Zeitsprung: Am 8.8.1970 kauft Janis Joplin einen Grabstein und schreibt „Mercedes Benz“
popkultur07.08.23
Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 8.8.1970.
von Jana Böhm und Christof Leim
Im Sommer 1970 kauft Janis Joplin einen Grabstein für ihr Idol Bessie Smith, dann schreibt sie zwischen Southern Comfort und Bier ihren Hit Mercedes Benz und singt ihn noch am gleichen Abend live. Auf Platte gelangt die Nummer nur noch in einer rauen Erstfassung. Janis erlebt die Veröffentlichung nicht mehr.
Hört euch ihr letztes Album Pearl hier an:
Die Abergläubischen unter uns werden sagen, dass Janis Joplin durch diesen Akt der Verehrung ihr eigenes Schicksal besiegelt, das wenig später eintritt.Am 8. August 1970 ehrt Janis ihr großes Idol Bessie Smith, eine der bedeutendsten Blues-Sängerinnen der Zwanziger und Dreißiger Jahre. Zusammen mit der ehemaligen Haushälterin Juanita Green kauft sie einen Stein für das anonyme Grab der 33 Jahre zuvor bei einem Autounfall verstorbenen Künstlerin.
Große Bewunderung
Zu Beginn der Siebziger wird Smith wird vor allem von jungen und gesellschaftskritischen Menschen wiederentdeckt. Dass Joplin sich manchmal als Wiedergeburt Smith fühlt, macht den enormen Einfluss deutlich. Auf den Grabstein lässt sie voller Bewunderung folgende Worte eingravieren: „Die größte Blues-Sängerin der Welt wird niemals aufhören zu singen“. Dass man dies schon bald über sie selbst sagen wird, ahnt sie nicht.
Bessie Smith, Blues-Ikone der Zwanziger und Dreißiger - Foto: Carl Van Vechten/Library of CongressAm Abend dieses 8. August zieht sich Janis mit ihrem Kumpel Bob Neuwirth in eine nahegelegene Bar zurück. Später wird sie ein Konzert spielen. Zwischen ein paar Drinks fällt ihr eine Zeile von Beat Poet Michael McClure ein: „C’mon, God, and buy me a Mercedes Benz“. Zusammen klopfen sie Rhythmen auf Gläser und Tischplatten, Neuwirth schreibt Textfragmente auf eine Serviette. Aus einer Laune heraus entsteht Mercedes Benz, ein Stück mit großer sozialer und politischer Bedeutung. Janis gefällt die absurde Idee, Gott angesichts all der irdischen Probleme um einen deutschen Luxusschlitten zu bitten.
Acapulco und nur Gesang
Wenig später spielt sie ihr neues Werk vor Publikum. Sie stellt es vor mit den Worten: „Ich habe es gerade an der Bar an der Ecke geschrieben. Ich werde es Acapulco machen.“ (Mit „Acapulco“ meint sie wohl „a capella“, aber wir waren nicht dabei). Die Show wird ihr vorletzter Auftritt sein und die Aufzeichnung dieses Abends einer der weitverbreitesten Konzertmitschnitte, schon allein wegen der Uraufführung von Mercedes Benz.
Anfang Oktober des gleichen Jahres versucht Janis Joplin, an ihren Erfolg als Frontfrau der Big Brother And The Holding Company anzuknüpfen. Sie bereitet sich auf ein neues Studioalbum vor und gewinnt Doors-Produzent Paul Rothchild für die Aufnahmen. Während der Arbeiten bittet Janis Rothschild, das Band zu starten, denn sie hat da diesen einen Song, den sie unbedingt aufnehmen will.
Nur eine Vorabversion
Rau und kratzig singt sie die Rohfassung von Mercedes Benz ein, die finale Version soll später folgen. Doch dazu kommt es nicht. Wenige Tage danach stirbt Janis Joplin nachts an einer Überdosis Heroin. Vor dem Hotel parkt ihr Porsche, den ein Freund mit psychedelischen Farben bemalt hat. Rothschild und seine Crew beenden die Arbeiten am Album und titeln es nach Janis Spitznamen. Pearl erscheint posthum und schießt weltweit auf die Spitzenposition der Charts. Im Jahr 2000 wird es vierfach mit Platin ausgezeichnet.
25 Jahre später hält es der Großkonzern Mercedes Benz für eine gute Idee, Janis gleichnamigen Song für seine Werbekampagne zu nutzen. Viele fühlen sich davon vor den Kopf gestoßen, dass ihre Ikone der Gegenkultur der Sechziger so schamlos vor einen Wagen gespannt wird, der für Wohlstand als Statussymbol steht. Im Werbespot fahren junge Reiche im weißen Cabrio durch hübsche Kulissen, und die eingesetzte Version des Songs erinnert eher an Like Ice in The Sunshine und Strandfeeling. Da fragt man sich, ob der Konzern sich selbst aufs Korn nimmt – oder die Ironie und Konsumkritik nicht mitbekommen hat. Janis würde sich jedenfalls im Grab umdrehen.
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