Auf einem kleinen Underground-Label anfangen und im Studio von Beyoncé enden, das scheint eigentlich undenkbar. Es beschreibt aber ziemlich genau den Verlauf von James Blakes Karriere. Obwohl, so fair müssen wir natürlich sein: Blake hat natürlich viel mehr zu bieten als eine verblüffende Erfolgsgeschichte. In einer Zeit, als die Charts von unmotivierten EDM-Acts und inhaltsleerem Hochglanz-Pop dominiert wurden, stand er neben Bands wie The XX oder Animal Collective an der Speerspitze von einem neuen Sound, der die Grenzen der Pop-Musik auslotete.
Hier bekommst du einen Vorgeschmack von James Blakes musikalischer DNA, folge dem Listen-Button für die ganze Playlist:
Der britische Kulturtheoretiker Mark Fisher schrieb vor einigen Jahren über Blake, dass seine Musik einem Gespenst gleiche, das im Verlaufe seiner Platten immer mehr Form annähme. Das ist eine schöne und sicher auch passende Metapher für das, was zwischen Blakes ersten EPs für Dance-Labels wie Hemlock, Hessle Audio und R&S hin zu seinen großen Charterfolgen passiert ist. Allerdings heißt das nicht, dass sich Blake in irgendeiner Weise verbogen hätte, im Gegenteil. Er erst hat es möglich gemacht, sphärische Klaviermusik mit fetten Bässen zu kombinieren und auf Mainstream-Releases mit Gesang auf eine Weise zu experimentieren, wie sie zuvor höchstens in der Avantgarde üblich war.
James Blake hat die Pop-Welt verändert und tut das es weiterhin. Doch es gab einige, die ihm dabei geholfen haben. Seine zahlreichen Kollaborationen allein beweisen, dass er sich anderswo inspirieren lässt. Was und wer ihn genau beeinflusst hat, das erfahren wir mit Blick auf seine musikalische DNA.
1. Art Tatum - Blue Skies
Klavierwerke lautet der Titel einer von Blakes frühen EPs, die seinen Ruf als innovativen Songwriter in der Bass-Szene zementierten. Tatsächlich scheint es auf den ersten Blick so, als sei Blake die Musik bereits in die Wiege gelegt worden: Als Kind erhielt er Pianounterricht, bald darauf ging es an die renommierte Goldsmiths Universität in London und schnell machte er mit seinen ersten Releases die Indie-Presse verrückt. Das Klavier stand definitiv am Anfang seiner Karriere und begleitet ihn bis heute.
Doch sein Verhältnis zu dem Instrument ist ein schwieriges. „Von früh auf wusste ich, dass die klassische Musik nichts für mich ist“, erzählte er in einem Interview. „Ich habe höchstens von der Harmoniklehre profitiert. Art Tatum hat eine Menge klassisches Klavier gespielt, aber jemand wie Vladimir Horovitz – einer der besten Pianisten der Welt – sah seine Konzerte und hatte Angst vor dem Können Tatums. Als ich das las, wusste ich, dass klassische Musik nicht mein Endziel sein konnte.“ Blake wollte weiter gehen und schrieb sich mit Tatums beeindruckender Fähigkeit im Hinterkopf, musikalische Welten aufeinander prallen zu lassen, am Goldsmiths ein.
2. Digital Mystikz - Give Jah Glory
Dort erlebte er allerdings eine grobe Enttäuschung. „Ich fühlte mich wie im falschen Boot“, gab er resigniert zu Protokoll. Zu steif und zu konventionell fand er den Unterricht, den er dort erhielt. Viel aufregender war es, als er 2007 erstmals auf einer Party mit dem neuen Sound des britischen Dance-Undergrounds in Berührung kam: Dubstep. Auf einer Party in Brixton legte ein DJ Stücke von den Digital Mystikz und anderen Pionieren des trockenen Bass-Sounds auf. Er spielte damit zwar den Dancefloor leer, zumindest ein Gast aber blieb mit offenem Mund dort stehen. Blake war fasziniert von dem, was er da hörte.
Später in seiner Karriere sollte er den Digital Mystikz mit einem Cover von ihrem Anti-War Dub Tribut zollen. Zuerst aber begann er in seiner Unizeit die Partyreihe Bass Society zu organisieren, in deren Rahmen er dem sich gleichermaßen aus wolkigem Dub und harter Tanzmusik speisendem Genre ein Zuhause gab. DJs wie Skream oder Benga gaben sich dort die Klinke in die Hand und Blake begann den Sound in seine eigene Musik einzuarbeiten. Die klang aber bei weitem nicht so heavy wie die Tunes der Digital Mystikz. Sondern fragil, fragmentarisch und feinsinnig.
3. Mount Kimbie - Bave’s Chord
Blakes erste EP Air & Lack Thereof erschien 2009 auf dem Dubstep-Label Hemlock, unterschied sich aber maßgeblich von dem, was in den Clubs von London zu dieser Zeit den Dancefloor dominierte. Zart, filigran und, ja, gespenstisch klangen die melancholischen Skizzen darauf. Das Release weckte sofort das Interesse des legendären Radio-DJs Gilles Peterson, der Blake prompt zu sich in die Show einlud, um einen Mix beizusteuern.
Dessen Tracklist las sich ungemein eklektisch: Otis Redding, Joanna Newsom, afrikanische Musik und natürlich Dubstep-Tunes spielte Blake in seinem umjubelten Mix. Darunter fand sich auch ein Stück von Mount Kimbie, Bave’s Chord. Wie Blake hob das englische Duo den Dubstep-Sound auf ein neues Level. Langsamer, melodiöser klang ihre Interpretation des Genres. Post-Dubstep war geboren. Die Zuschreibung sollte sowohl Blake als Mount Kimbie, die nach wie vor mit dem Kollegen befreundet sind, lange nicht mehr loslassen. Ihre innovative Musik allerdings versperrte sich allen Kategorisierungsversuchen.
4. Feist - The Limit To Your Love
Seinen endgültigen Durchbruch feierte Blake im Jahr darauf mit einer Cover-Version von The Limit To Your Love. Der Song der kanadischen Sängerin Feist – bekannt als Mitglied des Kollektivs Broken Social Scene und für ihren Hitsong 1234 aus dem Jahr 2007 – brachte genau die dezenten Soul-Einflüsse mit, die auch in Blakes Musik auszumachen sind. Seine Version des Stücks allerdings war noch reduzierter als schon Original, pulsierte zwischen brummenden Bässen, dezenten Hip Hop-Grooves und zarten Klavierparts.
Limit To Your Love ist ein ungewöhnlicher Song, dessen intime Atmosphäre in Blakes Schlafzimmerstudio eine eigenwillige Magie entfaltete. Obwohl die Charterfolge des Stücks bescheiden ausfielen, so konnte sich der junge Songwriter damit doch über die Grenzen Großbritanniens hinaus einen Namen machen. Vor allem gelang es ihm, selbst Feist für sich zu überzeugen. „Er hat mit seiner Musik einen ganz eigenen Kosmos erschaffen“, schwärmte sie 2011 in einem Interview. „Seine Version von Limit To Your Love ist keine Kopie, sondern im Grunde ein neuer Standard wie Fly Me To The Moon von Frank Sinatra.“ Ein gewagtes Statement, keine Frage. Sie sollte aber Recht behalten.
5. Sam Cooke - (What A) Wonderful World
Die souligen Untertöne in Feists The Limit To Your Love waren wie gemacht für Blake, der selbst viel Soul-Musik in sich aufgesogen hat. Anders wäre sein Gesangsstil auch kaum zu erklären. Denn obwohl Blake insbesondere zu Beginn seiner Karriere seine Stimme liebend gern verfremdete, zerstückelte und manipulierte: Im Kern steht sein melismatischer Gesangsstil voll in der Tradition von Motown und Co.
Im Interview-Band Your Song Changed My Life des NPR-Journalisten Bob Boilen gesteht Blake in Bezug auf seine Anfangstage, dass er mit seinen gesanglichen Leistungen oftmals unzufrieden war: „Ich hatte das Gefühl, dass meine Stimme noch wachsen könnte“, ließ er sich in dem 2016 erschienenen Buch zitieren. Alles änderte sich mit dem Album Overgrown, für das er sich Inspiration beim Soul-Pionier Sam Cooke holte. Der (What A) Wonderful World-Sänger habe ihm beigebracht, seine Songs von der Hookline her aufzubauen, sagte Blake damals.
6. Aaliyah - Are You That Somebody
Vom Soul führte eine direkte Verbindungslinie zum R’n’B-Sound der neunziger Jahre. Der 1988 geborene Blake war gerade zehn Jahre alt, als Kelis Caught Out There und Aaliyah die Timbaland-Produktion Are You That Somebody veröffentlichten. Wie sehr ihn das offenkundig prägte, zeigte sich bereits auf seiner zweiten Veröffentlichung, der EP CMYK, dessen Titelstück Vocal-Samples aus beiden Stücken in einen umwerfenden Dialog integriert.
Insbesondere Aaliyah scheint es Blake angetan zu haben: Auch das Stück I’ll Try von derselben Veröffentlichung sampelt ihren Überhit Try Again. Allerdings wird es nicht allein der Gesang der viel zu früh verstorbenen Künstlerin gewesen sein, von dem sich Blake inspirieren ließ. Die innovativen Kunstgriffe ihres Produzentens Timbaland hinterließen ebenso ihre Spuren in seinem Werk.
7. Beyoncé - Crazy In Love
„Ich bin damit aufgewachsen, Timbaland und seine Produktionen zu hören“, gab Blake auch dem deutschen Magazin GROOVE gegenüber zu Protokoll. „Dazu gehört auch Destiny’s Child, also liebe ich sie schon, seitdem ich ein Kind bin. Musikalisch hat sie mich mein ganzes Leben lang begleitet.“ Wer gemeint war? Na klar, Beyoncé! An ihrem konzeptuellen Meisterwerk Lemonade beteiligte er sich, indem er am Opener Pray You Catch Me mitschrieb und mit seinem charismatischen Gesang den von ihm produzierten Song Forward prägte.
Bevor er später mit Beyoncés Gatten Jay Z ins Studio ging, musste sich Blake aber noch vor einem anderen Mitglied der Knowles-Carter-Familie beweisen: Bei den Aufnahmen zu Lemonade war auch Tochter Blue Ivy zugegen. Jedes Mal, wenn er die Hook von Forward sang, stimmte die Kleine sofort mit ein. „So weißt du, dass es eingängig ist“, soll Beyoncé jubiliert haben. Merke: Es lässt sich noch von Kids im Kindergartenalter einiges lernen!
8. Kanye West - Slow Jamz (feat. Twista und Jamie Foxx)
À propos kindisch: Kanye West dürfen wir in dieser Aufzählung natürlich ebenso wenig vergessen. Nur zwei Jahre nach seinem internationalen Durchbruch fand sich Blake unvermittelt in dessen Gesellschaft wieder und wurde von dem Detroiter Giftzwerg mehr als nur umschmeichelt: Yeezy bezeichnete den zurückhaltenden Briten doch glatt als seinen Lieblingssänger. West hatte kurz zuvor mit Jay Z das Album Watch The Throne veröffentlicht und bereitete sich auf sein bis dato ambitioniertestes Werk vor, Yeezus.
Wie viel Blake wohl von dem Rapper und Produzenten mitgenommen hat? Wir wissen es nicht. Und leider auch nicht, wie es wohl geklungen hätte, wenn Blakes Plan für ein West-Feature auf The Colour In Anything aufgegangen wäre. „Ich weiß nicht genau, wie ich erklären soll, was da schief ging“, sagte er verknirscht. „Ich wollte Kanye auf dem Song Timeless dabei haben, aber die Strophe kam uns einfach nicht. Dann veränderte sich die Grundstimmung des Albums und ich schätze mal, es hätte einfach nicht mehr gepasst.“ Wie so ein gemeinsamer Slow Jam der beiden wohl geklungen hätte?
9. Bon Iver - Skinny Love
Immerhin konnten wir uns auf demselben Album über den Auftritt eines guten Kanye-Kumpanen freuen: Die dicke Freundschaft zwischen dem Autotune-Folk-Barden Bon Iver und dem Autotune-Rapper Kanye West gehört wohl zu den skurrilsten der Pop-Geschichte. Parallel dazu aber hatten sich Blake und Justin Vernon – so der bürgerliche Name des US-Amerikaners – bereits schon kennen und schätzen gelernt. 2011 debütierte das gemeinsame Stück Fall Creek Boys Choir, dem wenige Jahre später I Need A Forest Fire folgen sollte.
Ähnlich wie Blake zwei Jahre nach ihm landete Vernon 2008 mit der Platte For Emma, Forever Ago einen Überraschungserfolg in der weltweiten Indie-Community und kam bald im Mainstream an. Anders als Blake aber wurde seine Musik darüber zunehmend verschrobener und brach mit den vormals noch recht konventionellen Folk-Strukturen seiner Songs. Dass die beiden sich somit aber stets in der Mitte treffen konnten, das steht fest. Erst recht im Gesangsregister!
10. Frank Ocean - Pilot Jones
Vernon und Blake gehören aller Experimentierfreude zum Trotz eher zu den Freunden der ruhigen Tönen. „Ich bin das Gegenteil von Punk“, sagte Blake gegenüber dem britischen Guardian. „Ich habe eine ganze Generation zum Schweigen gebracht.“ Ein krasses Statement! Ganz unrecht hat der feinfühlige Brite allerdings nicht: Seit er seinen globalen Siegeszug aufnahm, ist es in der Pop-Welt etwas stiller geworden. Davon profitierten wiederum andere, so auch Frank Ocean.
Ocean überraschte im Umfeld der rüpeligen Rap-Crew Odd Future mit einem beseelten R’n’B-Entwurf, den er nach Veröffentlichung seines Durchbruchmixtapes Nostalgia, Ultra auf der Platte Channel Orange verfeinern konnte. Die gedämpften Beats und der zarte Falsettgesang auf Stücken wie Pilot Jones legten nahe, dass Ocean das eine oder andere Ohr auf das Schaffen von Blake geworfen hatte. Auf seinem Album Blonde erst allerdings kam zusammen, was zusammen gehörte: Blake unterstützte den US-Amerikaner auf mehreren Songs mit seinen Songwriterqualitäten und, wie sollte es auch anders sein, seiner enigmatischen Stimme.
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