Eigentlich müsste Roky Erickson in einem Atemzug mit Syd Barrett, Brian Jones und Jimi Hendrix genannt werden. Stattdessen überschatten psychische Probleme und Drogenmissbrauch eine der außergewöhnlichsten Karrieren der Rock’n’Roll-Geschichte. Würdigung eines oftmals übersehenen Vorreiters.
von Björn Springorum
Wer 1947 in Texas geboren wird, hat es als Teenager deutlich weniger leicht als Gleichaltrige in, sagen wir, San Francisco. Das Aufkommen der Gegenkultur wird auch vom jungen Roky Erickson mit Begeisterung und Aufregung verfolgt. Während die Mutter selbst Gitarrenstunden nimmt, um ihrem Sohn das Spielen beizubringen, ist der Vater weniger unterstützend: Er schneidet seinem Sohn die Haare gegen dessen Willen extra kurz.
Erickson schlägt auf seine Weise zurück und schmeißt die Schule kurz vor seinem Abschluss. Schon 1965 gründet er The 13th Floor Elevators – gemeinsam mit seinem Kumpel Tommy Hall, dem wahrscheinlich bekanntesten Electric-Jug-Spieler der Welt. Damit ist ein Tonkrug gemeint, in den man mit gespitzten Lippen hineinbläst. Das ist eigentlich fast alles, was man über die 13th Floor Elevators wissen muss. Fast, denn Hall gilt als derjenige, der den Terminus Psychedelic Rock erfindet und ihn gleich mal auf Visitenkarten drucken lässt. Somit gibt er unwissentlich all dem einen Namen gab, was ab der zweiten Hälfte der Sechziger vornehmlich in den USA und Großbritannien aus Rauch und Spiegeln entsteht.
Steigt Janis Joplin ein?
Auch in Texas tut sich was. The 13th Floor Elevators, komplettiert von Stacy Sutherland, macht sich in der Umgebung von Dallas schnell einen Namen. Sogar Janis Joplin, bekanntlich selbst Texanerin, denkt eine Weile darüber nach, der Band beizutreten, doch Chet Helms, der Vater des Summer Of Love, überredet sie dazu, nach San Francisco zu kommen. Der Rest ist Geschichte.
Also machen die 13th Floor Elevators als Trio weiter. Ihr Debüt The Psychedelic Sounds Of The 13th Floor Elevators erscheint im Oktober 1966. Aufgenommen im Sumet Sound Studio in Dallas unter der Leitung von Labelboss Lena Rogers, gilt das Werk heute als früher Referenzpunkt der psychedelischen Rockmusik. Es erscheint nur wenige Wochen nach Revolver von den Beatles und noch vor dem Debüt von Pink Floyd. Unwissentlich haben hier drei Texaner den Soundtrack für das geschrieben, was in wenigen Monaten drüben in San Francisco den Summer Of Love untermalen soll – ein kauziges, vernebeltes, verschrobenes und teilweise drückend hartes Album, aufgenommen unter dem Einfluss von LSD und gekrönt von einer der großen Hymnen der Gegenkultur, You’re Gonna Miss Me.
Mit nur 22 Jahren ist Schluss
Eigentlich hätte die Karriere der Band danach Fahrt aufnehmen können. Sollen. Doch es kommt anders. 1967 erscheint noch der Nachfolger Easter Everywhere. Es ist ihr Geniestreich, ein Klassiker des Psychedelic Rock, spirituell und transzendent, heute verehrt und damals mehr oder weniger übersehen. Wenig später dann, 1968 auf der Weltausstellung in San Antiono, verfällt Erickson auf der Bühne plötzlich in unverständliches Gebrabbel. Die Diagnose: Paranoide Schizophrenie. Mit 22 stirbt wenige Jahre zuvor sein Held Buddy Holly, mit 22 kommt Erickson in die Psychiatrie.
Das ist in den Sechzigern in Texas kein Spaß. Er bekommt gegen seinen Willen eine Elektroschocktherapie, pure Folter, wird 1969 entlassen. Doch das Leben meint es nicht gut mit ihm: Im selben Jahr wird er festgenommen, weil er im Besitz eines einzelnen Joints ist. Ihm drohen zehn Jahre Gefängnis. Erickson plädiert auf Wahnsinn, kommt deswegen nicht in den Knast und wieder in die Geschlossene. Damals wahrscheinlich auch nicht viel besser. Mehrfach flieht er, mehrfach wird er geschnappt. Die Folge: Mehr Elektroschocks und das Medikament Thorazin, das seine Kreativität erheblich einschränkt.
Roky, das Alien
Als er 1972 entlassen wird, ist er nicht mehr derselbe. Die 13th Floor Elevators gibt es nicht mehr, stattdessen spielt er in seiner neuen Band Bleib Alien Hard Rock mit Horror-Thematik. Er entgleitet Freunden und Familie, zieht sich zurück, entwickelt Wahnvorstellungen und eine ganz eigene Mythologie. 1982 behauptet er, ein Marsianer habe sich in seinem Körper eingenistet. Wenig später bezeichnet er sich selbst als Alien und will damit vor Gericht erreichen, dass Anschuldigungen gegen ihn fallen gelassen werden, weil irdische Gesetze ja wohl kaum für außerirdische Lebensformen gelten können. Die alte Geschichte von Genie und Wahnsinn hatte selten einen derart tragischen Helden.
„Rokys Geschichte ist der Abstieg in Dantes Inferno“, so bringt es Ericksons Freund Bill Bentley von Warner Bros. Records auf den Punkt. „Nie sah ich solche Genialität begleitet von einem derart tiefen Fall. Alles, was hätte schief gehen können, ging schief für ihn.“ Was bleibt, ist ein bizarres, tragisches, schwieriges Leben, in dem er es immer wieder mit Comebacks versucht. 2010 erscheint ein entrücktes Soloalbum, 2015 steht er sogar noch mal mit 13th Floor Elevators auf der Bühne, längst verehrt als psychedelischer Gründervater.
Am 31. Mai 2019 stirbt Roky Erickson in Austin, Texas. Bis heute ist keine Todesursache bekannt. Wahnsinniges Genie oder genialer Wahnsinniger – Roky Erickson hat in wenigen Jahren musikalische Pionierarbeit geleistet und von The Grateful Dead über ZZ Top bis hin zu Led Zeppelin so ziemlich alles beeinflusst, was danach groß wurde.
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