Nach über 45 Jahren Bandgeschichte befinden sich die vier Schminkemonster von KISS gerade auf Abschiedsreise durch die ganze Welt. Vom Konzert in ihrer Heimatstadt New York City haben wir bereits berichtet, aktuell gastieren Gene Simmons (69), Paul Stanley (67), Tommy Thayer (58) und Eric Singer (60) mit ihrer End Of The Road-Tour auch in Deutschland. Wir haben Simmons und Thayer gesprochen – über Erinnerungen an Deutschland, Gründe für das Aus und Abschiedstränen.
von Andrea Hömke
Dreh hier die besten KISS-Songs auf:
Mr. Simmons, Mr. Thayer, sie waren in den letzten Jahrzehnten häufig in Deutschland…
Gene Simmons: „Ja, wir lieben Deutschland!“ (wechselt ins Deutsche) „Ick sprecke ein bisken Deutsch. Ick habe es auf der Schule für sechs Monat gelernt. Ick sprecke auch ein bisken Ungarisch, Hebräisch und a bisken Englisch natürlich.“ (lacht und spricht wieder Englisch) „Wenn ich andere Länder bereise, geht es mir nicht ausschließlich darum, gute Konzerte zu spielen. Selbst wenn ich auf meine Linie achten muss: Ich liebe aber Dinge wie Apfelstrudel oder Palatschinken. Sie machen mich glücklich. Und besonders liebe ich den ‚Schlag’ oben drauf, die Sahne. Das gibt es in Amerika nicht.“
Kennen Sie denn auch Currywurst?
Gene Simmons: „Oh ja!“
Und mögen Sie sie?
Gene Simmons: „Ja, sehr. Aber es gibt nichts, was mir mehr schmeckt, als Desserts. Sie sind mein Liebstes. Beständen Menschen aus Dessert, wäre die Welt eine bessere.“
Liebt Desserts und wilde Tiere: Gene Simmons - Pic: Keith LerouxWas macht Touren durch Deutschland besonders?
Tommy Thayer: „Jede Stadt, ob Hamburg, Berlin oder München, hat ihre eigene Geschichte. Mir scheint, als sei das Land in den letzen 20 Jahren weltoffener geworden. Insgesamt wird mir Europa sehr fehlen, deshalb bin ich ganz froh, dass wir diesen Sommer noch einiges davon sehen werden. Ich liebe den Kontinent, und Deutschland besonders. Dort spielen wir meist mehr Shows als in jedem anderen europäischen Land, denn die Fans sind phänomenal und total verrückt. Insofern freut es mich natürlich immer, das Land zu besuchen und dort auf der Bühne zu stehen.“
Tommy Thayer als „Spaceman“ - Pic: Keith LerouxHaben Sie besondere Erinnerungen an Deutschland?
Tommy Thayer: „Ich bin zum ersten Mal in den Achtzigern mit meiner Band Black 'N Blue nach Deutschland gekommen. Wir waren ziemlich jung, bis zu dem Zeitpunkt hat ich noch nie die Staaten verlassen. Als wir also im Studio von Produzent Dieter Dierks in der Nähe von Köln in einem kleinen Ort namens Stommeln ankamen, fand ich das anfangs schon komisch: Wir saßen am anderen Ende der Welt, es gab noch keine Handys, und wir mussten unseren Eltern Briefe schreiben, damit sie wussten, dass es uns gut geht. Aber es war eine tolle Erfahrung, mit Dieter aufzunehmen. Er hatte gerade erst mit den Scorpions gearbeitet und war ein so freundlicher Gastgeber. Wir haben in seinem Gästehaus gewohnt, und weil Stommeln ja auch nicht sehr groß ist, hat sich seine Mutter um uns gekümmert und uns jeden Abend bekocht. Es gab richtig leckere Hausmannskost mit Kartoffeln und Fleisch. Eine großartige Zeit!“
Werden Sie das Reisen vermissen?
Gene Simmons: „Reisen an sich macht müde. Nach Australien zu fliegen, dauert 20 Stunden, nach Japan oder China sind es auch 15. Reist man in die eine Richtung, verliert man einen ganzen Tag, und die Zeitunterschiede bescheren einem immer einen heftigen Jetlag. Zu touren ist eben wirklich nicht leicht. Aber wir stehen voll dahinter, und ich muss sagen, das die Band nie glücklicher war als heute. Wir sind gerne zusammen und auch privat gemeinsam unterwegs, gehen zum Beispiel essen – wir haben einfach eine großartige Zeit.“
Wann haben Sie entschieden, das Ende von Kiss einzuläuten?
Gene Simmons: „Zum ersten Mal haben Paul und ich schon im Jahr 2000 darüber nachgedacht. Damals waren Mitglieder der Urbesetzung drei Mal nacheinander erst aus-, dann wieder eingestiegen. Es gab so viel Ärger, Drogen und Alkohol, dass wir darauf nicht mehr wirklich stolz sein konnten. Also sind auf Abschiedstour gegangen. Das war wirklich eine schwere Zeit, denn obwohl wir Peter Criss und Ace Frehley lieben, konnten beiden einfach nicht mehr Teil von Kiss sein. Je näher allerdings das Ende kam, um so mehr haben sich die Fans zu Wort gemeldet und gefragt, warum Paul und ich nicht einfach ohne die beiden weitermachen können. Wir hatten bis zu dem Moment nicht einmal daran gedacht, haben uns dann aber zu genau diesem Schritt entschieden. Tommy übernahm die Position von Ace und Eric die von Peter. Das war nicht nur erfolgreich, sondern wurde letztlich immer größer.“
Kiss 2019: Tommy Thayer, Gene Simmons, Paul Stanley, Eric Singer (v.l.) - Pic: Jen RosensteinWarum ist genau jetzt der richtige Zeitpunkt für den Abschied gekommen?
Gene Simmons: Ich werde im August 70 Jahre alt, und keiner von uns will zu lange auf der Bühne stehen. Wir sind nicht die Stones oder U2, die in T-Shirts und Turnschuhen auftreten. Ich trage 20 cm hohe High Heels, mein Outfit wiegt 18 Kilo, wir spucken Feuer und Blut und fliegen durch die Luft. Keine Band im Business arbeitet härter. Die Shows, die wir hinlegen, können wir einfach nicht bis ins hohe Alter machen. Und wir sind sehr stolz auf alles, was wir bisher erreicht haben.“
Tommy Thayer: „Ich kann versprechen, dass das unsere letzte Tour sein wird. Ich weiß, wie Gene and Paul darüber denken, für sie sind diese Konzerte die Ehrenrunde. Es ist eben Zeit, denn wir werden alle älter. Jetzt schaffen wir es noch, die Erwartungen der Fans zu erfüllen, doch in ein paar Jahren vielleicht nicht mehr. Wer Kiss also noch nicht gesehen hat, muss es jetzt tun. Es wird keine weitere Chance geben.“
Mr. Simmons, werden Sie nach dem Ende der Abschiedstour noch als Solokünstler um die Welt touren?
Gene Simmons: „Ich besitze ja einige Firmen, darunter ein Cannabis-Unternehmen und eine Restaurantkette. Gerade starte ich meine eigene Musikfestival-Tour, die „Titans of Rock“ heißen wird. Die geht schon bald los. Über eine Solotour habe ich deshalb noch nicht nachgedacht. Im Leben geht es doch auch darum, die Dinge Schritt für Schritt, Woche für Woche oder Monat für Monat zu erledigen. Ich lasse das alles auf mich zukommen. Aktuell stehe ich morgens auf, esse, atme, denke und träume nur noch Kiss. Jeden Tag.“
Die große Show ist Pflicht: Kiss 2019 - Pic: Jay GilbertMacht es mehr Spaß, als großer Rockstar zu touren oder wie ganz früher, als kleinere Nummer?
Tommy Thayer: „Es hat natürlich beides seine Reize.“ (lacht) „Ich habe großartige Erinnerungen an die Achtziger und die Zeit mit meiner Band Black 'N Blue unterwegs war. Wir waren nicht groß genug, um nach Europa zu kommen, aber wir waren jung und haben natürlich viel gefeiert. Die Partys, die Mädchen – alles großartig natürlich. Heute genieße ich es eher, andere Kulturen kennenzulernen. Wir waren in den letzen zehn Jahren zum Beispiel mehrfach in Berlin. Mir hat gut gefallen, etwas von der Geschichte der Stadt mitzubekommen. Ich habe dort tatsächlich auch schon richtige Touristenausflüge gemacht und mir die bekannten Attraktionen wie das Brandenburger Tor und Checkpoint Charlie angesehen. Das hat mir auch deshalb so gut gefallen, weil es auch Teil der Geschichte meines Landes ist.“
Bei dieser Tour gibt es keine zweiten Chancen, Sie können die Fehler nicht auf der nächsten Konzertreise verbessern. Es darf also nichts schief gehen. Macht man sich als Künstler da besonders viele Sorgen?
Tommy Thayer: „Eigentlich nicht. Es ist egal, ob beim ersten oder letzten Gig – Sachen passieren. Wird man krank, spielt man trotzdem. Reißt eine Gitarrensaite, kümmert man sich. Wir marschieren da jetzt durch, uns wird nichts aufhalten. Sich vorher nervös zu machen, bringt einfach nichts, denn es werden Dinge schief gehen. So läuft das Tourleben nun mal. Das ist Rock’n’Roll.“
Letzte Frage an Gene Simmons. Sie sind der „Demon“, der Dämon und Donnergott, Sie spucken Blut und sind auf der Bühne riesig groß. Werden Sie zum Abschied trotzdem weinen?
Gene Simmons: (macht eine lange Pause) „Ja, ich bin sicher, dass das passieren wird. Das wird sehr emotional werden. Wenn man etwas liebt und sich davon verabschieden muss, dann tut das weh. Es wird schmerzhaft werden, schmerzhaft und schön.“
Titelfoto: Jen Rosenstein