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Greta Van Fleet „bringen den Rock & Roll auf die nächste Evolutionsstufe“, sagt Gitarrist Jake Kiszka

Wenige Wochen vor den anstehenden Europa-Konzerten, zugleich Endspurt ihrer diesjährigen Welttournee, konnten sich Greta Van Fleet über grandiose Neuigkeiten freuen. Gerade nach den massiven Erfolgen der vergangenen Monate konnte es die vierköpfige Rockband aus Frankenmuth im US-Staat Michigan kaum abwarten, zum dritten Mal nach Europa aufzubrechen und sich dort den Fans zu präsentieren. Alles lief rund, schließlich stand nun auch endlich die Veröffentlichung ihres Debütalbums Anthem Of The Peaceful Army vor der Tür, und sie waren gerade dabei, ihrer Live-Show den letzten Schliff zu verpassen, als plötzlich das Telefon klingelte. Es war ihr Manager, der gerade mit dem europäischen Booker gesprochen hatte. „Sämtliche Venues wurden von 3.000 Zuschauern umgebucht – auf 6.000er-Hallen“, erinnert sich Jake Kiszka, der Gitarrist von Greta Van Fleet. „Das kam echt vollkommen überraschend, so viel Aufmerksamkeit, so viele Fans – und alle Shows sind ausverkauft!“

von Wyoming Reynolds

Hört hier in Anthem Of The Peaceful Army rein:

Für die ganze Playlist klickt auf „Listen“.

So überraschend war dieser Anruf genau genommen nicht, schließlich war es nicht der erste seiner Art – und wenn man bedenkt, dass Greta Van Fleet seit rund anderthalb Jahren zu den wichtigsten Newcomern der internationalen Rocklandschaft zählen. Obwohl klassischer Rocksound zuletzt immer seltener in den internationalen Charts vertreten war, haben diese vier Herren das Gegenteil bewiesen und im Alleingang eine kleine Rock-Renaissance eingeläutet: Bei Greta Van Fleet ist tatsächlich alles ein bisschen wie früher, als die Titanen der Rockwelt wie mythenumwobene Wesen vergöttert wurden, als Sänger noch überlebensgroße Figuren waren, als Gitarristen nur dafür zu leben schienen, die härtesten Riffs rauszuhauen, von den Schlagzeugern ganz zu schweigen...

Auch wenn sie musikalisch an die längst vergangenen Heydays des Classic Rock anknüpfen, durften die Jungs genau genommen noch nicht mal Bier kaufen, als sie Greta Van Fleet vor sechs Jahren gründeten. Die drei Brüder Jake, Josh und Sam Kiszka starteten ihr musikalisches Unterfangen zusammen mit Schlagzeuger Daniel Wagner in einem Alter, in dem andere noch ihr Spielzeug im ganzen Zimmer ausbreiten oder Alphabete auswendig lernen.

„Machen einfach nur, was sich ganz organisch für uns anfühlt“

Nachdem er schon im stolzen Alter von drei Jahren seine erste Gitarre in der Hand gehalten hatte, machte Jake Kiszka als Neunjähriger das erste Mal Musik mit seinem Bruder Josh. Während sie sich damals noch gesanglich abwechselten bei diesem frühen Duo-Projekt, war Jake schon in jenen Tagen für die Gitarre verantwortlich, während sich der heutige Sänger Josh als Schlagzeuger versuchte.



„Meine allererste Gitarre hab ich damals von meiner Oma geerbt“, erinnert sich Jake. „Sie hatte noch eine im Keller rumliegen, also gingen wir häufig runter und spielten ein wenig. Schließlich gelang es mir mit den Instrumenten meines Vaters (eine Gitarre, ein Bass) immerhin so gut zu spielen, dass ich meinen Dad dazu bewegen konnte, mir eine eigene Yamaha zu kaufen.“

Wenig später konnte man alle Kiszka-Brüder so gut wie immer im Keller ihres Elternhauses antreffen: Die drei Jungs, deren Vater Chemiker war, wobei auch die Mutter als Lehrerin auf Naturwissenschaften spezialisiert war, verbrachten Hunderte von Stunden zusammen im Untergeschoss, umgeben von ihren Instrumenten. Einer älteren Tante wiederum ist es zu verdanken, dass sie u.a. mit klassischem Roots-Rock, mit Folk, R&B, Soul und Blues aufwachsen sollten: „Keine Ahnung, ob sie die Alben da absichtlich für uns hingestellt hat oder nicht“, scherzt Jake über diese frühen Einflüsse, zu denen u.a. Willie Dixon, Elmore James, Howlin’ Wolf, Muddy Waters und John Lee Hooker gehörten, bis sie schließlich auch bei Cream, Bob Dylan und The Beatles landen sollten. Jake Kiszka hörte sich ganz genau an, was da auf diesen Alben passierte – und versuchte dann, mit seinem Instrument ähnliche Songs zu kreieren. Dass er und sein Bruder dafür selbst im Kindesalter wie echte Rocker bis spät in die Nacht Musik machten, störte zum Glück auch niemanden...

„Zwang gab es da überhaupt keinen. Die Musik, das Spielen von Instrumenten, das war nichts, was unsere Eltern von uns wollten“, erzählt Jake weiter über den Erziehungsstil seiner Eltern. „Es war halt eine von vielen Optionen. Und als es dann losging, haben sie uns auch voll unterstützt, haben uns besorgt, was wir brauchten. In meinem Fall war zum Beispiel wichtig: eine Gitarre zu haben – und dazu Sachen, die ich mir anhören konnte.“



Heute ist Jake natürlich extrem dankbar dafür, dass er und sein Bruder bis spät in die Nacht im Keller ihr Ding machen durften – auch wenn sie dafür in der Nachbarschaft schief angeschaut wurden. Sie hätten schon damals „ihren Ruf weggehabt“, sagt er weiter, schließlich sei „das verpönt gewesen in der Gemeinde.“ Andererseits waren es genau diese kreativen Freiräume, in denen sie nicht nur zu denjenigen Musikern heranreifen konnten, die sie heute sind, denn es war obendrein die perfekte Vorbereitung auf ihr jetziges Leben im Rock & Roll-Zirkus: Bevor sie’s selbst wussten, waren sie auch darauf vorbereitet.

Im Jahr 2012 wurde die Sache dann offiziell: Die Brüder wollten ihren Sound mit dem Rest der Welt teilen. Auf der Suche nach einem geeigneten Bandnamen, landeten sie recht schnell bei dem Namen einer der ältesten Einwohnerinnen von Frankenmuth, bei dem sie nur einen einzigen Buchstaben ausbauen sollten: Gretna Van Fleet. Die 87-Jährige hatte auch kein Problem damit, dass die Jungs ab sofort ganz ähnlich hießen wie sie. Komplett waren sie jedoch erst, als sie den jüngeren Bruder Sam als Bassisten dazu geholt und mit Kyle Hauck ihren (ersten) Schlagzeuger gefunden hatten. Ungefähr zeitgleich mit den ersten Barthaaren trat somit auch ihre erste richtige Band auf den Plan: Greta Van Fleet.

„The best rock’n’roll I’ve heard in 20 f__g years!“

Erste Bühnenerfahrungen sammelten die vier Teenager in Rocker-Bars, wo den Zuschauern reihenweise die Kinnladen herunterfielen; auch sorgte ihr Hang zu den Klassikern der Rockgeschichte schon damals zu ersten Vergleichen mit Led Zeppelin & Co. Obwohl ihre erste EP schon 2014 erschien, wurden sehr viel mehr Leute erst zwei Jahre später hellhörig – als ihr im Blues ertränkter Highway Tune in der US-Serie Shameless zu hören war. Greta Van Fleet waren auch selbst überrascht, wie viele Leute scheinbar auf einen derartig klassischen Rocksound gewartet hatten...

Im selben Jahr stieß auch ihr neuer Schlagzeuger Daniel Wagner zur Band, und ihr Highway Tune schlug immer höhere Wellen: Schließlich eroberten Greta Van Fleet damit sogar die #1 in den US-Rockcharts, während das dazugehörige Video binnen kürzester Zeit mehr als 30 Millionen Views verbuchte (auch im Bereich des Classic Rock sind derartige Zahlen heutzutage ja doch irgendwie noch aussagekräftiger...).



2017 unterzeichneten sie ihren Vertrag bei Lava Records und legten kurz darauf ihre erste Major-Label-EP vor – Black Smoke Rising. Spätestens jetzt war nicht nur ihr Name in aller Munde, sondern auch die Led-Zeppelin-Vergleiche waren überall zu hören...

Jedoch als Band bezeichnet zu werden, die an längst vergangene Heydays des Rock anknüpft, ist etwas, an dem schon viele andere Gruppen gescheitert und zerbrochen sind. Die ewigen Vergleiche, der damit verbundene Druck, das kann einen fertigmachen. Greta Van Fleet hatten allerdings noch nie ein Problem damit: Sie hätten sich diese Einflüsse schließlich schon immer ganz offen auf die Fahne geschrieben, so Jake, und sie hätten zudem auch nie ihre anfängliche Motivation aus den Augen verloren.

„Wir haben es ja nie so krass drauf angelegt, unbedingt genau so klingen zu wollen wie irgendwer, der uns – bewusst oder unbewusst – beeinflusst hat“, meint er weiter. „Nein, wir haben einfach das gemacht, worauf wir Lust hatten. Einfach nur, was sich für uns organisch und richtig angefühlt hat, ohne das großartig zu analysieren, ohne viel Plan oder Hintergedanken. Wir wollten halt Musik machen, die ganz klar an diese Einflüsse anknüpft. Und deshalb versuchen wir auch gar nicht, die Vergleiche mit Led Zeppelin abzuschütteln. Für uns und unseren weiteren Weg ist es nun wichtig, genau das einzufangen, wo wir gerade stehen als Musiker.“



Und sie sind nicht allein mit dieser Meinung: Greta Van Fleet haben sich nicht nur in kürzester Zeit eine riesige, weltweite Fanbase erspielt, denn selbst ein Musikveteran wie Elton John feiert die Band. Er bat sie denn auch gleich, bei seiner Oscar-Party zu spielen, schließlich seien die ersten EPs der Band ganz klar „the best rock’n’roll I’ve heard in 20 f__g years!“

„Bringen den Rock & Roll auf die nächste Evolutionsstufe“

Da auch ihnen durchaus bewusst ist, dass Rock in der aktuellen Musiklandschaft nicht mehr das tonangebende Genre ist, wiegt das Lob von einer Legende wie Elton John sogar noch ein bisschen mehr: „Das war einer der unglaublichsten Momente unseres Lebens“, so Jack.

Nachdem ihr Debütalbum Anthem Of The Peaceful Army soeben erschienen ist, können Greta Van Fleet es kaum abwarten, die neuesten Songs, die sie in einer vierwöchigen Studiophase in Nashville eingespielt haben, nun endlich auch live zu präsentieren. Und natürlich gab es immer wieder Fragen und Zweifel während der Aufnahmen in Nashville: Hatten sie überhaupt genug Material? Und würden sie damit auch wirklich die extrem hohen Erwartungen der Fans erfüllen?



„Es gab schon ein paar Situationen, in denen wir uns angeschaut haben und dachten: ‘Wow, das alles geht so schnell, und es läuft sogar noch besser als wir uns das erhofft hatten’“, holt Jake aus. „Es wird zu etwas Größerem, größer als wir selbst. Auf der Bühne hat man so einen Moment eigentlich so gut wie jeden Abend... wenn man sieht, wie die Leute auf die eigenen Songs abgehen, und man plötzlich ernst genommen wird als Musiker – das war überhaupt ein großer Augenblick.“

Aktuell konzentrieren sich Greta Van Fleet ganz klar auf die nächsten Schritte, die anstehenden Shows. Denn natürlich ist es unglaublich, bei Riesenfestivals wie dem Lollapalooza aufzutreten – aber sie wissen auch, dass sie ihre Ziele nur dann erreichen werden, wenn sie fokussiert bleiben und alles in ihrem eigenen Tempo machen.

„Am spannendsten ist es für uns jetzt gerade, unsere Show einfach noch krasser zu gestalten“, sagt der Gitarrist abschließend. „Noch bessere Musiker zu werden, eine noch bessere Show abzuliefern. Wir wollen damit den Rock & Roll endlich auf die nächste Evolutionsstufe bringen, ihn uns aneignen und zu dem machen, was wir darunter verstehen.“

Anthem Of The Peaceful Army ist bereits bei Republic Records erschienen.


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