Und sie können es immer noch: Diesen Freitag veröffentlichen Deep Purple ihr tolles neues Album Whoosh!. Wenige Tage vor seinem 75. Geburtstag sprachen wir mit Sänger Ian Gillan über die Hard-Rock-Explosion 1970, das Älterwerden und die Aufnahmen in Nashville.
von Björn Springorum
Ian Gillan sieht aus wie Einstein. Sagt er zumindest. Seit Wochen war er nicht beim Friseur, jetzt gleich, nach diesem Interview soll es endlich so weit sein. Wirklich wichtig scheint ihm das nicht: Er ist abgetaucht in die Abgeschiedenheit seiner Zweitheimat Portugal. Eigentlich wäre er ja gerade mit Deep Purple auf Tour, warum er das nicht ist, müssen wir nicht dazusagen. Dafür erwartet er in stiller Freude die Veröffentlichung des 21. Studioalbums mit dem absonderlichen Titel Whoosh!.
Darauf präsentieren sich er, Ian Paice, Roger Glover, Steve Morse und Don Airey beneidenswert agil, experimentierfreudig und voller Tatendrang. Hard Rock in all seinen Facetten, druckvoll, melodisch, verspielt bis knackig, immer höchst lebendig. Also durchaus anders als der ruhige, entschleunigte und ereignisarme Alltag seines derzeitigen Lebens in Portugal. Für einen wie Gillan ist das aber natürlich kein Problem.
Fehlt dir das normale Musikerdasein nicht? Das Unterwegssein, die Auftritte, der ganze Rummel?
Als Musiker bist du es gewohnt, zu warten. Wie sagte Ian Paice doch mal so schön: "Wir werden nicht fürs Auftreten bezahlt, sondern fürs Warten." Und darin sind wir ziemlich gut. Wir machen also wie immer das Beste daraus und freuen uns fürs Erste, noch am Leben zu sein. Mir fehlt vielleicht das Singen ein bisschen, aber ich schreibe immer noch jeden Tag an neuem Material. Und der Rest der Streber-Bande, der wird immer noch jeden Tag üben, wie ich ihn kenne. (lacht)
Spazieren wir ein wenig in die Vergangenheit: Kannst du dich noch an deinen Auftritt in einem Pub mit deiner früheren Band Episode Six erinnern, bei der dich Deep Purple wie Scouts bei einem Fußball-Match beobachteten?
Ich wusste, dass Deep Purple damals einen neuen Sänger suchten, also fielen mir diese Typen mit den sonderbaren Frisuren auch sofort auf, die da in der Ecke des Pubs standen. Das war traditionsgemäß die Ecke, in der jemand stand, der dich auschecken wollte. Kurz darauf riefen sie mich an und fragten, ob ich bei ihnen einsteigen wollte. Weil es mit Episode Six eh gerade zu Ende ging, nutzte ich das Momentum, verließ die Band und wurde der neue Sänger von Deep Purple. Deep Purple wollten auch meinen Episode-Six-Kollegen Roger Glover abwerben, aber er lehnte erst ab, weil er Angst hatte, dass Episode Six sonst auseinander fallen würden. Ich konnte ihn überzeugen – und somit stiegen bei Deep Purple nicht nur ein neuer Bassist und ein neuer Sänger, sondern auch ein neues Songwriting-Team ein. Schon bei der ersten gemeinsamen Session änderte sich alles: Wir änderten uns, der Stil änderte sich, Deep Purple änderten sich. Alles explodierte.
„Den Beatles und den Kinks verdanken wir, dass wir unsere eigenen Songs schreiben konnten“
Dann kam auch schon 1970 und euer Durchbruch mit In Rock. Es war generell das Jahr, in den Hard Rock salonfähig wurde, zusätzlich befeuert von Black Sabbath und Led Zeppelin. Fühlte es sich damals auch so magisch an wie es sich heute liest?
Was damals passierte, kann man kaum in Worte fassen. Schicksal war das, Magie - aber keineswegs nur das Wirken von Sabbath, Zeppelin und Purple! Sicher, wir mögen unsere Rolle gespielt haben. Aber was ist denn mit den Bands, die uns beeinflusst haben? Was ist mit Chopin, mit Dusty Springfield? Mit Cliff Bennett And The Rebel Rousers? Wichtig zu wissen ist, dass dies die Zeit der Piratensender waren, die es uns endlich erlaubten, uns von der BBC loszusagen. Endlich konnten wir Musik spielen und hören, die sich nicht dem Drei-Minuten-Diktat beugte. Den Beatles und den Kinks verdanken wir, dass wir unsere eigenen Songs schreiben konnten. Und dann kam auch noch Jim Marshall und stattete uns mit Verstärkern aus, die lauter und härter und verzerrter klangen als alles zuvor. Stellen Sie sich mal Sabbath oder Purple mit den kleinen Vox-Verstärkern der Beatles vor. Unmöglich! All das sind Faktoren, die man miteinbeziehen muss, wenn man über diese Zeit redet. Wir waren ein Teil dieser Bewegung, ja, aber es gab so viel mehr Bands als uns drei.
Ein halbes Jahrhundert ist seither vergangen und noch immer füllt ihr die Hallen und Arenen. Erstaunt euch das manchmal?
Ja! Wir sagen das sehr oft, aber wir sind den Fans sehr dankbar für ihre Loyalität. Wir können es nicht fassen, dass sie uns immer noch die Treue halten – zumal wir ja nie an sie denken, wenn wir Musik schreiben. Wenn wir Musik schreiben, dann gibt es nur die Musik, keine Fans, Radiosender, Plattenfirmen oder Musikmagazine.
Dennoch sträubt ihr euch nicht gegen Neues: Mit Bob Ezrin habt ihr seit drei Platten denselben Produzenten.
Bob ist ein bisschen mit dem Auftauchen von Jim Marshall zu vergleichen. Plötzlich gibt es da dieses neue Element, das die Dinge aufwirbelt und neu zusammensetzt. Schon bei einem unserer allerersten Treffen vor den Aufnahmen zu Now What?! sagte er einen für mich sehr bedeutsamen Satz: Ich will keine Songs, ich will Musik! Er wollte uns, wie wir auf der Bühne waren: Frei, improvisierend, ein einziger Jam. Bob brachte eine ganz neue Energie in die Band, die mit dafür verantwortlich ist, dass wir jetzt zum dritten Mal mit ihm zusammenarbeiten. Und dass es uns überhaupt noch gibt.
Ist es also auch ihm zu verdanken, dass Whoosh! so unverkrampft, so lässig klingt?
In einer Band wie Deep Purple füllt er eine wichtige Rolle aus: Wir sind eine Demokratie ohne Anführer, und er trifft die Entscheidungen. Das beschleunigt alles ungemein, weil wir früher eher ewig an der schlechten Idee eines Mitglieds getüftelt haben, weil wir dessen Gefühle nicht verletzten wollten und es aussaßen, bis die Idee eines natürlichen Todes gestorben war. (lacht) Bei Bob gibt es so etwas nicht. Wenn er etwas nicht mag, sagt er das, wir verwerfen es und machen weiter. Der helle Wahnsinn, wir alle lieben das!
Die Aufnahmen in Nashville liefen also gut? Die Songs zumindest lassen das mit ihren langen Intros und vielen Jams vermuten.
Nach acht Wochen hatten wir die Platte weitgehend im Kasten. Und das ist wirklich kein Vergleich zu früher. Im Grunde war es wie ein Bürojob: Wir kamen mittags ins Studio, nahmen sechs Stunden auf, gingen noch einen trinken oder etwas essen und dann wieder in unsere Apartments. Es gab nichts anderes als die Musik. Keine Regeln, keine Grenzen. Wenn wir diese Energie freisetzen, fühlen wir uns immer noch wie damals, als wir alle Regeln der Musikindustrie brachen. (lacht)
Whoosh! erscheint am 07. August 2020.