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Steve Lee, 1963-2010 - Foto: Ralf Strathmann/Sony

Zeitsprung: Am 5.10.2010 stirbt Gotthard-Sänger Steve Lee bei einem Unfall.

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 5.10.2010.
von Matthias Breusch und Christof Leim

Wer hätte gedacht, dass man in der Wüste von Nevada von einem Regenguss überrascht werden könnte? Steve Lee, 47 Jahre alt, Sänger der Schweizer Rocker Gotthard, kostet der seltene Schauer am 5. Oktober 2010 das Leben.

Hier könnt das Gotthard-Debüt hören:

Bei einer Katastrophe kommen oft mehrere Faktoren zusammen. Hinter Steve Lees plötzlichem Unfalltod steckt eine solch unglückliche Verkettung. Der Mann ist im Urlaub. Zusammen mit rund zwei Dutzend Schweizer Biker-Kumpels gönnt er sich eine Traumreise durch die USA. Bis es kurz hinter Las Vegas auf der Interstate 15 zu regnen beginnt, was ähnlich häufig vorkommt wie Schneegestöber in Florida. 

Aus dem Leben gerissen

Die Gruppe hält an, um sich auf der Standspur die Regenkleidung überzuziehen. Es ist Nachmittag, knapp Viertel nach drei. Da gerät hinter ihnen ein Truck auf der nassen Fahrbahn ins Schleudern. Dessen Anhänger kracht in fünf der am Straßenrand stehenden Motorräder. Eines davon trifft Steve Lee. Trotz schneller Hilfe durch Rettungskräfte, die 20 Minuten lang versuchen, ihn wiederzubeleben, stirbt der Sänger um 16:13 Uhr Ortszeit noch an der Unfallstelle. Niemand anderes aus der Gruppe wird auch nur verletzt. 

Interstate 15 in der Nähe von Mesquite, Nevada: Am Tag nach dem Unglück sind die Bremsspuren an der Unglücksstelle noch zu sehen - Foto: Ethan Miller/Getty Images

Hard Rock gegen den Strom

Stefan Alois Lee, Sohn eines Briten und einer Schweizerin, spielt viele Jahre lang Schlagzeug in diversen Südschweizer Acts. Schon 1979 bei seinem Bühnendebüt als 16-Jähriger singt er neben dem Trommeln auch. Im Laufe der Jahre setzt sich sein stimmliches Talent immer mehr durch. 1990 gehört er zu den Mitbegründern einer Band, die sich schließlich in Gotthard umbenennt – und ab 1992 eine ganz eigene Art von Karriere macht: gegen jeden aktuellen Trend. 

Klassischer Hard Rock geht auch im Jahr 2000: Gotthard mit Steve Lee - Foto: Sony Music

Mitten im anrollenden Boom aus Grunge, Alternative-Rock und Industrial-Metal-Crossover-Soundwällen bedienen Gotthard eine von der Musikindustrie längst abgehakte Gruppe: Freunde und Freundinnen melodischer Hard-Rock-Klänge. Gotthards kerniges Debütalbum erinnert mit Doppelgitarren und Hammond-Orgel-Gewummer an klassische Rocker der Siebziger und Achtziger wie etwa Whitesnake

In dieser Nische entwickeln Gotthard sich zur erfolgreichsten Schweizer Rockband aller Zeiten mit etlichen Platinauszeichnungen, im Laufe der Jahre nicht zuletzt dank ihrer vielen eingängigen radiotauglichen Balladen. Auch in Deutschland erspielt sich die Band umgehend eine ebenso stabile wie ständig anwachsende Fanbasis. Europaweit sind sie neben ihren gut besuchten Headliner-Tourneen auch als Special Guests von Stadion-Acts wie Bon Jovi, Deep Purple, AC/DC und Bryan Adams unterwegs. 

Ein kultivierter Zeitgenosse

Steve Lees volltönende Stimme steht auf sieben Alben zwischen 1992 und 2005 im Zentrum dieses Erfolgs. Der Mann ist keine klassische Rampensau und schon gar kein abgehobener Star, sondern ein sanfter, kultivierter, bodenständiger Zeitgenosse, der neben seinen Muttersprachen Englisch, Deutsch und Schweizerdeutsch auch Italienisch und Französisch fließend beherrscht. Sein Tod sorgt im Herbst 2010 für eine einmalige Konstellation: Gotthard-Alben werden so stark nachgefragt, dass die Band gleichzeitig mit 13 Alben und neun Singles in den Top 100 der Schweizer Charts gelistet wird.

Zwei Nebenprojekte sind bezeichnend für Steves stimmliche Qualitäten: 1997 tritt er in die Fußstapfen von Queen-Ikone Freddie Mercury und gönnt sich ein Duett mit Kataloniens Operndiva Montserrat Caballé: One Life, One Soul. 2009 erlebt er den größten Ritterschlag für einen Hard-Rock-Frontmann: Deep-Purple-Legende Jon Lord lädt ihn ein, an seinem Bühnenprogramm Jon Lord in Classic mitzuwirken. Steves Auftritt mit dem großen Orchester in der Tonhalle Zürich ist schlicht sensationell.

Einmal zu wenig Glück gehabt

Nur wenige Wochen vor seiner Reise in die USA, am 7. August 2010, hat Steve großes Glück. Er steht auf einer Autobahn bei Florenz mit seiner Familie bei der Rückreise aus dem Urlaub an einem Stauende, als ein unaufmerksamer PKW-Fahrer mit 70 Stundenkilometern ungebremst in das Heck seines VW Passat kracht. Steve bleibt unverletzt, seine Lebensgefährtin muss ins Krankenhaus eingeliefert werden. Bei seinem zweiten Unfall im Jahr 2010 zeigt ihm das Schicksal hingegen die kalte Schulter und reißt ihn buchstäblich mitten aus dem Leben. Rest in peace.

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