Als Tom Petty zu Beginn der Neunziger die Arbeit an einem neuen Album aufnimmt, liegt die Messlatte hoch: Mit Full Moon Fever hat der US-Rocker gerade eine der erfolgreichsten Platten seiner Karriere veröffentlicht und zwar (fast) ohne seine Band The Heartbreakers. Für Into The Great Wide Open trommelt er die Gruppe wieder zusammen — und läutet das Ende einer Ära ein.
von Timon Menge
Hier könnt ihr Into The Great Wide Open von Tom Petty & The Heartbreakers hören:
1990 steht Tom Petty zwischen den Stühlen: Nach seinem Soloalbum Full Moon Fever möchte er nicht noch eine Platte ohne seine Band The Heartbreakers aufnehmen. Er kann aber auch nicht einfach unter den Tisch fallen lassen, was er sich mit Produzent Jeff Lynne (Electric Light Orchestra, Traveling Wilburys) aufgebaut hat, nämlich einen entspannten Radiosound, für den man ihn bis heute kennt. Petty beschließt, die beiden Welten miteinander zu verschmelzen.
„Das hat mir Angst gemacht“, gibt er 1991 in einem Interview mit dem Rolling Stone zu Protokoll. „Da war ich nun mit einem meiner neuen Freunde, um ihn meinen alten Freunden vorzustellen. Ich habe einfach gehofft, dass sich alle gut verstehen.“ Die Fusion funktioniert. Das Ergebnis: eins der legendärsten Tom-Petty-Alben, das aber auch das Ende einer Ära markiert.
Direkt ins Herz der Hörer*innen
Ob Learning To Fly oder der Titeltrack — auf Into The Great Wide Open stellt Tom Petty zweifelsohne einige seiner besten Songs vor. So handelt das Titelstück zum Beispiel von der Geschichte eines jungen Musikers, der nach Los Angeles umsiedelt und dort in den Bann der Musikindustrie gezogen wird. (Im dazugehörigen Musikvideo übernimmt Johnny Depp diese Rolle.) Solche Geschichten kennen wir in abgewandelter Form alle, doch Petty erzählt sie so, dass man gar nicht anders kann, als zuzuhören.
Learning To Fly hingegen stellt einmal mehr unter Beweis, was er mit wenigen Akkorden und seiner Stimme alles umsetzen kann. Wo andere solch einen Song deutlich dramatischer und möglicherweise sogar orchestraler inszenieren würden, erzählt Petty wieder einmal in wenigen treffenden Worten, was wichtig ist: „I’m learning to fly, but I ain’t got wings / Coming down is the hardest thing“.
„Ich denke, dass die Musik mitwachsen muss, wenn man als Person wächst.“ - Tom Petty
Auch über diese beiden Hits hinaus hat Into The Great Wide Open erstklassiges Material zu bieten. Ob die Landstraßen-Hymne Kings Highway, der Antikriegs-Song Two Gunslingers oder das heimelige You And I Will Meet Again: Petty schafft es, seine Lieder auf das Nötigste zu reduzieren und hat dabei im Gegensatz zu vielen anderen Musiker*innen ein gutes Gespür dafür, dass das Nötigste nicht zwingend das Wenigste ist. Damit unterstreicht er nicht nur seinen Stand als Rockprofi, sondern zeigt auch, dass er sich stetig weiterentwickelt hat.
„Ich finde es super, dass ich nicht das Gefühl habe, dass ich einen Song wie Refugee erneut und erneut wiederholen muss“, freut er sich 1991 in einem Interview mit dem Chicago Tribune. „Ich denke, dass die Musik mitwachsen muss, wenn man als Person wächst, und dass man immer wieder Wege finden muss, um relevant zu bleiben. Warum sollte man das zehnte Tom-Petty-Album kaufen, wenn es sich nicht von den ersten neun unterscheidet?“
„Vielleicht hatte Into The Great Wide Open nicht die gleiche Einfachheit wie Full Moon Fever.“ - Jeff Lynne
An den Erfolg von Full Moon Fever kann Into The Great Wide Open trotz der hohen Qualität nicht anknüpfend, möglicherweise auch wegen der Arbeit im Studio. „Vielleicht hatte Into The Great Wide Open nicht die gleiche Einfachheit wie Full Moon Fever“, erklärt Produzent Jeff Lynne in Petty: The Biography. „Full Moon Fever hatte dieses Es-ist-was-es-ist-friss-oder-stirb-Feeling. Der Sound war so prägnant und in sich rund. Bei Into The Great Wide Open haben wir vielleicht zu viel nachgedacht.“
Auch Petty selbst hat nach Into The Great Wide Open wohl das Gefühl, dass die Luft zwischen ihm und Jeff Lynne weggeatmet ist, denn nach der Platte wechselt er nicht nur das Label, sondern auch den Produzenten. Wildflowers (1994) nimmt der Musiker mit Studiolegende Rick Rubin auf. Doch das ist wieder einmal eine andere Geschichte.
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