Wer heute ans Wacken Open Air denkt, hat Bilder von endlosen Metalhead-Massen und legendären Headlinern im Kopf. Doch bevor das norddeutsche Festival zur Pilgerstätte für die weltweite Krach-Community wurde, setzten die beiden Veranstalter Holger Hübner und Thomas Jensen ihr ganzes Geld auf eine Karte.
Sechs Bands, zwölf Mark Eintritt: So bescheiden beginnt die Geschichte des größten Metal-Festivals der Welt. Am 24. August 1990 geht das erste Wacken Open Air über die Bühne und lockt 800 Fans in das namensgebende schleswig-holsteinische Dorf. Im Rampenlicht stehen unter anderem 5th Avenue aus Hamburg, Axe ‘n Sex aus Kiel (was für ein Name …) und die W:O:A-Haus- und Hofband Skyline. Über die Jahre wird die Metal-Feier im Dorf zur Legende, die den Ort Wacken – Heimat von rund 2.000 Menschen – weltweit berühmt macht. Zu verdanken ist das den beiden Konzertveranstaltern Holger Hübner und Thomas Jensen. Sie sind damals Mitte 20.
Self-made-Metal: Das erste Wacken Open Air
Mitte 20 auf dem Dorf: Das kann die Hölle sein, vor allem als Heavy-Metal-Fan. Denn in Wacken gibt es damals keine wilden Gitarrensoli, sondern Disco-Abende und Blasmusik. Das muss geändert werden, beschließen Hübner und Jensen – und stellen mit Freunden und ihren Familien das erste Wacken Open Air auf die Beine. „Wir waren jung, hatten Bock, wollten mit unseren Freunden feiern und haben einfach gemacht“, erklärt Hübner Jahre später in einem Interview. Als Veranstaltungsort wählen sie eine Sandkuhle in der Nähe. Nicht in ihren kühnsten Träumen hätten sich die beiden ausmalen können, dass ihre Idee so riesig werden würde, erklärt Hübner.
Den Headliner geben damals Skyline, bei denen Thomas Jensen persönlich am Bass steht. „Ich spielte mit meiner Band, zapfte nebenbei Bier und konnte die Einnahmen noch in meine Hosentasche stecken“, erinnert er sich ans erste Wacken Open Air. Skyline-Schlagzeuger Andreas „Gösy“ Schlüter ist ein langjähriger Freund von Thomas und Holger; außerdem gehört er ebenfalls zu den frühen W:O:A-Organisatoren. „Wenn man sein eigenes Festival auf die Beine stellen möchte“, erzählt er im Interview mit Powermetal.de, „und eine eigene Band hat, die halbwegs geradeaus spielen kann, wäre man ja total bescheuert, wenn man sich nicht als Headliner aufs Plakat schreibt!“
Headbangen bis zum Haushaltsloch: Finanziell war’s nicht immer leicht
Holger Hübner absolviert damals eine Ausbildung zum Industriekaufmann, was gewisse Vorteile mit sich bringt. „Das Kopiergerät im Büro war damals mein bester Freund“, grinst er im Interview mit Radio BOB!, „denn da konnte ich diverse Sachen für das Wacken Open Air kopieren.“ Die erschlichenen Werbemaßnahmen sollen sich auszahlen, denn die erste Ausgabe des Festivals wird zum Erfolg – zumindest denken Hübner und Jensen das, wie Jensen im Gespräch bei SWR1 Leute verrät: „Ich glaube, wir haben das betriebswirtschaftlich nie sauber abgerechnet und vieles ignoriert. Es gab aber noch eine Dankesfeier für die ganzen freiwilligen Helfer.“
Nach dem ersten Wacken Open Air geht’s weiter: 1991 spielt mit Gypsy Kyss zum ersten Mal eine US-amerikanische Band auf dem Holy Ground. Ein Jahr später gehen Holger Hübner und Thomas Jensen in die Vollen und buchen die britischen Metal-Legenden Saxon – mit einem Bankkredit über 25.000 Mark. Das Darlehen ist der Anfang einer finanziellen Misere. Wenige Jahre später stehen Hübner, Jensen und ihre Mitstreiter vor einem 350.000-Mark-Schuldenberg. Sie bitten ihre Eltern um Hilfe, die per Bürgschaft dafür sorgen, dass die jungen Metal-Fans ihre Finanzen in Ordnung bringen können. Stück für Stück zahlen sie ihre Schulden ab.
Von der Sandkuhle zur Legende: 35 Jahre Wacken Open Air
Etwa 30 Jahre später ist das Wacken Open Air mehr als nur rentabel und bis heute einer der wichtigsten Anlauforte für die weltweite Metalszene. Rund 85.000 Metal-Fans strömen jedes Jahr auf den „Holy Ground“. Rechnet man die umliegenden Campingflächen dazu, sind es sogar noch weitaus mehr, denn zusätzlich zu den Festivalgänger:innen reisen viele Fans ohne Tickets an. Die kosten inzwischen nicht mehr zwölf Mark, sondern 333 Euro. Dafür spielen allerdings auch nicht mehr nur sechs Bands, sondern mehr als 200 beim Wacken Open Air. 1,70 Euro pro Gruppe – das kann man gut oder schlecht finden. Aber alles ist besser als Dorfdisco, oder?