern wie Japan, Neuseeland und Australien sangen Musikfans das Lied voller Inbrunst mit. Ja, sogar in den USA schaffte Nena den Sprung auf Platz zwei der Singlecharts. Für die Pole Position reichte es in Übersee leider nicht. Das übernahm dann ein Jahr später der Österreicher Falco.
8. Udo Lindenberg - Sonderzug nach Pankow (1983)
Als Udo Lindenberg 1983 einen seiner größten Hits veröffentlichte, hatte unser geliebter Nuschelrocker bereits mehr als zehn Jahre als Musiker auf dem Buckel. Damit dürfte er mühelos zu den ersten deutschsprachigen Nicht-Schlagerkünstlern zählen. Ende der Siebziger war seine Karriere bereits wieder ins Stocken geraten, doch ab Anfang der Achtziger erlebte Lindenberg einen zweiten Frühling: Alben wie Udopia (1981) und Odyssee (1983) trafen den Zahn der Zeit; die Single Sonderzug nach Pankow blieb lange Zeit sein größter Erfolg. Ganze 25 Jahre dauerte es, bis er mit Wenn Du durchhängst seinen nächsten Top-Ten-Hit landete, doch das ist eine andere Geschichte.
9. Geier Sturzflug - Pure Lust am Leben (1984)
Wenn Geier Sturzflug eines können, dann sind das Ohrwürmer, die beim ersten Hören nach Partyhymne klingen, sich spätestens beim zweiten Durchlauf aber als bittere Sozialkritik entpuppen. Das gilt natürlich zum einen für den Mega-Hit Bruttosozialprodukt, aber auch für das immer noch beliebte Partylied Pure Lust am Leben. „Verseucht mir meinen Garten / mit Schwefeldioxid“, singt Frontmann Friedel Geratsch darin gleich zu Beginn, um anschließend ein mögliches Ärgernis nach dem anderen zu nennen. Am Ende des Songs schließt er mit einem resignierten: „Geht’s mir dann ganz schmutzig / stampft mich kräftig ein / Zum Segen der Nation / Muss das wohl so sein“. Autsch. Aber eins kann ihm keiner …
10. Rio Reiser - König von Deutschland (1986)
Rio Reiser gehört in Deutschland zum Kulturgut. Ob mit Ton Steine Scherben oder solo: Er hat die deutschsprachige Poplandschaft mit seinen Songs um viele Klassiker bereichert. Dazu zählt auch das Stück König von Deutschland, das Reiser in Grundzügen bereits Mitte der Siebziger mit Ton Steine Scherben komponierte. Zum Hit wurde der Song allerdings erst Mitte der Achtziger, als Reiser den Song mit einem Text veröffentlichte, der zur damals aktuellen politischen und popkulturellen Situation passte. Der Erfolg verwundert nicht: Wir haben doch alle schon einmal darüber nachgedacht, was wir tun würden, wenn wir König von Deutschland wär’n, oder?
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