Interview mit Metal-Legende Mercyful Fate: „Ich habe mich seit 1981 nicht weiterentwickelt“
popkultur01.07.20
Es wäre ihr Sommer gewesen: Corona hat auch die Pläne der finsteren Metal-Legende Mercyful Fate gehörig durchkreuzt. Die Dänen lassen sich aber nicht aus der Ruhe bringen und schicken einfach ein paar schicke Neuauflagen ins Rennen. Und zu erzählen gibt es ja eh immer was, wie ein gewohnt vergnüglicher Hank Sherman mal wieder beweist.
von Björn Springorum
Sie haben Metallica beeinflusst, waren mit Motörhead auf Tournee und haben dem finsteren Sujet des Black Metal ein visuelles Lehrbuch an die Hand gegeben: Mercyful Fate sind eine jener Metal-Legenden, deren Ruf immer schon größer war als sie selbst. Gitarrist und Komponist Hank Sherman stört das nicht. Im Gegenteil: Knapp 40 Jahre nach Bandgründung ist er immer noch voller Eifer für die Band, die er gemeinsam mit Make-Up-Monarch King Diamond gegründet hat. Nach der einen oder anderen Auflösung und Reunion haben sich die beiden jetzt wieder zusammengefunden. Und hätten unter normalen Umständen auch schon neue Musik veröffentlicht und Konzerte gespielt. Aber normal, das wissen wir längst, ist ja bekanntlich gar nichts derzeit.
Hank, wie steht es denn jetzt eigentlich um euer drittes Comeback?
Wie alle anderen, sind natürlich auch wir von diesem Virus betroffen. Wir bekamen schon im Februar das Gefühl, dass das nicht gut gehen wird. Natürlich kann man da eh nichts machen, aber du kannst dir unsere Enttäuschung sicherlich vorstellen. Wenn du solange deine Comeback-Konzerte planst, wenn du so viel Zeit und Leidenschaft in neue Mercyful-Fate-Songs gesteckt hast, ist das einfach ein herber Rückschlag. Aber na ja, wir haben so viele Jahre auf unsere Rückkehr gewartet, da machen uns diese paar Monate jetzt auch nichts mehr aus.
Auf die neuen Songs müssen wir also ebenso warten wie auf die Konzerte?
So sieht es derzeit jedenfalls aus, ja. Normalerweise hätten wir schon Anfang Juni eine neue Single veröffentlicht, aber das verkneifen wir uns jetzt erst mal. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass wir mit Mercyful Fate noch in diesem Jahr etwas Neues herausbringen werden. Was dann mit dem Album passiert, müssen wir noch sehen: Es steht ja auch eine neue Platte von King Diamond an, und diese Dinge wollen gut abgesprochen sein.
Was kannst du uns denn über das kommende Mercyful-Fate-Album sagen?
Bislang habe ich sechs oder sieben Songs zusammen. Wir schreiben gerade eine Platte, die zurück zu unseren Wurzeln geht. Wir wollen diesen alten Vibe wieder, diese Aura. Die bisherigen Stücke würde ich als Mischung aus unserer ersten EP Mercyful Fate und unserem Debüt Melissa beschreiben. Es geht also zurück in die ganz frühen Achtziger!
Eure Anfänge liegen fast 40 Jahre zurück, du bist heute Anfang 60 und nicht mehr Anfang 20. Wie versetzt man sich denn wieder in diese Stimmung?
Diese Art von Musik liegt mir im Blut. Ich habe ja immer schon den überwiegenden Teil des Materials geschrieben, ich kann also gar nicht anders. Man könnte es auch so sagen: Ich habe mich seit 1981 nicht mehr weiterentwickelt. (lacht) Ich habe sogar ein exaktes Duplikat der Gitarre auftreiben können, mit der ich Melissa und Don‘t Break The Oath eingespielt habe. Es ist also eher unmöglich, nicht wieder in diese Stimmung zu kommen.
Was für eine Gitarre ist das?
Als wir unsere erste EP 1982 in London aufnahmen, flog ich ohne Gitarre nach England. Ich ging also in den nächstbesten Gitarrenladen, der mit eine Flying V verkaufte. Ich war aber eben ein riesiger Fan von Uli Roth und Ritchie Blackmore, also wollte ich dann natürlich eine Fender Stratocaster haben. Dafür hatte ich damals aber natürlich keine Kohle, also besorgte ich mir im Frühling 1983 eine deutlich günstigere Stratocaster von Morris. Mit der nahm ich dann Melissa und Don‘t Break The Oath auf. Und vor etwa einem halben Jahr stolperte ich über einen Anbieter, der das exakt selbe Modell in bester Verfassung zum Verkauf anbot. Ein Zeichen, kein Zweifel.
Wie erklärst du dir den ungebrochenen Einfluss und den massiven Kultstatus, den Mercyful Fate fast 40 Jahre nach ihrer Gründung immer noch haben?
Wir waren jung, Anfang 20, und hatten keinerlei Grenzen. Ich konnte an nichts anderes denken als ans Komponieren. Ich konnte sogar nicht einschlafen, weil mich ein Song verfolgte. Wir wollten uns nicht festlegen, wollten nichts ausschließen. Wir haben unsere Wurzeln in der Punk-Bewegung, mochten aber auch damals schon melodischen Rock und düstere, unheilvolle Musik. Das kam alles wie von selbst zusammen, gekrönt von King Diamond, der nun mal so klang wie keiner vor ihm.
Nicht zu vergessen, die okkulte Aufmachung und der unverhohlene Flirt mit dem Satanischen. Das war auch neu damals…
Stimmt. Das ist alles King Diamond zu verdanken. Ihm ging es aber immer schon eher um das Entertainment. Er wollte Gruselgeschichten erzählen und bei dieser Band das machen, was sein Herz ihm sagt. Wenn man so will, ist er damit ziemlich linientreu mit den Aussagen der Satanischen Bibel. Nicht, dass wir uns als Satanisten sahen; es gab da aber eine Menge interessante Dinge, die wir nur zu gern aufnahmen und auch sehr früh in unsere Shows einfließen ließen. Ich denke, das hat uns durchaus mehr Aufmerksamkeit eingebracht als anderen Bands.
Im eiskalten Winter 1984 wart ihr mit Motörhead live unterwegs in Deutschland. Welche Erinnerungen hast du daran?
Oh, eine Menge! Nachdem wir mit Don‘t Break The Oath ziemlich viel Aufmerksamkeit bei unserer Amerika-Tournee generieren konnten, bekamen wir auf einmal jede Menge Anfragen. Wir hatten zeitweise drei Manager gleichzeitig und wussten gar nicht, was wir zuerst beantworten sollten. Direkt nach Weihnachten ging es dann für uns nach Deutschland für die Christmas Metal Meetings. Mann, waren das abgefahrene Shows! Motörhead, H.E.A.T. und Girlschool waren auch dabei und wir hatten eine wirklich gute Zeit in der Eiseskälte. Aber natürlich ging auch eine ganze Menge schief. Nach einer Show waren wir in unserem Hotel in Bad Rappenau und wurden vollkommen eingeschneit. Wir mussten aber weiter nach Nürnberg – und ich war der Fahrer! Also schaute ich mir die Strecke auf einer Landkarte an und fuhr los. Als wir in Nürnberg ankamen, fiel uns zunächst mal auf, wie ruhig alles war. Kleines Dorf, keine Menschenseele auf der Straße unterwegs. Als es uns so langsam wirklich seltsam vorkam, ging unser Tourmanager in eine Telefonzelle und erledigte einige Telefonate. Wie sich herausstellte, waren wir in das falsche Nürnberg gefahren! Irgendwie haben wir es aber doch noch zur Show geschafft.
Mit euren frühen Werken habt ihr Bands wie Metallica oder Slayer beeinflusst. Ein solcher Erfolg war euch nie bescheiden – kann das nicht auch mal frustrierend sein?
Ich sehe das entspannt. Metallica haben einfach viel mehr Gas gegeben als wir, waren ständig auf Tour. Und verdammt gute Songs konnten sie auch schreiben. Sie haben einen Klassiker nach dem anderen veröffentlicht, die im Metal genreübergreifend gut ankamen. Bei Mercyful Fate ist vielen der Gesang zu speziell, würde ich mal vermuten. Außerdem waren wir ja nur eine Handvoll Jahre zusammen, bis wir uns das erste Mal auflösten. Wer weiß also, was passiert wäre…