Vor 45 Jahren erschien mit Low der erste Teil von David Bowies Berlin-Trilogie. Dabei wurde das Album eigentlich nur zum kleinen Teil in Berlin aufgenommen.
von Markus Brandstetter
Hier könnt ihr euch Low anhören: David Bowie suchte das Exil, den Neustart. Wir schreiben das Jahr 1976, Bowie hatte gerade Station to Station veröffentlicht und befand sich am Höhepunkt seiner Kokainsucht. Das hatte, zumindest sah Bowie das so, viel mit seiner Wahlheimat zu tun — denn in Los Angeles war das weiße Pulver in Bowies Kreisen zu jener Zeit omnipräsent. Eigentlich hatte Bowie vor, als nächstes Projekt den Soundtrack von The Man Who Fell To Earth zu veröffentlichen, zog sich aber wütend von dem Projekt zurück, als er erkannte, dass er nicht — wie er angenommen hatte — alleine dafür zuständig sein sollte.Bowie, gerade Anfang 30, war sauer, hatte er doch die ganze Arbeit umsonst gemacht. Nun, fast umsonst — denn zumindest einen Beitrag, den er für den Film konzipiert hatte, entwickelte er weiter und packte ihn schlussendlich auf das, was später Low werden sollte. Bevor er (zeitweilig) den USA den Rücken kehrte, ging er noch mit Station to Station auf Tour und sorgte als Thin White Duke für so einige kokainduzierte Kontroversen. Es war Zeit für Bowie, clean zu werden — das wusste er. „Ich befand mich in einem ernsthaften öffentlichen Niedergang, emotional und gesellschaftlich“, erklärte Bowie in einem Interview 1996 der britischen Zeitung Telegraph. „Ich glaube, ich war auf dem besten Weg, ein weiteres Rockopfer zu werden. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass ich die 70er Jahre nicht überlebt hätte, wenn ich so weitergemacht hätte wie bisher. Aber ich hatte das Glück, irgendwo in meinem Inneren zu wissen, dass ich mich wirklich umbrachte, und ich musste etwas Drastisches tun, um mich daraus zu befreien.“
Dass es ihn bald schon nach Berlin ziehen sollte, hatte auch musikalische Gründe. Bowie und Brian Eno (sie kannten sich schon seit einiger Zeit, aber jetzt intensivierte sich der Kontakt) waren mehr und mehr in die Werke von deutschen Bands wie Tangerine Dream, Harmonia, Neu! und Kraftwerk reingekippt. Und weil wir gerade von Berlin gesprochen hatten: Low gilt als erster Teil Bowies famoser Berlin-Trilogie — dabei wurde das Album großteils gar nicht in Berlin, sondern im französischen Château d'Hérouville, wo Bowie zuvor an Iggy Pops Debüt The Idiot gearbeitet hatte. Eigentlich war The Idiot lange vor Low fertig, Bowie wollte aber sein Album vorher veröffentlichen. Zuvor waren Bowie und seine damalige Frau Angela in die Schweiz gezogen, man sieht also: Bowie wollte raus aus den USA.
Entspannte Aufnahmen
Am 1. September 1976 gingen die Aufnahmen los. Bowie produzierte das Album gemeinsam mit Tony Visconti (der bei Station to Station ausgesetzt hatte — gut, dass er wieder zurück war). Visconti, das erklärte Bowie auch klar und deutlich, hatte bei Low eine maßgebende Rolle, war für die Klangarchitektur und den charakteristischen Sound von Low verantwortlich. Auch Brian Eno spielte eine wichtige Rolle, entgegen anderslautender Meinungen war er aber nicht als Produzent an Low beteiligt. Die Aufnahmeessions waren durchaus entspannt — auch, wenn Bowie durchaus mit privaten Problemen zu kämpfen hatte und auch mental noch nicht ganz gefestigt war. Brian Eno kam etwas später dazu – als er im Studio eintraf, waren die erste Hälfte der Backingtacks bereits so gut wie fertig. Auch wenn die Zeit prinzipiell gut für alle Beteiligten war, das Chateau ließ in vielerlei Hinsicht zu wünschen übrig. Irgendwann hatten Bowie, Visconti und Eno die Schnauze voll und flogen nach Berlin. Genauer gesagt in die Hansa-Studios, wo die Platte vollendet wurde.
Low ist zweigeteilt. Die erste Hälfte besteht aus Fragmenten, die zweite Hälfte aus längeren, ausführlichen Stücken. Insgesamt haben nur fünf der Lieder Gesang. Low ist atmosphärisch, dringlich, düster, verzweifelt. Es ist ein Wendepunkt in Bowies Diskografie, das Ende seiner Alter Egos. Die Plattenfirma zeigte sich damals nur wenig begeistert. Vielmehr waren die Labelleute irritiert von Bowies Werk, zögerten den Release sogar etwas raus. Die Geschichte sollte Bowie natürlich recht geben. Low zählt zu seinen wichtigsten Alben. Etliche bekannte Bands und Musiker berufen sich auf diese Platte, von Joy Division über Robert Smith bis Trent Reznor. Low war der Beginn von Bowies Berlin-Geschichte und erschien am 14. Januar 1977. Im selben Jahr wurde dann auch Teil 2 veröffentlicht — das nicht minder legendäre Heroes.
Low war auch für Bowie selbst eine wichtige Platte. „Insgesamt erhalte ich durch die Schleier der Verzweiflung von Low ein Gefühl von echtem Optimismus. Ich kann mich selbst hören, wie ich darum kämpfe, gesund zu werden“, erklärte er im Interview mit Uncut im Jahr 1999.
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