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Foto: Fiona Adams/Redferns/Getty Images

Zum 80. Geburtstag von Bob Dylan: Sein Leben in 11 Songs

Die Stimme Amerikas feiert runden Geburtstag: Zum 80. von Bob Dylan widmen wir uns elf essentiellen Songs, die den Stein für ihn so richtig ins Rollen gebracht haben.

von Björn Springorum

Der größte Songpoet des 21. Jahrhunderts feiert seinen 80. Geburtstag. Hinter Bob Dylan liegen 60 Jahre des musikalischen Widerstands. Widerstand gegen die Norm, die Politik, die Rollen, in die man ihn zwängen wollte. Von seinen Anfängen als Folk-Barde über den Eklat der Elektrifizierung bis hin zu seinen düsteren Meisterstücken der Neunziger hat Dylan ein Gesamtwerk erschaffen, das in seiner Vielfalt und Üppigkeit unübertroffen ist und sogar vom Nobelpreis für Literatur gekrönt wurde. Seine Lieder haben die USA vermessen, haben neue Standards gesetzt und alte abgeschafft. Bob Dylan hat der Musik bis heute ein zeitloses Koordinatensystem geschenkt – eine Musik, die auf ewig modern klingen wird und dennoch das Echo der Vergangenheit heraufbeschwört.

Natürlich ist man deswegen von vornherein zum Scheitern verurteilt, wenn man Bob Dylans Werk auf elf Songs eindampfen will. Genauso gut könnte man aus Hemingways Gesamtausgabe wahllos zehn Seiten herauslösen. Dennoch soll der Versuch gewagt werden, uns diesem Hemingway der Musik mittels elf sorgsam verlesener Stücke anzunähern und Blowin‘ In The Wind diesmal einfach wegzulassen. Mehr als daran scheitern können wir ja auch nicht.

1. Tangled Up In Blue (von Blood On The Tracks, 1975)

Vordergründig mag der Opener von Blood On The Tracks von seiner bröckelnden Ehe handeln; wer genau hinhört, erkennt auch eine bittere Abrechnung mit der Illusion der Sechziger in den Zeilen. Der Hippie-Traum ist Mitte der Siebziger endgültig im Rauch des verlorenen Vietnamkriegs aufgegangen, die Utopie hat eine Bruchlandung hingelegt – und das eben zufällig parallel zu seiner Ehe. „Für diese Nummer musste ich zehn Jahre leben und zwei Jahre komponieren“, sagte Dylan oft. Hat sich natürlich gelohnt: Die schmerzhafte Nostalgie, das Aufarbeiten einer ganz eigenen Architektur des Scheiterns, eingefasst in einem Trost spendenden Folk-Song und die furiosen Minneapolis-Musiker, mit denen er Blood On The Tracks eingespielt hat.

2. I Shall Be Released (von Bob Dylan’s Greatest Hits Vol. II, 1971)

Nach seinen evokativen, literarischen, weitläufigen Geniestreichen der Sechziger ist es Dylan eher nach simpleren, einfacheren Botschaften. Er findet sie im Gospel, von dem er sich bei I Shall Be Released stark beeinflussen lässt. Nasal und voller Herzblut singt er sich in die Rolle eines Gefangenen, der sich nach dem Duft der Freiheit sehnt, perfektioniert von der Mundharmonika und seinem Zusammenspiel mit Greenwich-Legende Happy Traum. Deutlich weniger Text als zuvor, aber dafür deutlich aufgeladener, mit jedem Buchstaben genau da, wo er hingehört. Mit anderen Worten: Poesie. Pure Poesie.

3. Visions Of Johanna (von Blonde On Blonde, 1966)

Was wir im obigen Text mit evokativ, literarisch und weitläufig meinten, manifestiert sich in Visions Of Johanna vom Jahrhundertalbum Blonde On Blonde: Fünf lange Verse erzählen eine komplette Kurzgeschichte voller Sehnsucht, erotischer Fantasien und den Verlockungen und Abgründen New Yorks. In einem einzigen rauschhaften Take in Nashville aufgenommen, tritt in den Zeilen der ganze Bob Dylan hervor: der romantische Flüsterer, der manische Knurrhahn, der entfesselte Troubadour, der arme Poet. Lob muss hier aber auch an seinen Gitarristen Robbie Robertson gehen, der sein Instrument unvergessen zum Heulen bringt.

4. Ballad Of A Thin Man (von Highway 61 Revisited, 1965)

1965 wendet sich Bob Dylan gegen alles, was ihn berühmt, reich und begehrt gemacht hat. Er kehrt dem Folk-Song den Rücken zu und will seine Karriere unter dem verzerrten Lärm der Verstärker begraben, die das Publikum beim Newport Folk Festival im Sommer 1965 an den Rand der Tollwut bringen. Nur einen Monat später veröffentlicht er Highway 61 Revisited. Die Ausnahmeerscheinung darauf ist Ballad Of A Thin Man: Dylan hämmert auf das Piano ein, Al Cooper bedient die Horrorfilm-Orgel, der Text trieft vor Verachtung. „Because something is happening here but you don’t know what it is“, singt Dylan all jenen Kritiker*innen ins Gesicht, die ihn nicht aus seinem engen Folk-Korsett ausbrechen lassen wollten. Eine düstere, morbide, furiose Nummer.

5. Masters Of War (von The Freewheelin’ Bob Dylan, 1963)

Natürlich kann man verstehen, weswegen niemand so recht wollte, dass Dylan die Protestschublade schließt: Seine Songs waren einfach zu gut! Einer der besten von ihnen ist Masters Of War, diese mantraeske Anklage gegen Waffengewalt, Kriegstreiber und Kollateralschäden. Inspiriert von der Melodie des Folk-Songs Nottamun Town und bewusst monoton gehalten, entströmt dem Song eine gruselige Dringlichkeit, der man sich fast 60 Jahre später nicht entziehen kann. Direkter als hier klagte Dylan nie an: „And I hope that you die – And your death will come soon – I’ll follow your casket – By the pale afternoon.“ Puh.

6. Man In The Long Black Coat (von Oh Mercy, 1989)

Und am Anfang zirpen die Grillen: Man In The Long Black Coat ist einer dieser Songs, die man immer wieder hören kann – und das mitten in Dylans vielleicht schwierigster Periode. Die elegische Stimmung, die verhallenden Gitarren, das Hintergrundzirpen, die sonore Stimme von Dylan transferieren in die schwüle amerikanische Weite kurz vor einem Gewitter. Ein Americana-Manifest im klassischsten Sinne, eine Erzählung von einer Frau, die ihren Mann für die Teufel verlässt. Das hätte Nick Cave auch nicht besser hinbekommen!

7. Subterranean Homesick Blues (von Bringing It All Back Home, 1965)

Wie viele „beste Songs aller Zeiten“ hat dieser Dylan eigentlich geschrieben? Egal, hier ist ein weiterer. Inspiriert, wie so oft, von der Beat-Poesie eines Jack Kerouac, macht Subterranean Homesick Blues die Größe, die Klasse, die Kreativität und die Strahlkraft von Bob Dylan Mitte der Sechziger deutlich. Nicht nur hat der Song ein absolut hinreißendes Video, er fegt mit seiner Wucht, seiner Chuzpe und seiner fiebrigen, nicht nachlassenden Energie bis heute alles weg. Selbst John Lennon ereilte nach dem erstmaligen Hören dieses Blues-Rock-Naturereignisses die schmerzhafte Erkenntnis, dass er wohl nie einen besseren Song schreiben würde. Was für ein Erdrutsch!

8. A Hard Rain’s A-Gonna Fall (von The Freewheelin’ Bob Dylan, 1963)

Legen wir uns mal fest: Niemand hat je einen besseren Protestsong geschrieben als A Hard Rain’s A-Gonna Fall, ein Epos von sieben Minuten, das mit eindringlichen und expliziten sprachlichen Bildern vor der nahenden Apokalypse warnt. Die nukleare Bedrohung bringt Dylan 1963 dazu, alles, was ihm auf der Seele brennt, in einen Song zu packen – er geht nicht davon aus, genug Zeit zu haben, alles in einzelnen Stücke zu verarbeiten. Ein Gedicht in Liedform, eine Vorbereitung auf das Ende aller Dinge, ein Song, größer als die Kunstform selbst.

9. All Along The Watchtower (von John Wesley Harding, 1967)

Die definitive Version stammt von Jimi Hendrix, das mag schon sein. Das Knochenmark dieses Meilensteins ruht jedoch in Dylans Original. Veröffentlicht 1967 auf dem Folk-Comeback John Wesley Harding, ist All Along The Watchtower die ernste Reflexion eines absurden Theaters: Ein Narr, der Angst hat, ausgeraubt zu werden, und ein Dieb, der alles nur für einen Witz hält – Dylan erschafft das unvergleichlichste Duo der Musikgeschichte und schenkt ihnen eine Ballade, die trotz ihrer gerade mal zweieinhalb Minuten Länge das Zeug zum Opus hat.

10. Blind Willie McTell (von The Bootleg Series Volumes 1–3 (Rare & Unreleased) 1961–1991)

Diese Nummer wird wahrscheinlich in den wenigsten Top-10-Listen rund um Großmeister Dylan auftauchen – und doch ist Blind Willie McTell ein bewegendes, melancholisches, fast schon sakrales Stück Folk-Musik: eine Southern-Gothic-Ballade über den legendären Blues-Künstler, die unglaubliche acht Jahre auf ihre Veröffentlichung warten musste. Hier begegnet uns der Dylan der Achtziger, der all seine Trademarks der Sechziger wieder hervorholt und sie 20 Jahre gealtert interpretiert. Düster, gedankenverloren, groß – und fast schon ein Tribut an Desolation Row.

11. Like A Rolling Stone (von Highway 61 Revisited, 1965)

Ein Lied wie die Iden des März: zornig, zynisch, fiebrig, voller Spott für die feine Gesellschaft, die Trendsetter und die Politik. Alle, einfach alle bekommen ihr Fett weg. Im Feuer von Like A Rolling Stone wird 1965 der neue Bob Dylan geschmiedet, der Ikonoklast, mit dem fortan zu rechnen sein wird. Ein unfassbares Lied, ein unfassbarer Text, eine unfassbare Vortragsweise, für Generationen von Musiker*innen zugleich Vorbild und größter Schrecken. Wie kann man nur so gut sein? Wie?

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