Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 12.7.1950.
von Matthias Breusch und Christof Leim
Bis zu seinem frühen Krebstod steht Eric Carr elf Jahre lang mit Kiss im Rampenlicht. Sein Aufstieg ist eine typisch amerikanische Geschichte: vom Installateur zum Millionär. Am 12. Juli hätte er Geburtstag gefeiert.
Hört hier Creatures Of The Night, mit Eric Carr an den Drums:
Eric kommt am 12. Juli 1950 unter seinem Geburtsnamen Paul Caravello in Brooklyn, New York zur Welt. Er gehört zu der Generation, die in den Sechzigern und Siebzigern Jahren die farbenprächtige Explosion der modernen Musik miterlebt. 1964 ist er Beatles-Fan und verehrt deren Drummer Ringo Starr. „Ein Onkel hat mir ein Schlagzeug geschenkt, als ich sieben oder acht war. Ich hab einfach drauf rumgehauen und es kaputtgemacht“, erzählt er 1989 im Interview eines Kiss-Fanclubs. „Ich konnte nichts damit anfangen. Erst als die Beatles groß rausgekommen sind, hat es mich so richtig gepackt.“
Ein Mann mit Werkzeug
Dank seiner künstlerischen Talente besucht Paul Caravello die Highschool of Art and Design. Zunächst will er Comiczeichner werden, später legt er seinen Schwerpunkt auf Fotografie. Aber ein weitergehendes Studium ist nicht drin. Wie vielen anderen Musikern seiner Generation wird ihm wenig geschenkt. Nach dem Abschluss verdient er sich den Lebensunterhalt jahrelang bei seinem Vater, einem gelernten Ofensetzer und Installateur, der alle möglichen handwerklichen Arbeiten anbietet. Paul entpuppt sich nebenbei als begabter Estrichleger.
Zur Gattung des neureichen Emporkömmlings gehört er nie. Selbst als sich auf seinem Kiss-Konto dicke Guthaben stapeln, hat er stets seine Werkzeugkiste parat und lässt es sich nicht nehmen, defekte Gasheizungen eigenhändig zu reparieren. Bis er 30 ist und über Nacht zum Rockstar avanciert, muss er sich nicht nur beim Trommeln jederzeit auf sein Handwerk verlassen können, um überleben zu können. Auch sein Verhältnis zu den Anhängern ist ein völlig anderes als das der Kollegen: Unter anderem beantwortet er regelmäßig persönlich Berge von Fanpost.
Flucht aus der Todesfalle
Dass er überhaupt noch eine Chance bekommt, gleicht einem kleinen Wunder. Ende Juni 1974 hat er einen Auftritt mit seiner Band The Creation, ehemals Salt & Pepper, einem stilistisch vielfältigen Projekt aus schwarzen und weißen Musikern. Während eines Gigs in Port Chester, nördlich von New York City, legt ein Brandstifter im Nebengebäude Feuer.
Das Souterrain des Clubs, wo die Band vor rund 200 Leuten spielt, wird zur Todesfalle. Zusammen mit einer Sängerin gelingt Paul in letzter Sekunde die Flucht. Unter den 24 bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Opfern sind auch zwei seiner Freunde. Das Trauma dieses Unglücks beschäftigt ihn noch lange. Finanziell geht es ihm schlecht, viele Gagen sind Hungerlöhne. Er hält sich als Lieferwagenfahrer und Möbelpacker über Wasser.
Träumen in Neon-Orange
Dass aus Paul Caravello Eric Carr wird, kommt eher zufällig zustande, denn Kiss-Fan ist er keineswegs. Er liebt Soul und Funk und bewundert John Bonham, den Drummer von Led Zeppelin. Als Kiss 1980 per Zeitungsannonce nach einem Nachfolger für Peter Criss suchen, verschafft er sich mit einem simplen Trick Aufmerksamkeit im Büro von Kiss-Manager Bill Aucoin: Er steckt seine Bewerbung in einen grell orange leuchtenden Umschlag – und wird tatsächlich zum Vorspielen eingeladen. Eine Mitarbeiterin aus Aucoins Büro erzählt später, dass sie tatsächlich wegen der auffälligen Farbe zugegriffen habe.
https://twitter.com/EricCarr_TheFox/status/1019779139006619649Beim Test fällt allerdings eher die Band durch: Die Herren Helden haben ihre eigenen Songs nach jahrelanger Livedarbietung ein bisschen anders in den Fingern oder nicht mehr richtig drauf, müssen also von ihrem Bewerber mehrfach daran erinnert werden, wie die Parts im Original auf den Platten laufen. „Wir haben praktisch gleich zu arbeiten begonnen. Das hat sie offenbar beeindruckt.“
Die Frisur stimmt
Abgesehen von seinem modernen, kraftvollen Schlagzeugspiel und seinem positiven, lebensfrohen Auftreten spielt allerdings auch seine prächtige Mähne den Ausschlag dafür, dass der Außenseiter den Job bei der selbsternannten „größten Band der Welt“ bekommt. Ein Statement von Paul Stanley spricht für sich: „Nun, der Typ kann spielen. Aber vor allem die Frisur stimmt. Alles, was er braucht, ist ein anderer Name.“ Denn einen Paul hat die Band ja bereits.
Das Haar muss sitzen, möglichst raumgreifend: Eric Carr (r.) und Kiss zu Zeiten von „Animalize“ 1984 (Foto: Casablanca/Promo)Außerdem stellt das Management dem Neuen einen Porsche als Dienstwagen vor die Tür. Es sei auf keinen Fall akzeptabel, dass Eric einen uralten Gebrauchtwagen vor dem Proberaum von Kiss parkt. Doch der hat allerdings nix als Ärger mit der noblen Kiste.
Das Monster erwacht
Zu diesem Zeitpunkt ihrer Geschichte gelten Kiss längst nicht mehr als cool. Ihre großen Zeiten scheinen vorbei zu sein. Aber als Eric seine Doppel-Bassdrum-Burg am 25. Juli 1980 auf der Bühne des New Yorker Palladiums aufbaut, wo die Livepremiere der neuen Besetzung stattfindet, weht ein neuer Wind. Sein ausgefeilter Kraftfutterstil, der auch optisch einiges hermacht, lässt Vorgänger Peter Criss geradezu altbacken wirken und beschert den Kiss-Klassikern eine spürbare Belebung. Erics Biograf Greg Prato zitiert einen Konzertbesucher: „Peter Criss hatte seine Momente. Aber Eric war ein Monster. Er trieb die Band an. Er war eine Maschine, ergänzte die Songs aber auch mit allerlei kleinen Extras. Wo er hinlangte, entstand etwas Besonderes.“
Wie die anderen Bandmitglieder auch, geht Eric anfangs nur markiert auf die Bühne. Sein Charakter: Der Fuchs. Glücklicherweise wird die erste Idee abgelehnt: Was ein Falke sein soll, erinnert eher an ein langhaariges Huhn. Zur Veröffentlichung von Lick It Up (1983) legen Kiss dann öffentlichkeitswirksam die Schminke ab.
Ein Talent, vier Instrumente
Erics Händchen für rhythmische und musikalische Elemente kommt nicht von ungefähr. Noch vor den Drums hat er Gitarre gelernt; er spielt passabel Klavier und besitzt eine volle Singstimme, ähnlich wie Roger Taylor, der Schlagzeuger von Queen.
In den Jahren nach seinem Einstieg beim Kiss erlebt er die reinste Achterbahnfahrt. Auf der allerersten Kiss-Australien-Tour 1980 werden die Bandmitglieder wie Götter gefeiert - für Eric ein optimaler Start, denn die dortigen Fans haben Peter Criss nie live erlebt. Gleich danach geht es in den Keller: Mit dem überambitionierten Konzeptalbum (Music From) The Elder von 1981 wird niemand glücklich, ab 1982 und Creatures Of The Night arbeiten Kiss sich wieder nach vorne. Auch die besagte Demaskierung findet nicht überall Freunde. Für Abwechslung ist dennoch immer gesorgt: Auf dem modischen Zenith der Achtziger ersaufen Videoclips wie Who Wants To Be Lonely in Neonfarben.
Der eigene Song
Auch als Songwriter hinterlässt er Spuren, wenngleich natürlich die beiden Chefs Gene Simmons und Paul Stanley die Zügel fest in der Hand halten. Im Laufe der Jahre kommen einige Kiss-Nummern zusammen, die Eric als Verfasser aufführen. Sein ganzer Stolz ist Little Caesar auf Hot In The Shade (1989), das er praktisch im Alleingang einspielt: als Leadsänger, Bassist, Drummer und Rhythmusgitarrist. Live kommt die Nummer allerdings nur ein einziges Mal zum Einsatz. 1982 komponiert er außerdem zusammen mit Bryan Adams den Song Don’t Leave Me Lonely für dessen Hitalbum Cuts Like A Knife.
Erics letzter Einsatz in voller Albumlänge bleibt Hot In The Shade (1989), an den Aufnahmen von Revenge (1991) kann er schon nicht mehr teilnehmen und lediglich beim Videoclip zu God Gave Rock’n’Roll To You II mitspielen. Da muss er bereits eine Perücke tragen, denn Eric Carr leidet an Krebs.
Im Schatten von Freddie Mercury
Trotz seiner Fähigkeiten und Erfolge stempelt ihn die Ironie der Geschichte am Ende zumindest in der medialen Aufmerksamkeit am Ende leider zum Nebendarsteller: Paul Caravello alias Eric Carr stirbt am 24. November 1991 mit nur 41 Jahren – am selben Tag wie Queen-Legende Freddie Mercury.
https://twitter.com/PaulStanleyLive/status/669412011491655680?s=20Damit liegt die Hauptaufmerksamkeit der musikaffinen Menschen und Medien natürlich nicht beim Kiss-Drummer. Dass die US-Ausgabe des Rolling Stone allerdings den Tod von Eric Carr komplett ignoriert, geht Paul Stanley so gegen den Strich, dass er einen ebenso spitzzüngigen wie wütenden Brief schreibt. Seinem Schlusswort möchten wir uns an Erics Geburtstag anschließen: „We loved him, the fans loved him, and he will never be forgotten.“ Rest in peace, Eric Carr.