Oh Amy! Es gab viele Ereignisse in Amy Winehouses Leben, die man als Fan besser nicht in Erinnerung behält und wo man genau das dachte: Oh Amy! Dazu gehörte auch ihr letzter Auftritt, der im Nachhinein wie eine Prophezeiung wirkte. Wobei man keine Hellseherin sein musste, um das viel zu frühe Ende dieser großen Sängerin vorherzusehen. Ihr letztes Konzert absolvierte Winehouse vollkommen bedröhnt in Belgrad, ihre Backgroundsänger müssen während des Songs “You’re Wondering Now” übernehmen:
“You’re wondering now, what to do, now you know this is the end […] You’re wondering now, you will pay, for the way you did behave”, heißt es in dem Song.
Winehouse wusste es wohl selbst: Es würde nicht lange gut gehen. Doch rückwärts erzählt wirkt die Geschichte fast immer schlüssig. War ja klar, dass es so kommen musste u.s.w. Doch niemand kommt als über die Bühne stolpernde Alkoholikerin mit gefährlichem Untergewicht und mit verschmiertem Eyeliner zur Welt.
Dennoch: Was wäre Amy Winehouse ohne ihre Affinität zum großen Drama gewesen? Mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr als eine weitere Retro-Soul-Sängerin mit einer zugegeben spektakulären Stimme und ebensolcher Frisur.
Biografisch allein lässt sich Winehouses Lieblingsrolle der Drama Queen nicht erklären. Geboren am 14. September 1983 in Southgate, einem armen Viertel im Norden Londons, verläuft ihre Kindheit unspektakulär. Der Vater fährt Taxi, die Mutter ist Apothekerin, viele Verwandte machen Musik, unter ihnen sind einige professionelle Jazzmusiker. Die Eltern trennen sich und das Mädchen, das auf Fotos abstehende Zöpfe trägt und beim Lachen viel Zahnfleisch zeigt, wechselt bis zu ihrem Highschool Abschluss fünf Mal die Schule. Von ihrem Bruder lässt sich Amy ein paar Gitarrenakkorde beibringen. Erst an der BRIT School for Performing Arts & Technology, einer Kaderschmiede für junge Talente, entwickelt Amy Winehouse ein ernstes Interesse an Musik und eine Persönlichkeit mit Hang zur Exzentrik. Nach einem Jahr bricht sie das Studium ab.
Gerade volljährig unterschreibt Winehouse ihren ersten Plattenvertrag, bereits mit 20 bringt sie Frank heraus, ein Album, das heute etwas unberechtigt im Schatten von Back To Black steht, ist es doch eine kreative Erkundung verschiedener Jazzstile, die Winehouse mit gebotener Tragik darbietet. Das Album wurde 2004 für die BRIT Awards und den prestigeträchtigen Mercury Prize nominiert, ging jedoch leer aus. Bilder von Winehouse aus der damaligen Zeit zeigen eine schöne Frau mit langen Haaren, die sie damals noch offen trug, mit gesunder Gesichtsfarbe und süßen Pausbäckchen. Sie kann von ihrer Musik leben, tritt auf dem Glastonbury und anderen großen Festivals auf.
Dann betritt ein gewisser Blake Fielder-Civil die Bar, in der Winehouse in Camden sitzt, ein unbekannter Typ mit vielen Tattoos, der am Set von Musikvideos als Springer arbeitet. Es ist Liebe auf den ersten Schluck. Namen und Liebesbotschaften werden auf Körper tätowiert, spontan wird geheiratet in Miami, während man doch eigentlich mit dem Rolling Stone zum großen Interview verabredet gewesen wäre. Freunde, Familie und Biographen sind sich einig: Fielder-Civil, ein Mann ohne Wikipedia- aber mit umso mehr Strafregister-Einträgen, hat das Leben des empfindsamen Stars zerstört.
Ganz so einfach ist es wohl nicht, Winehouse trug selbst eine dunkle Seite in sich. Back To Black ist jenes Album, mithilfe dessen Winehouse die unausweichliche Trennung von Fielder-Civil verarbeiten wollte. Doch die Dämonen der Amy Winehouse sind auch die inneren, der Rückfall zu Mann und Substanzen mag da vorprogrammiert gewesen sein.
Back To Black kann man als musikalisches Ausweiden des Trennungsschmerzes verstehen, aber auch als eine Huldigung an die schwarze Magie, die Mystik und den Exzess. Winehouse war auf der Suche nach künstlerischer Inspiration und transzendentalen Geheimnissen. Und während andere diese – auf zweifelsfrei gesünderem Wege – im Kopfstand finden, taten es für Winehouse unglückliche Liebe und Drogen, der sprichwörtliche Geist in der Flasche. Es liegt ein unerklärlicher Reiz in der Selbstzerstörung und für Winehouse war der Exzess vielleicht die Seele des Künstlertums. Dass Süchte und Kunst in der Kulturgeschichte immer wieder eine kreative Verbindung eingegangen sind, ist schließlich kein Geheimnis. Selbstzerstörung war also vielleicht jene Zutat, die Winehouse’s Kunst für sie und auch für uns Zuhörer und Zuhörerinnen veredelte, sie wahrhaftig machte. Damit soll nicht behauptet werden, dass Kunst nicht auf anderem, nachhaltigeren Weg entstehen kann und auch nicht, dass Winehouse nicht glücklich sein wollte. Das wollte sie ganz bestimmt sein. Am Ende ist ihr die Kontrolle jedoch ganz entglitten, wohl unfreiwillig hat sie sich ihrer Kunst geopfert. Für diese sollten wir ihr noch lange dankbar sein.