Sie sind das schönste Geschenk, das die 90er und 00er Jahre der Musikwelt bereitet haben: Hidden Tracks. Denn viele CDs und sogar einige Platten offenbaren erst beim Hören ungelistete Titel, die an andere Tracks angehangen wurden oder sich in parallelen Rillen tarnen. Auch auf dem legendären Nirvana-Album Nevermind hat sich ein Titel versteckt: Endless Nameless. Ein brachialer, derber Titel, der ganz am Anfang des Hidden-Track-Geschichte steht.
Nachdem das Album offiziell mit dem zwölften Song Something In The Way auf einer ungewöhnlich ruhigen, sanften Note endet, schlägt der alternative Closingtrack Endless Nameless eine ganz andere Richtung ein. Laute Gitarren durchbrechen die zehnminütige Stille, die den Titel an Something In The Way bindet. Damit ist der Song auch noch beim Einlegen der CD für die Hörer:innen unsichtbar, denn er hat keine eigene Nummerierung und genauso war es auch geplant. Laut Dave Grohl sollte dieser Song in erster Linie für einen kleinen Schreck sorgen und ganz besonders diejenigen Hörer:innen irritieren, die Nevermind auf einem CD-Wechsler hörten.
Zu diesem Zeitpunkt waren Hidden Tracks noch kein etabliertes Mittel, um Titel auf ein Album zu schmuggeln, die beispielsweise etwas roher sind, stilistisch herausstechen oder aber mit expliziter Sprache auffallen. Diese Entwicklung nahm mit Nevermind seinen Lauf – und dabei hätte es diesen zusätzlichen Titel fast gar nicht gegeben.
Von den Beatles inspiriert?
Auf der ersten Auflage des Albums wurde Endless Nameless kurzum entfernt. Man hatte es für einen Fehler gehalten, und so gingen einige wenige Nevermind-CDs über den Tresen, die ganz konform mit Something In The Way endeten. Als der Band auffiel, dass die kleine Überraschung entfernt wurde, haben sie den Fauxpas schnell korrigiert. Genau andersherum war es übrigens bei dem wohl ersten prominenten Hidden Track: Her Majesty von den Beatles taucht nicht auf der Songliste von Abbey Road auf, ist aber nach einer kurzen Pause der letzte Titel des Albums. Eigentlich hatte man den kurzen Song vom Album geschmissen, doch um die Aufnahme vor dem Müll zu bewahren, klebte ihn der Techniker John Kurlander einfach an den letzten Song The End. Als ausgemachter Beatles-Fan war Kurt Cobain mit dem kleinen Extra-Titel sicherlich bestens vertraut.
Zerstörungswut im Studio
Viele Hidden Tracks sind nur als kleines Versteck auf den Alben gelandet, weil sie sich nicht so ganz in den Gesamtsound des jeweiligen Albums fügten – so ist auch Endless Nameless ein kleiner Querschläger, der deutlich härter und kratziger klingt als Nevermind insgesamt. Es ist der einzige Titel des Albums, der ganz und gar live aufgenommen wurde, heißt, alle spielen gleichzeitig und es gibt keine einzelnen sauberen Overdubs, die später für eine saubere Produktion sorgen. Dabei kommt es schon einmal vor, dass der Sound viele Störgeräusche enthält, da die jeweiligen Mikrofone auch Hintergrundgeräusche und die Musik der anderen Bandmitglieder mit aufnehmen. Genau das ist hier passiert und verzerren insbesondere den Gesang, der von einem wütenden Kurt Cobain kam.
Nirvana im Circle Store:
Zuvor hatten Nirvana mehrfach versucht, Lithium aufzunehmen – ohne Erfolg. Der Frust war allgegenwärtig und so schoben Cobain, Grohl und Novoselic Endless Nameless ein, um ihrem Ärger Luft zu machen. Dementsprechend sind die Vocals geladen, die Lyrics teilweise unverständlich und improvisiert und der sechsminütige Song lebt von der chaotischen Energie. Die zehnminütige Stille scheint diesen musikalischen Orkan zusätzlich anzuheizen und gerne sitze ich mit steigender Erwartung vor meiner Anlage in Erwartung dieses lauten Gewitters. Im Interview mit dem Magazin Kerrang! erzählte der Produzent Butch Vig, wie Cobain nach dem Titel sogar seine Gitarre zerstörte und aus dem Studio stürmte. Vig hatte daraufhin Probleme einen Ersatz zu beschaffen, denn es war die einzige Linkshändergitarre im Studio.
„Es war wirklich furchteinflößend, die Frustration und Wut in seiner Stimme zu hören, weil er echt die Beherrschung verloren hat. Die Band stieg mit ein und dann hat Kurt seine Gitarre in Kleinteile zerschlagen und verließ einfach den Raum.“
Die destruktive Energie des Titels sorgte auch für mehrere legendäre Live-Momente. Denn wenn Nirvana den Titel auf ihren Konzerten spielten, dann als Letztes und stets gefolgt von einer Arie der Zerstörung. So überlebte kaum eine Gitarre eine Performance von Endless Nameless und auch deshalb hat sich der Titel in die Herzen vieler Fans gespielt.
Der Titel wurde 1992 auf die B-Seite der Single Come As You Are gepresst und schließlich 2021 mit dem Release einer eigenen Endless Nameless 7’’ aus seiner unerwähnten Schattenexistenz befreit. Auf den Streamingdiensten wird der Song meist als eigenständiger dreizehnter Titel gelistet und startet ohne Verzögerung, was ihm ein bisschen von seiner Radikalität nimmt und den Hidden Track etwas entzaubert.