Am Osterfest vor 40 Jahren kommt es zu einem historischen Ereignis der deutschen Rockgeschichte: Eine wilde junge Bande namens Die Toten Hosen gibt ihr erstes Konzert. Angekündigt werden sie allerdings als Die Toten Hasen. Und das ist nicht alles.
von Björn Springorum
Eine der größten Geschichten der deutschsprachigen Rockmusik beginnt in einer Kneipe. Es ist Anfang 1982. Andreas „Campino“ Frege (damals 19) und Andreas „Kuddel“ von Holst(17) haben erst wenige Wochen zuvor ihre alte Proto-Punk-Band ZK („Zentralkomitee Stadtmitte“) aufgelöst und wollen was Neues starten. Mit ihnen am Tisch im Ratinger Hof in Düsseldorf sitzen Roadie Andreas Meurer (19), Trini Trimpop (mit 26 der weitaus älteste) und Walter November (19). Bei westdeutschem Bier wird geplant, geträumt, geplaudert. Was damals niemand weiß: Die deutsche Musikgeschichte wird nach diesem Kneipenabend nicht mehr dieselbe sein
Geburtsstätte des Punk
Natürlich ist der Ratinger Hof nicht irgendeine Kneipe, sondern die Geburtsstätte deswestdeutschen Punkrock. Nach einem radikalen Imagewechsel (bei dem neben der gemütlichen Inneneinrichtung gleich auch alle früheren Stammgäste rausfliegen) wandelt sich der der „Hof“, wie man den Laden nennt, zum Punk-Epizentrum. Die Hosen-Vorgänger ZK trinken hier nicht nur: Sie haben im Bierkeller zeitweise ihren Proberaum und geben auch ihr allererstes Konzert überhaupt im Hof. Bands wie Mittagspause und Fehlfarben treten hier auf, DAF, Kraftwerk oder Neu zählen zu den Gästen.
Schon 1982 ein durchaus bedeutungsschwangerer Ort also. Doch noch ahnt niemand, dass hier eine Band entstehen wird, die allein in Deutschland über 14 Millionen Platten verkaufen wird. Am wenigsten natürlich Campino und seine Rasselbande. Michael „Breiti“ Breitkopf wird übrigens erst wenige Monate später in die Band geholt, weil er auf einem Mitschnitt vom ZK-Abschiedskonzert als besonders frenetisch jubelnder Fan auffällt, womit die Urbesetzung der Toten Hosen komplett wird
Die Toten Hasen und der Bommerlunder
Der allererste Auftritt, der findet aber erstaunlicherweise weder im Ratinger Hof noch sonst wo in ihrem geliebten Düsseldorf statt. Sondern im Bremer Schlachthof, damals ein brandneues Kulturzentrum. Also rauf auf die Autobahn, Dosenbier aufreißen und nach Bremen gurken–woman dann feststellen muss, dass es wohl bei der Übermittlung des Bandnamens einen Fehler gab: Statt Die Toten Hosen wird eine Band namens Die Toten Hasen angekündigt. Es ist nun mal Ostern1982, da versteht man als Veranstalter vielleicht auch einfach mal das, was man verstehen will.
Egal. Die Band gibt ihren ersten Auftritt und hält sich an ein recht eigenwilliges Credo, was Campino so auf den Punkt bringt: „Das Konzept besteht darin, wie Verliererauszusehen, die Erwartungen herunterzuschrauben, aber schließlich die Zuschauer zu verblüffen.“ Das gilt auch für das allererste Konzert am 10. April 1982. Schon auf der Fahrt wird getrunken, vor der Show wird reichlich Bommerlunder ausgeschenkt–„obwohl das Zeug gar nicht geschmeckt hat“, wie sich der kurzzeitige Gitarrist Walter November mal erinnert hat
Reisefieber bricht aus
Rund zehn Songs lang schrammeln sich die Toten Hosen durch ihren UK-beeinflusten Punk, es wird gesoffen, Pogo getanzt. Danach denkt sich niemand was dabei, man feiert, fährt irgendwann nach Hause, hat einen ordentlichen Brummschädel. Doch hinter den Kulissen werden Ereignisse in Gang gesetzt, knirschen langsam kleine Zahnräder in kreisende Bewegungen, die dann in immer größere Räder übergreifen. Im Sommer 1982 nimmt die Band ihre ersten beiden Singles Reisefieber und Wir sind bereit auf. Das Tonstudio ist auf vieles spezialisiert, aber nicht auf rotzigen Punk und pöbelnde Musiker, doch es ist das einzige, das keine Vorkasse verlangt
Ist aber immerhin mal ein Anfang. Eine weitere Erkenntnis der damals sehr steilen Lernkurve: Walter November kann gar nicht Gitarre spielen, Andi Meurer nicht Bass. Der eine streicht die Segel, der andere lernt, für November kommt dann endlich Breiti zur Band
Illegal in der DDR
In der Besetzung reisen die Toten Hosen wie wild durch die Gegend, spielen in provinziellen Jugendclubs des Westens, aber auch illegal in der ehemaligen DDR–an Ostern 1983, exakt ein Jahr nach dem ersten Auftritt. Es ist eine heikle Reise, die ihnen die Aufmerksamkeit der Staatssicherheit und eine eigene Stasiakte einbringt. Dennoch wird es dieses Geheimkonzert in einer Kirche, mit allem drum und dran, ein definierender Moment in der Bandgeschichte sein.
Danach geht dann alles sehr bald schon sehr schnell: Die Single Eisgekühlter Bommerlunder, das Debüt Opel Gang (beide 1983), Ein kleines bisschen Horrorschau (1988), 1990 dann der große Durchbruch mit Auf dem Kreuzzug ins Glück. Und heute, 40 Jahre nach dem allerersten Konzert? Verkaufen sie für ihre Jubiläumstournee 2022 mal so eben 300.000 Tickets–an einem Tag! Nichtübel für ein paar Punks aus einer Kneipe in Düsseldorf.