Am 24. Januar 1941 kommt Neil Diamond in Brooklyn zur Welt. Das Erstaunliche ist aber nicht, dass sein Name gar kein Künstlername ist; das Erstaunliche ist seine 60-jährige Karriere, die neben reihenweise Klassikern und Evergreens auch die eine oder andere gerne übersehene Überraschung hervorgebracht hat. Eine Expedition ins diamantene Archiv.
von Björn Springorum
1. At Night (1963)
Jede*r muss mal irgendwo anfangen. Auch ein Neil Diamond. Nach mehreren erfolglosen Anläufen wird er 1962 von Columbia unter Vertrag genommen. Das erste Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist die charmant naive Single At Night von 1963, ein unschuldiges Stück Musik, für das Neil Diamond allerdings keine allzu guten Worte übrig hat: „Ich wollte unbedingt wie Neil Sedaka klingen und kam ihm nicht mal nah.“
2. Solitary Man (1966)
Die nächsten Jahre laufen nicht gut für Neil Diamond. Er schlägt sich als Songschreiber durch, lebt von der Hand in den Mund, gibt umgerechnet nicht mal drei Dollar am Tag für Essen aus. Er schreibt in Bussen oder im Obergeschoss des Birdland Jazz Clubs. An einem Klavier entsteht Solitary Man und wird im April 1966 sein erster Hit. Chris Isaak und natürlich Johnny Cash covern die ikonische Nummer, die bis heute zu Diamonds Lieblingen zählt.
3. I’m A Believer (1966)
Bevor aus Neil Diamond selbst ein Weltstar wird, schreibt er Welthits für andere. Das berühmteste Beispiel ist wahrscheinlich I’m A Believer von den Monkees, das Ende 1966 nach nur zwei Tagen mit Gold ausgezeichnet wird. Ihm liegt die Nummer so am Herzen, dass er sie 1979 für sein 13. Studioalbum September Morn neu aufnimmt.
4. Sweet Caroline (1969)
So ganz kann sich Neil Diamond offensichtlich nicht auf eine Entstehungsgeschichte seines größten Hits einigen: Lange Zeit behauptete er, John F. Kennedys Tochter sei die Inspiration gewesen, ein damals 11-jähriges Mädchen; irgendwann wandte er sich von der Geschichte ab und erzählte, es sein ein Lied über seine damalige Frau Marcia, dessen Titel einfach eine Silbe fehlte. Der Library of Congress ist es einerlei: Sie nimmt Sweet Caroline 2019 zum 50. Geburtstag des Songs für dessen „kulturelle, historische und ästhetische Bedeutung“ in das National Recording Registry auf.
5. Shilo (1970)
Zum Beginn des neuen Jahrzehnts hat Neil Diamond zusehends die Schnauze voll von platten Pop-Hits. Er strebt einen bedeutungsvolleren, introspektiven Sound an, legt sich mit seinem Label an, sucht sich neue Partner – und veröffentlicht mit Shilo ein bemerkenswert offenes, verletzliches Stück über einen imaginären Freund. Es ist einer der autobiografischsten Songs des New Yorkers, in dem viele seine eigene einsame Kindheit verankert sehen.
6. You Don’t Bring Me Flowers Anymore (1978)
Wenn Neil Diamond an seine Schulzeit in einer eher ärmlichen Gegend von Brooklyn zurückdenkt, kommt er oft auf seine Klassenkameradin Barbra Streisand zu sprechen. „Wir waren zwei arme Kids, die vor unserer Schule herumhingen und rauchten“, so beschreibt es Diamond viele Jahrzehnte später. Schon bemerkenswert, dass die Erasmus Hall High School zwei der erfolgreichsten Künstler*innen des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Es dauert dennoch rund 20 Jahre, bis die beiden erstmals zusammen singen. Und das auch nicht unbedingt freiwillig: Nachdem Streisand Diamonds You Don’t Bring Me Flowers Anymore von 1977 auf ihrem Album Songbird covert und Radiostationen daraufhin beginnen, aus den beiden Versionen einen furchtbaren Mash-Up zu machen, nehmen die Beiden die Nummer ganz offiziell als Duett auf. Es lohnt sich: Der Song verweilt zwei Wochen an der Spitze der US-Charts und verkauft sich über eine Million Mal.
7. Heartlight (1982)
1982 ist die ganze Welt im E.T.-Fieber. Neil Diamond auch: Er ist so beeindruckt von Steven Spielbergs Alien-Mär, dass er den Universal Studios 25.000 US.Dollar zahlt, um Ideen und Eindrücke aus dem Film in seinem Song Heartlight zu verwenden. Er schreibt ihn mit Carole Bayer Sager und ihrem damaligen Ehemann Burt Bacharach, die gemeinsam mit Diamond im Kino waren. Rührende Vorstellung, die drei in einem Saal und E.T. auf der Leinwand.
8. Delirious Love (2005)
2005 wird Rick Rubin auf Neil Diamond aufmerksam. Wie bei Johnny Cash, setzt er auch bei Diamond auf einen puren, simplen Ansatz, bringt sogar dieselben Musiker ins Studio, die auf den American Recordings spielten. Rubin, ganz der Mentor großer Altstars, kann Diamond sogar dazu bringen, Gitarre im Studio zu spielen. Das Ergebnis ist das wunderbare Album 12 Songs, sein erfolgreichstes seit einer Ewigkeit. Unter vielen wunderbar folkigen Country-Songs, entstanden in einer eingeschneiten Hütte in Colorado, ist Delirious Love mit Beach Boy Brian Wilson eines der klaren Highlights.