Sie sind das schönste Geschenk, das die 90er und 00er Jahre der Musikwelt bereitet haben: Hidden Tracks. Denn viele CDs und sogar einige Platten offenbaren erst beim Hören ungelistete Titel, die an andere Tracks angehangen wurden oder sich in parallelen Rillen verstecken. Doch nicht immer handelt es sich dabei um tatsächlich geheime Songs und so hat der Hidden Track Blood von My Chemical Romance sogar ein eigenes Musikvideo.
Mit dem Album The Black Parade schrieben My Chemical Romance im Jahre 2006 wahre Emo-Geschichte. Mit dem großspurigen Konzeptalbum brachte die US-amerikanische Band Storytelling in die Emo-Welt und katapultierte das einst nischige Genre vollends in die breitere Masse. Auf The Black Parade reihen sich ebenso viele kreischende Gitarrenläufe aneinander wie hochemotionale Momente, in denen man sich ans Herz fassen muss und die Zeilen gemeinsam mit Frontmann Gerard Way hinausschreien will – und das sogar länger als es die Trackliste verspricht.
Die Hochzeit der Hidden Tracks
Mit dem Jahr 2006 befinden wir uns nicht nur in der Hochzeit der Emo-Subkultur, sondern auch in einer wahren Hochzeit der CD und damit auch der Hidden Tracks. Musste man sich auf dem kostspieligen Vinyl noch gut überlegen, wie die begrenzten Minuten bespielt werden sollten, bot die CD neue Möglichkeiten und in die Welle des Alternative-Rocks mischten sich unzählige Hidden Tracks. Einer davon ist Blood, eine Kabarett-Nummer, die die besagte Black Parade nach 90 Sekunden Stille zu einem alternativen Ende führt. Der Titel hat eine eigene Nummer, nämlich die 14, und ist damit schon beim Einlegen der CD erkennbar. Genau genommen ist es also ein nicht gelisteter Track, und trotzdem ist Blood besonders in der Riege der Hidden Tracks, denn er ist einer der wenigen versteckten Songs, die mit einem eigenen Musikvideo versehen wurden.
Ein Hidden Track mit Musikvideo?
Das Video entstand augenscheinlich im selben Atemzug wie das Video zu Teenagers. Dieses spielt in einem typisch amerikanischen Schulgebäude, und auch in Blood sehen wir Gerard Way, Frank Iero, Mikey Way, Bob Bryar und Ray Toro in einer Umkleidekabine umgeben von knallroten Schließfächern. Die Band spaziert nonchalant zu dem schmissigen Geklimper ins Bild, ein Hund ist auch noch dabei und im Grunde passiert in dem Video auch nicht viel mehr. Way singt theatralisch in die Kamera und später gesellen sich dann noch einige Cheerleader zu My Chemical Romance. Trotz ihrer anbiedernden Tänze bleiben die jungen Frauen weitestgehend unbeachtet, bis schließlich am Ende des Titels die gesammelte Gruppe die schmale Umkleide verlässt.
Klar, das Video wurde wahrscheinlich an einem der Drehtage kurzerhand dazwischen geschoben, dennoch offenbart es, dass dieser Song zumindest so wichtig war, dass My Chemical Romance ihn in jedem Fall auf dem Album haben wollten. Mit dem Video wurde der Song aus der versteckten Ecke herausgelöst und 2007 zusammen mit Teenagers im Rahmen der Rock-Palooza-Veranstaltung uraufgeführt. Auch wenn er dem offiziellen Closer, dem stürmischen Famous Last Words, ein bisschen den Wind auf den Segeln nimmt, scheint dieser sarkastische Song der Band doch am Herzen gelegen zu haben.
Stilistisch ist Blood ein ziemlicher Ausreißer, wie es häufiger der Fall bei Hidden Tracks ist. Der Song wird fast ausschließlich von einem Piano begleitet und der Gesang ist mit einem blechernen Effekt versehen, sodass der kurze Song wie aus den 20ern erscheint. Die ironisch anmutende Kabarett-Musik hat nicht viel mit der sonstigen Rock-Opulenz des Albums zu tun, fügt sich aber dennoch ob des expressiven und markanten Gesangs von Gerard Way ziemlich gut ein; schließlich ist The Black Parade voller Stimmungswechsel. Doch wie passt der Song inhaltlich in das Album? Denn schließlich erzählt die Rockoper von My Chemical Romance ja auch eine übergeordnete Geschichte.
Zur Bedeutung von Blood
Innerhalb des Albums wird die Geschichte eines sterbenden Mannes (The Patient genannt) erzählt, der zurück auf sein Leben blickt, viel bereut, liebt, verzeiht und Revue passieren lässt. Dabei entsteht nicht gerade ein positives Bild, viel eher holen ihn immer wieder Zweifel ein. Der Patient hat also die schrecklichen Erlebnisse kurz vor dem Tod noch einmal durchlebt, trifft aber in Famous Last Words die Entscheidung, durchzuhalten und sich zu bessern, anstatt seinen Tod zu akzeptieren. In Blood kehrt er ins Leben zurück, wacht unter intensiver Behandlung im Krankenhaus auf (“A celebrated man amongst the gurneys / They can fix me proper with a bit of luck”) und singt ein sarkastisches Stück darüber, dass das Leben am Abgrund in der Klinik irgendwie beschissen ist.
Auf einer anderen Ebene könnte Blood aber auch selbstreferenziell auf den eigenen Ruhm von My Chemical Romance abzielen (ähnlich wie auch Teenagers). Spätestens mit ihrem zweiten Album Three Cheers For Sweet Revenge und dem damit einhergehenden Erfolg hatte sich insbesondere Kunstblut als MCRs nicht ganz freiwilliges Markenzeichen etabliert und der Einsatz von roter Flüssigkeit gehörte eigentlich zu jedem Konzert. Auch als Gerard Way zur Reunion Tour 2022 das erste Mal in einem blutverschmierten Anzug auf die Bühne trat, landete allein dieses Bühnenoutfit in mehreren Schlagzeilen. “So give them blood, blood, gallons of the stuff; Give them all that they can drink, and it will never be enough” kann also auch als ein Kommentar auf die blutverklebten Visuals verstanden werden. Und ganz zufällig passt dieses ganze Blut ja auch zum Thema Tod, also hat alles geklappt … Nur verständlich also, dass dieser augenzwinkernde Abgesang auf die Kunstblutjahre dann doch noch einmal etwas prominenter in der Öffentlichkeit platziert wurde, damit es auch alle mitbekommen.