Fast 60 Jahre gab er auf der Galeere der Rolling Stones den Takt vor: Wir werfen einen Blick auf ausgewählte Stones-Songs, die Charlie Watts’ Ausnahmerolle als früherer Schlagzeuger, Uhrwerk und Metronom der größten noch verbliebenen Rock’n’Roll-Band unserer Zeit unterstreichen.
von Björn Springorum
Charlie Watts war die Antithese zu Mick Jagger und Keith Richards. Wo die Glimmer Twins als Blaupause für Sex, Drugs und Rock’n’Roll gelten dürfen, war Watts der Rockstar wider Willen, der Jazzer im feinen Zwirn, der immer ein wenig den Eindruck erweckte, nur zufällig der Zeitnehmer für die größte Rock-Band des Planeten zu sein. Schüchtern, bescheiden, zurückhaltend, seit 1964 mit Shirley Ann Sheperd verheiratet. Diese neun Songs zeigen dennoch, dass man kein Jon Bonham oder Keith Moon sein muss, um zu den wichtigsten Drummern der Welt zu zählen.
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1. 19th Nervous Breakdown (Single, 1966)
Vielleicht hört man Watts’ Background als Jazz-Drummer nie deutlicher als auf der Non-Album-Single 19th Nervous Breakdown. Die lässige Art, mit der er sich durch die Strophen wedelt, ist mit nichts zu vergleichen, was andere Rock-Trommler Mitte der Sechziger da so zusammenhauten. Ja, im Refrain öffnet sich Watts dem typischen Pomp des Rock; in der Strophe wirkt er aber fast, als würde er die Drumsticks mit Grip spielen. Raffiniert statt einfach nur krachig.
2. Gimme Shelter (Let It Bleed, 1969)
Was für ein Lied! Gimme Shelter ist ein aufbrausender, bedrohlicher Tornado von einem Rock-Song, nach vorn getrieben von Watts’ mächtigen Snare-Einschlägen und Tom-Gewittern. Fast schon stoisch im Angesicht der Apokalypse, vollkommen ruhig im Auge des Sturms: Während der Rest der Band ins Fieber kippt, verteidigt Watts das Fort mit Präzision und Stärke.
3. Honky Tonk Women (Single, 1966)
Unfassbar, dieser Einstieg. Watts bereitet einem typischen Richards-Lick mit einem coolen, groovenden Takt die Bühne und gibt den Groove drei Minuten lang nicht wieder aus der Hand. Meisterhaft: Der Übergang von der nonchalanten Strophe zum druckvollen Refrain. Es mögen nur wenige Schläge sein, die Watts anders setzt. Die verleihen dem Song aber nun mal die Flügel, die ihn bis heute fliegen lassen. Außerdem haben wir hier die vielleicht erste prominente Verwendung der Cowbell. Sorry, Blue Öyster Cult!
4. Gett Off Of My Cloud (December’s Children (And Everybody’s), 1965)
Wo Charlie Watts auf Honky Tonk Women noch den punktgenauen, schweinecoolen Rock-Drummer gibt, zeigt er auf Get Off Of My Cloud ein vollkommen anderes Gesicht. Die zweite Nummer-1-Single der Stones nach (I Can’t get No) Satisfaction überrascht und begeistert mit einem fordernden, monotonen Schlagzeug-Muster, das man in einem derart erfolgreichen Song dieser Art so nicht noch mal zu hören bekommt. Strikt dem 4/4-Takt ergeben, reichert er den griffigen Song mit jeder Menge Fills an und lässt sich den gesamten Song über nicht mal ansatzweise aus der Ruhe bringen.
5. Sway (von Sticky Fingers, 1971)
Wie gut Charlie Watts als Drummer ist, zeigt er vielleicht besonders exemplarisch in Sway. Irgendwie wirkt er so, als würde er mit dem Rest der Stones im Proberaum sitzen und den Blues-Song das erste Mal hören. Er operiert immer gefühlt eine halbe Sekunde hinter dem Rest der Band – und genau dieses verschleppte, leicht angesoffene Gefühl trägt die B-Seite von Wild Horses ins Ziel.
6. Paint It, Black (von Aftermath, 1966)
Eine Menge Gründe sprechen für die Weltklasse von Paint It, Black. Die Sitar, die Hammond-Orgel, die fiebrige Stimmung. Charlie Watts’ donnerndes Drumming gehört auch dazu. Mehr als in den meisten anderen Stones-Songs pfeift er hier einfach mal auf subtiles, cleveres Spiel und geht in die Vollen: Furioses Tempo, fast schon angeberische Rolls, sehr viel Power und hartes Spiel – Wahnsinn!
7. Beast Of Burden (von Some Girls, 1978)
Meine Güte, dieser Groove. Dieser unfassbare Groove! Charlie Watts ist die Lokomotive, die den funkigen, bluesigen Song immer auf Spur hält und erfolgreich verhindert, dass er zu sehr mäandert oder außer Form gerät. Punktgenau, präzise, immer mit genügend Zeit für originelle Fills – man sieht Watts förmlich grinsen, während er den Song lässig vor sich her treibt.
8. (I Can’t Get No) Satisfaction (von Out Of Our Heads, 1965)
Wie hypnotisch und ikonisch kann Simplizität eigentlich sein? Es liegt eine schwer zu übertreffende Eleganz in Watts’ taktgebendem Drumming auf dem vielleicht berühmtesten Song der Stones, die jeder weitere Schlag, jedes Fill, jede Roll zerstören würde. Die locker gespielte Snare konstant auf der Eins, keine Pause, kein Break – nur exzellente Schlagzeuger können so einfach und doch so gut spielen.
9. Tumbling Dice (von Exile On Main St., 1972)
Wenn man weiß, wie und wo die Stones ihr großes Exilanten-Epos Exile On Main St. aufgenommen haben, ist es nur noch unfassbarer, was Charlie Watts auf der Platte so alles anstellt. Irgendwo in den Verliesen unter Richards’ Palast Nellcôte richtete sich Watts sein Kit ein und verleiht Songs wie Tumbling Dice seine bescheidene, stets unaufdringliche und dennoch eindringliche Art. Mühelos der Groove, gekonnt die Fills, meisterhaft sein Einstieg in jede Strophe.
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