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Titelfoto: GAB Archive/Getty Images

„Days Of Future Passed“: Wie die Moody Blues vor 55 Jahren den Prog Rock erfinden

Zur Hälfte verwunschener Psych-Rock, zur Hälfte Orchester-Suite: 1967 wagen sich The Moody Blues mit Days Of Future Passed auf fremdes Terrain vor. Das Grenzgängertum zahlt sich aus – wenn auch überwiegend wegen Nights In White Satin.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr euch Days Of Future Passed anhören:

Was man nicht so alles tut, wenn man Geld braucht: 1967 sind The Moody Blues pleite. Und greifen nach jedem Strohhalm. Nach ihrem Debüt The Magnificent Moodies, das die Band 1965 noch als lupenreine R&B-Kapelle zeigt, spielt sich die Band um sämtliche Budgets und Reserven. Das bleibt natürlich auch ihrer Plattenfirma Decca nicht verborgen. Die möchte nach Möglichkeit die Kohle zurückholen, die sie bereits in die Moody Blues investiert haben. Und hat eine Idee.

Rock meets Classic

Decca, damals ein Name sowohl in der Klassik als auch im Rock’n’Roll, möchte das visionäre Stereo-Soundkonzept nach erfolgreicher Verankerung in der Klassik auch in der Rockmusik voranbringen. Und nutzt The Moody Blues als Versuchskaninchen. Decca lässt die Band ihre Schulden abstottern, indem sie ein Dvořák-Album zwischen Rock und Klassik aufnimmt. Die Idee: Die Band wird auf einem Mono-Kanal aufgenommen, das Orchester auf dem anderen, bevor dann alles zusammengemischt wird. Gab’s so noch nicht.

Die Moody Blues haben dennoch andere Pläne. Ermutigt von Michael Barclay, dessen Aufgabe es ist, Rock und Klassik zusammenzubringen, schreibt die Band ein eigenes Konzept und komponiert eigene Songs. Ein Geniestreich, von dem damals noch niemand etwas weiß: Zwischen Mai und November 1967 entsteht in den Londoner Decca Studios eines der ersten richtigen Konzeptalben – die Geschichte eines gewöhnlichen Lebens, übertragen auf die einzelnen Abschnitte eines Tages. Und es entstand erstaunlicherweise, weil The Moody Blues nicht auf ihr Label hören und einfach ihr eigenes Ding machen.

Das erste richtige Konzeptalbum

Am Grundprinzip des Werks ändert sich derweil nichts: Die Band schreibt einen Song und Peter Knight orchestrierte auf dieser Basis Stücke für das London Festival Orchestra. Alles daran ist revolutionär: Die Mischung zwischen Rock und Klassik. Das durchgehende Konzept. Die Tatsache, dass das hier kein Album mit „sechs Singles und sechs B-Seiten, die eh niemand hören will“ ist, wie  Bassist und Sänger John Lodge mal sagte. „Wir haben ein richtiges Album gemacht, 40 Minuten wahrhaftiger Musik. Es gibt keine Pausen auf Days Of Future Passed, ein Song fließt in den nächsten. Es ist ein Gesamtkunstwerk.“ Vielleicht war Sgt. Pepper früher dran; die Kohärenz im Narrativ und das Wiederkehren musikalischer Motive gibt es aber hier erstmals in voller Blüte zu hören.

Es gibt da nur ein Problem: Das Label Decca weiß noch nichts von seinem Glück. Im Hauptquartier geht man immer noch davon aus, dass da gerade eine revolutionäre Dvořák-Platte entsteht. The Moody Blues zeigen Decca nichts, keinen Schnipsel, keine Sekunde Musik, bis das ganze Werk im Kasten ist. „Das war eine Verschwörung zwischen allen Beteiligten“, so sagte Frontmann Justin Hayward mal. Als die Band das Album dann einem ganzen Raum voller alter weißer Decca-Funktionäre präsentierte, war die Verwirrung groß. Das präzise Urteil: „Das ist aber nicht Dvořák.“

Jahrhundertballade

Doch The Moody Blues rücken nicht davon ab, mehr oder weniger sicher, auch mit diesem zweiten Album keinen Hit zu landen und für immer in der Versenkung zu verschwinden. Diese Rechnung wurde aber eben ohne Nights In White Satin gemacht, diese unerreichte, kostbare, unglaubliche Jahrhundertballade über das Ende einer Beziehung und den Beginn einer neuen. Geschrieben von Hayward innerhalb von ein paar Minuten auf der Zwölfsaitigen, wird das Lied zunächst in Europa und dann auch in den USA ein großer Erfolg – auch, weil die Radiosender in den USA damals gerade auf Stereo umstellten und die Nummer glanzvoll aus dem Äther wehen konnte.

Days Of Future Passed steht heute erhaben als frühes Beispiel für Prog-Rock, als einer der Pioniere des Konzeptalbums, als Beweis, dass man öfter mal seinem eigenen Instinkt folgen sollte. Und die schwelgerische, verwunschene Albumversion von Nights In White Satin, die ist immer noch die beste. Magie pur.

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