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Zeitsprung: Am 3.8.1970 feiert der Film „Performance“ mit Mick Jagger seine Premiere.

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 3.8.1970.

von Jana Böhm und Christof Leim

Es soll Mick Jaggers Schauspieldebüt werden, doch 1968 ist die Welt für einen Film wie Performance nicht bereit. Skandalöse Szenen voller Sex und Gewalt stoßen die Filmkritik vor den Kopf und bringen Produzentengattinnen zum Kotzen. Der britische Schauspieler James Fox beschließt anschließend, Missionar zu werden, und Keith Richards Freundin Anita Pallenberg teilt sich nicht nur vor der Kamera ein Bett mit Mick Jagger. Bei Warner Brothers ist man entsetzt und versucht, den Film zu verhindern oder wenigstens rabiat zu zensieren. Am 3. August 1970 kommt Performance mit Verspätung und ganz unglamourös in die britischen Kinos. 

Hier könnt ihr den Soundtrack von Performance anhören:

Die Handlung in kurz: Ein aufstrebender und gewaltbereiter Gangster versteckt sich nach einem ungeplanten Mord im Haus eines Rockstars. So unspektakulär hätte es Warner Brothers gern und sieht schon einen großen Kassenschlager der Popkultur am Firmament. Doch dann dreht sich die Geschichte um mehr als Bandenkriminalität im Londoner East End.

Gangster und eine pikante Ménage-à-trois

Chas, gespielt von James Fox, arbeitet als Killer für eine Londoner Gang. Bei einem Auftrag schließt ihn Bandenchef Harry Flowers aus dem Geschehen aus. Doch Chas widersetzt sich der Anordnung und tötet einen Rivalen der Gang. 

Um einer Strafe zu entgehen, will er eigentlich aus der Stadt fliehen, bleibt dann aber doch. Im labyrinthartigen Haus des unzugänglichen Ex-Rockstars Turner und seinen zwei Frauen Pherber und Lucy erhält Chas Unterschlupf. Die beiden Männer sind grundverschieden, doch Turner findet Gefallen am kriminellen Leben des Anderen. Unzählige Psychospielchen und verschiedene Drogen später hat Chas sich komplett verändert. Er hat Sex mit der androgynen Pherber und geht nach dem Genuss halluzinogener Pilze eine Beziehung mit Lucy (Anita Pallenberg) ein. Am Ende schießt er auf Turner und wird von Flowers Männern gepackt.

Szene mit Anita Pallenberg und Mick Jagger - Foto: Andrew Maclear/Hulton Archive/Getty Images

Donald Cammell und Nicholas Roeg drehen Performance mit einem Budget von 750.000 Pfund. Die geplante Gangsterstory über Londons kriminelle Unterwelt entwickelt sich zu einem Trip voller Fantasie und Realität, Sex, Drogen, Rock’n’Roll und brutaler Gewalt. Wegen seiner extremen Inhalte nimmt Warner Brothers Abstand und legt das Projekt auf Eis. Nach zwei Jahren Streit zwischen Konzern und Filmemachern kommt das Werk dann ohne große Premiere und Festivitäten in die britischen Kinos. Während der Film manche an den Rand des Wahnsinns treibt, sieht James Fox einen schlauen Schachzug darin, für ein paar Jahre unterzutauchen, und widmet sich seinem christlichen Glauben. Für Mick Jagger kommt das Ganze gelegen, um sein verruchtes Image zu festigen.

Es ist zum Kotzen

Verunsichert stellt Warner Brothers Performance in den USA auf die Probe. Ein Lichtspielhaus in Los Angeles wird Schauplatz für eine Testvorführung, um Reaktionen von Presse und Filmwelt einzuholen. Bereits zu Beginn verlassen einige entsetzt den Saal, und Gerüchten nach übergibt sich die Gattin eines Produzenten vor Ekel in ihre Handtasche. Nun ja, so schont sie wenigstens die roten Samtsessel.

Auch die anschließende Post-Screening-Party wird ein absolutes Desaster. Statt rauschendem Champagner-Fest und Lobhudeleien gibt es lange Gesichter. Co-Direktor Nicholas Roeg erinnert sich ungern daran zurück: „Die Gäste entfernten sich von uns... Wir waren allein in einem Raum, wir waren Parias.“

Der Film der tausend Gerüchte

Um das Werk entsteht eine brodelnde Gerüchteküche: Michele Breton und Anita Pallenberg treibt er, so heißt es, in die Heroinsucht, letztere außerdem in die Arme ihres Filmpartners Mick Jagger. Anitas damaligem Freund Keith Richards gefällt das gar nicht, und die Beziehung der „Glimmer Twins“ bekommt angeblich einen heftigen Knacks. Regisseur Donald Cammell begeht Jahre später Selbstmord, und Schauspieler John Bindon werden seine engen Verbindungen zur Unterwelt zum Verhängnis: Er wird in einem Londoner Nachtclub erstochen.

Das Filmplakat zu „Performance“

Doch seien wir ehrlich: Die Sechziger waren das Zeitalter von Sex, Drugs and Rock’n’Roll, ein großes Ausprobieren und Experimentieren mit Drogen und freier Liebe. Das stößt absehbar auf heftigen Gegenwind. Performance ist einer der ersten Filme, der der Welt diese kulturelle Wende vor Augen führt und zu Recht ein Kult. Um es mit Mick Jaggers Worten abzuschließen: „All die Storys um den Dreh dieser Szenen sind so gut, ich werde keine davon abstreiten.“