Vor 20 Jahren veröffentlichen Placebo Black Market Music, mühsam zusammengezimmert in einem neunmonatigen Studiomarathon. Das Album wird ein gewaltiger Erfolg, porträtiert aber eine Band, die sich im Dauerrausch befindet und Arroganz zum Leitmotiv erklärt.
von Björn Springorum
Unter Journalist*innen gibt es früher eine eiserne Regel: Interviewe Placebo nur, wenn es sich wirklich nicht vermeiden lässt oder du so langsam keinen Bock mehr auf deinen Job hast. Die Band, so wichtig, genial, anders und erfolgreich sie um die Jahrtausendwende auch ist, hat so wenig Lust auf Interviews, wie man sich das bei drei Mittzwanzigern auf dem Weg zu Weltstars nun mal so vorstellt. Ihr letztes Album Without You I‘m Nothing beschert ihnen den weltweiten Durchbruch, Brian Molko ist längst der androgyne, männer- und frauenverschlingende Posterboy der MTV-Generation.
Die berauschten Cowboys des Rock
Desinteresse, Hochnäsigkeit, Animositäten eilen Placebo voraus wie Tiere, die vor einem Waldbrand davonlaufen. Auf dem Höhepunkt dieser ersten gewaltigen Erfolgswelle gehen Molko, Stefan Olsdal und Steve Hewitt zurück ins Studio, um den Sack endlich zuzumachen und zur globalen Supermacht aufzusteigen. Die Phantome der letzten Tour, sie folgen ihnen aber hinter geschlossene Studiotüren. „Wir kamen gerade von dieser unfassbar erfolgreichen Tour zurück und hatten das Gefühl, explodiert zu sein. Wir fühlten uns wie die Cowboys des Rock“, erinnert sich Brian Molko 2009 in einem Interview mit Kerrang! Aber da war noch etwas: „Wir standen praktisch pausenlos unter Medikamenten und fingen gerade an, uns so richtig in den Drogen zu verlieren.“
Nachdem das Debüt Placebo in schlanken zwei und der Durchbruch Without You I‘m Nothing in drei Monaten unter Dach und Fach waren, fehlt Placebo ab Ende 1999 der Fokus. Sie wirken zerfahren, können sich auf nichts konzentrieren, nicht einigen und verplempern unsinnig viel Zeit. Auf dem Höhepunkt ihrer Allüren ist das ihnen natürlich schnurz: Sie sind Placebo, sie können sich das erlauben. „Die Drogen steigerten unsere Arroganz ins Unermessliche“, so Molko. Dass sie das Album nach neun langen Monaten dennoch irgendwie fertigstellen, grenzt fast an ein Wunder.
Molko exorziert Angst, Psychosen und sexuelle Spannung
Und dass es so stark ist auch: Taste In Men, Special K oder Slave To The Wage klingen regelrecht ätzend und kratzend in ihrer verzerrten Härte, Molko exorziert Angst, Psychosen und sexuelle Spannung mit seiner wahrscheinlich besten Gesangsleistung. Das Album ist wie eine erodierende, blutende, gepeinigte Version des vergleichsweise melodischen Vorgängers, paart Noise-Geschrammel und hohes Tempo mit elegischen, finsteren Piano-Nummern und jeder Menge toxischer Stimmung. Heute sagt Molko selbst, Black Market Music sei das Placebo-Album, das er am wenigsten mag. Es liegt nahe, darin eine Ablehnung seiner eigenen Persönlichkeit zu dieser Zeirt zu sehen. An dem Blasen schlagenden, klaustrophobischen Sound seines dritten Albums oder an der geschliffenen, scharfkantigen Produktion kann es zumindest nicht liegen.
Mit schwarzen Fingernägeln gegen Misogynie Homophobie
Dennoch ist Molko mit seiner Kritik erstaunlicherweise nicht allein: Black Market Music bekam seinerzeit mehr Kritik ab als die beiden Vorgänger. Und das, obwohl die Band bis dato nie kohärenter klang. Eindeutig positionierter war sie ebenfalls nie: Mit schwarzen Fingernägeln, Damenklamotten und bisexuellen Inhalten von Anfang an die britische Antithese auf den maskulinen Britpop, zieht Black Market Music die Schraube sogar noch ein wenig mehr an: „Wir verspürten so viel Verachtung für Rap-Rock-Bands wie Limp Bizkit und das, was sie repräsentierten – Misogynie, Homophobie und Kommerz –, dass wir sie alle vorführen wollten.“ Das Resultat: Die Nummer Spite And Malice, eine offene Abrechnung mit diesem Testosteron-Rock, befeuert von Rapper Justin Warfield und schrill jaulenden Gitarren.
Ein Album zwischen Schönheit und Perversion ist Black Market Music, eine Ouvertüre für den Fiebertraum namens Sleeping With Ghosts. Und für die Band genügend Gelegenheit, während einer einjährigen Tournee erneut die Untiefen des Hedonismus auszuleuchten. So verletzend und zugleich verletzlich wir auf ihrer dritten klangen sie aber nie wieder.