Vor 50 Jahren gehen Deep Purple beim California Jam vor 250.000 Fans auf die Bühne. Die erste große Show der Mark-III-Besetzung versinkt um Haaresbreite in Chaos und Zerstörung – und zwingt die Band dazu, mit einem Helikopter abzuhauen.
von Björn Springorum
1974 sind Deep Purple mal wieder bei einer neuen Besetzung angekommen. Ian Gillan und Roger Glover sind raus, dafür singt jetzt der bis dato unbekannte David Coverdale, während Glenn Hughes den vakanten Posten des Bassisten übernimmt. Der Übergang funktioniert reibungslos: Das erste gemeinsame Album Burn wird zum großen Erfolg, der furiose Titeltrack auf ewig zu einem der großen Klassiker im Hard-Rock-Gebetsbuch. Mit dieser Besetzung gehen Deep Purple 1974 auf großangelegte Welttournee, lassen es sich gutgehen, entwickeln eine Vorliebe für Discopuder und begeistern mit entfesselten Liveshows.
Das lauteste Konzert der Welt
Am 6. April sind sie eine von vielen Bands beim ersten California Jam. 250.000 Menschen pilgern zum Ontario Motor Speedway, wo sie für 10 US-Dollar unter anderem die Eagles, Black Sabbath, Emerson, Lake & Palmer und eben Deep Purple zu sehen bekommen. Damit bricht das Festival gleich mehrere Rekorde: Es hat die lauteste jemals installierte Verstärkeranlage, die höchste Besucher*innenzahl und den höchsten Bruttobetrag in der Geschichte. Mehr noch: Die Professionalität gibt schon einen Vorgeschmack auf die Kommerzialisierung und Korporatisierung der Rockmusik.
Ist Deep Purple natürlich recht. Sie kommen als die großen Stars, gemeinsam mit den Prog-Wunderkindern Emerson, Lake & Palmer co-headlinen sie das Mega-Event. Irgendwie scheinen Deep Purple aber in Sachen Entscheidungsgewalt die Nase vorn zu haben: Sie dürfen selbst bestimmen, wann sie auf die Bühne gehen. Natürlich suchen sie sich den kalifornischen Sonnenuntergang aus, der schön dramatisch wirkt und zudem angenehmere Temperaturen nach diesem ungewöhnlich heißen Tag verspricht.
Deep Purple lassen die Massen warten
Weil sie aber durch reichlich ähnliche Erfahrungen davon ausgehen, dass sich die Show, wie bei allen Festivals damals, deutlich verspäten würde, verzögern sie ihren Auftritt. Das Festival ist aber so professionell und effizient organisiert, dass man sogar vor dem Zeitplan liegt. Deep Purple haben da backstage aber noch ganz andere Sachen im Sinn. Was man eben so macht, backstage in den Siebzigern. Den Veranstaltern passt das so gar nicht: Sie wollen Deep Purple mit Androhungen von Gewalt auf die Bühne zwingen, sind sogar kurz davor, ihren Auftritt abzusagen. Rockstars wie Deep Purple lässt das kalt: Sie lassen eine weitere Stunde vergehen, bis es fast dunkel ist.
Gitarrist Ritchie Blackmore nimmt diese Kränkung seines Status als gottgleiches Wesen sehr ernst: Er schließt sich in seiner Garderobe ein und weigert sich, auf die Bühne zu gehen. Erst nachdem der Veranstalter ABC den örtlichen Sheriff holt, um Blackmore zu verhaften, willigt der ein und schließt auf, Deep Purple können auf die Bühne gehen. Dort entfesseln Deep Purple ein Lehrstück in Sachen Hard Rock: Eine Funken schlagende Version von Burn eröffnet das Spektakel, Blackmore spielt entfesselt, als wäre nichts geschehen, Ian Paices Drums sind muskulöse Paukenschläge, Jon Lord ist überragend an den Keyboards, Coverdale und Hughes geben ein packendes Duell an den Vocals. Dafür, dass diese Besetzung erst derart kurz zusammenspielt, ist die Chemie beeindruckend. Diese Band ist eine Naturgewalt.
Verdächtiges Schnupfen
High ist sie auch. Und wer genau hinhört, merkt das auch: Glenn Hughes, legendär im Satinsakko ohne Hemd, zieht bei Mistreated mehrfach unverkennbar die Nase am Mikrofon hoch. Da hat jemand sehr schnell seine Rolle als Rockstar gefunden. Coverdale wirkt im Vergleich dazu regelrecht zahm. Der Star ist und bleibt aber ganz klar Ritchie Blackmore. Daran lassen weder sein Spiel noch seine Person irgendeinen Zweifel offen.
Irgendwann holt aber auch ihn der Irrsinn ein: Zum Ende des Sets wirbelt er seine Gitarre wild herum, spielt sie mit den Füßen, wirft sie von der Bühne, nur um sich gleich darauf eine identische Gitarre zu schnappen und wild weiterzuspielen. Die haut er dann mit voller Absicht und gleich fünf Mal in eine der Fernsehkameras, die das Spektakel live übertragen. Danach zerlegt er sie fachmännisch und mit der Präzision eines Serienkillers in ihre Einzelteile. Das arme Instrument! Dann lässt er sie geschossähnlich ins Publikum segeln, wo sich die Leute gierig darauf stürzen. Rock’n’Roll all night!
Die Bühne wird in Brand gesetzt
Aber kein Ding, er holt sich einfach eine dritte Gitarre von Stagehands, die mittlerweile alle mehr oder weniger verängstigt hinter den Boxentürmen kauern. Dann explodiert auch noch einer von Blackmores Verstärkern, weil er mit der Pyrotechnik herumspielt, und setzt kurzzeitig die ganze Bühne in einer großen Stichflamme in Brand, während Blackmore wie ein urzeitlicher Schamane um die Flammen tanzt. Drei Verstärker schmeißt er noch von der hohen Bühne, dann spielt er einfach leichtfüßig weiter, als hätte er gerade Schwanensee getanzt. Coke is a hell of a drug,
Es wundert nicht, dass Deep Purple direkt nach ihrer Show in einen Helikopter flüchten und das Festivalgelände sprunghaft verlassen. Polizei, Feuerwehrleute und Veranstalter hätten liebend gern ein Hühnchen mit dieser Band gerupft. Der auf 10.000 US-Dollar geschätzte Schaden wird dann untertänig und ohne Murren von den Managern der Band bezahlt. Man kann es sich damals eben noch leisten.
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