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Foto: Ami Vitale/Getty Images

Gegen den Strom: Warum die CD das beste Medium für Musik ist

In der Musik gibt es so manches Konsens-Thema: Die Beatles sind die beste Band aller Zeiten, Jimi Hendrix war der größte Gitarrenvirtuose, der je auf Erden wandelte, und für Metallica ging es allerspätestens mit dem „schwarzen Album“ bergab. Aber kann man das wirklich so stehen lassen? In der Serie „Gegen den Strom“ hinterfragen wir die vermeintlich unumstößlichen Wahrheiten des Rock. Heute: Warum Vinyl nicht das Maß aller Dinge ist.

von Michael Döringer

Kälte, Indifferenz und Schadenfreude

Die CD-Verkaufszahlen befinden sich seit Jahren auf totalem Sinkflug. Eine CD ist nichts mehr wert. Keinem Medium begegnet man mit mehr Kälte und Indifferenz in der Musikwelt, die Schadenfreude über den Niedergang der kleinen Plastikscheiben ist groß, während die Schallplatte gefeiert wird. Wieso so einseitig? Das geht an alle, die ihre Regale noch immer mit Jewel Cases füllen. Eine Liebeserklärung an die CD und ihre Möglichkeiten.

Wie soll man im Jahr 2020 Musik hören? Nichts wird ausdauernder debattiert. Digital- und Analogverfechter führen – wie in allen anderen Bereichen – einen regelrechten Glaubenskrieg, wenn es um das bessere Format und den überlegenen Tonträger geht. Mit jeder technischen Neuerung erhöhen sich schließlich die Möglichkeiten, alte Formate neu zu entdecken. Leute mit Walkman? Kommen immer wieder öfter vor. Der Kampf um das real führende Format ist derweil für die nähere Zukunft längst entschieden. 2019 legte in den USA der Umsatz durch Streaming-Dienste um 20 Prozent zu und macht nun pralle 79,5 Prozent des Gesamtumsatzes mit Musik aus. Auch auf dem deutschen Markt schrumpfen physische Verkäufe weiter stark, bei den digitalen Umsätzen gingen im Jahr 2018 81,7 Prozent auf das Konto von Streaming. Noch toter als die toten Tonträger CD und Vinyl scheint nur der MP3-Download zu sein.

CDs gelten als unsexy

Noch mehr aktuelle Zahlen: Rund 51 Millionen CD-Alben wurden 2018 in Deutschland verkauft. Das klingt nach viel, weil die Fallhöhe so enorm war. Im Vergleich zum Vorjahr sind es aber fast 20 Prozent weniger. 2009 wurden noch über 100 Millionen CDs verkauft. Von diesen Zahlen sind die Vinylverkäufe natürlich weit entfernt. Bedeutet: Die CD ist immer noch das physische Massenmedium, auch wenn ihr Volumen stetig abnimmt. Doch sie ist längst totgesagt und vor allem ästhetisch geächtet. Kein neuer Computer besitzt noch ein Laufwerk, CD-Player verschwinden aus Wohnungen und werden, wenn nicht durch einen Sonos-Lautsprecher, durch einen Retro-Plattenspieler ersetzt. Bei den meisten Audiophilen war dieses Medium sowieso schon immer unten durch. Es gilt heute weder als sexy, CDs im Regal zu haben, noch sie zu hören. Wieso eigentlich?

Das Hauptargument, das oft für Vinyl und gegen CDs angeführt wird, ist nämlich falsch: Neutral und technisch betrachtet ist die CD in Sachen Klangqualität der Schallplatte in jeder Hinsicht überlegen. „Klingt einfach besser“, diesem Spruch fehlt jede objektive Grundlage. Aber wir wollen hier ja sowieso subjektiv werden hier. Es gibt genug fachkundige Erörterungen im Netz zum Thema Analog vs. Digital, wie das folgende Video.

Die Musik diktiert das Medium

Es soll hier auch gar nicht darum gehen, ob Vinyl oder CD besser klingt. Wer Platten lieber mag: fair enough. Man weiß sowieso längst, dass guter Klang von vielen Variablen abhängt. Manche lieben den sogenannten warmen Sound der undefinierten Bassfrequenzen (Vinyl), andere den manchmal kühlen, geschnitten scharfen Klang der CD. Welche Genres man hört, sollte deshalb viel stärker auch das Medium diktieren. Genau so wie die Technik, mit der Musik aufgenommen wurde beziehungsweise wie man sie neu gemastert hat. Fakt ist: Wie am Anfang der CD-Ära gibt es horrende Qualitätsunterschiede. Viele aktuelle Vinyl-Reissues sind so mies gemastert und gepresst, dass der analoge Tonträger keinen Sinn macht, denn er klingt unter Umständen sogar schlechter als dein Spotify-Stream.

Bekenntnisse eines Ex-Plattensammlers

Das hier soll eine Verteidigung der CD werden, weil es solche Verteidigungen so gut wie nie gibt. Ich liebe CDs – ihren Klang, ihre Bedienung, ihre Optik.

Das hier ist auch das Bekenntnis eines ehemaligen Plattensammlers, der die CD neu entdeckt hat. Irgendwann habe ich mich frustriert gefragt, warum ich den Quatsch mit den Platten eigentlich mache. Sie werden immer teurer, schwieriger zu bekommen und bieten mir persönlich den geringsten Hörkomfort. Die angebliche überlegene Klangqualität des Analogen, ich habe sie glaube ich nie wirklich erlebt, trotz gutem Tonabnehmer und Anlage. Vielleicht sind meine auralen Sensoren einfach zu schlecht ausgebildet, wahrscheinlich höre ich aber einfach auch schlecht. Von daher freue ich mich, wenn ich eine CD einlege und erst mal alles schön laut ist.

Habenwollen geht nicht digital

Ich erwarte nicht, dass ich andere mit meinen Argumenten überzeugen kann. Vielleicht befinden sich da draußen manche ja in der exakt selben Situation. Aber ich spüre die stille Mehrheit, die immer noch auf die CD schwört. Die 50 Millionen Verkäufe können ja nicht  alle von den Supermarkt-Aufstellern für das  neue Helene Fischer-Album kommen. Auch wenn ich also kein Vinyl mehr kaufe, brauche ich den physischen Tonträger. Das mag irrational sein, aber das Album in meine Mediathek oder der Ordner auf meiner Festplatte reichen mir einfach nicht. Bevor ich nicht irgendwas ins Regal stellen kann, habe ich nicht das Gefühl, die Musik wirklich bei mir zu haben.

Praktische Argumente seit 1982

Warum also CD statt Vinyl? Die klassischen Mehrwertversprechen, die der Chef von Philips im Jahr 1982 zur Markteinführung der CD wohl geliefert hat, gelten noch immer: ist kleiner und braucht weniger Platz als eine Schallplatte, hat fast doppelt so viel Spielzeit. Bitte mal praktisch denken, Leute! Wer schon einen Umzug mit 20 Kisten Platten gemacht hat, wird das verstehen. Noch dem zweiten Umzug ist einem die analoge Leidenschaft immer egaler. Man stellt sich über die Jahre eine ganze Regalwand voll, vor der ich man sich irgendwann fürchtet. Bei CDs dauert das wenigstens ein bisschen länger und die kleinen Dinger sind weit weniger bedrohlich.

Kompromisse und Rituale

Wir wollen trotzdem gerecht abwägen: Die schönen großen Schallplatten-Artworks sind unschlagbar. Wie schön ist es, ein Gatefold-Cover zum ersten mal aufzuklappen? Digital ist nicht unbedingt in jeder Hinsicht besser als analog. Doch die CD scheint mir der perfekte Kompromiss zwischen Schallplatte und digitalem File zu sein. Man bekommt das Beste von beidem, nämlich einen physischen Tonträger mit Cover und Booklet, ein Produkt zum Sammeln, Besitzen und Liebhaben. Gleichzeitig hat man die Vorzüge des digitalen Klangs, sofern man ihn mag, und die Unannehmlichkeiten des Plattenhörens fallen weg. Auch so ein Vinyl-Argument ist nämlich, dass das Ritual des Plattenauflegens dem Musikhören ein bisschen mehr Magie verleiht. Nadel aufsetzen, Platte umdrehen nach 20 Minuten, die ganze Experience. Völlig legitim, ich lese ja auch gerne echte Bücher und blättere Papierseiten um. Aber beim Musikhören kann ich auf diesen Zeitaufwand echt verzichten. Die Magie suche ich dann lieber in der Musik.

Wer Plattenknistern für warmen Sound und Gedanken braucht, der kann sich auch einen Kamin zulegen. Das Ritual des Plattenumdrehens? Pure Nostalgie. Wenn ich mir Exile On Main St, The River oder die erste Use Your Illusion in voller Länge reinziehen möchte, warum soll ich währenddessen dreimal aufstehen müssen? Diese peinliche Stille verleiht dem Albumkonzept garantiert keinen zusätzlichen Zauber. Und ich sitze wirklich gern ein ganzes Album lang bequem auf der Couch und skippe im Notfall mit der Fernbedienung den einen schlechten Song weiter. Und den gibt es fast immer, macht euch bloß nichts vor.

Vom Vinyl-Hype zur CD

Die Erkenntnis, wie sehr ich CDs mag, kam letztendlich durch den Vinyl-Hype, den auch ich lange mitgemacht habe. Irgendwann sah ich nicht mehr ein, wieso die Vinyl-Pressung des neuen Albums von Band XY doppelt so viel kosten muss wie die CD-Version. Alte Klassiker als Erstpressung bei Discogs kaufen? Schon längst unmöglich, weil mit Second-Hand-Vinyl richtig viel Geld verdient werden will. Hey, dann greife ich eben am Wühltisch beim Elektrogroßmarkt zu. Die wollen ja scheinbar alle CDs so schnell wie möglich zu Schleuderpreisen loswerden. Besten Dank. So kann ich die Alben nämlich auch im Auto hören.

Vielleicht ein komisches Argument, weil das Privatauto ja auch eher kein Zukunftsmodell ist. Aber ich höre wirklich gern CDs im Auto und will mein Smartphone weder per Bluetooth noch Klinkenkabel verbinden. Ich will mein Handschuhfach gerammelt voll mit CDs haben als wär es 1999. Das ist natürlich auch eine Form von Nostalgie, wie auch das Festhalten an Vinyl. Nur eben so viel praktischer. Und auch wenn Streaming noch viel praktischer ist, wir sollten alle irgendwie ein bisschen am physischen Tonträger festhalten, egal in welcher Art. Gerade jetzt, wo nach und nach alles digitalisiert wird und sich verflüchtigt, will man die wirklich wichtigen Sachen auch mal wieder in die Hand nehmen. Da kann eine kleine Plastikbox die Welt bedeuten.