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Foto: HELLE ARENSBAK/Ritzau Scanpix/AFP via Getty Images

Review: Sleep Token definieren die harte Musik mit „Even In Arcadia“ radikal neu

Es ist der erwartete Geniestreich des größten musikalischen Phänomens der vergangenen Jahre: Mit Even In Arcadia gelingt Sleep Token, was seit vielen Jahren nicht gelang: eine Neudefinition harter Gitarrenmusik.

Sleep Token sind ein Phänomen. Das geheimnisvolle Projekt aus den Schatten Londons hat seit seiner Gründung 2016 Genres pulverisiert, Erwartungen ignoriert und kompromisslose Kunst erschaffen, die in keine Schublade passt. Crossover gab’s in der harten Musik schon immer, von Korn über Slipknot bis Linkin Park haben viele Bands verschiedene Genres gekreuzt und Neues erschaffen. Nie aber mit einer solchen Radikalität wie Sleep Token. Das vierte Album Even In Arcadia macht da keine Ausnahme. Im Gegenteil: Es ist das furchtloseste, radikalste Statement der Band.

Metal-Geballer bis R’n’B

Um mal kurz zu verdeutlichen, womit wir es hier zu tun haben: Die Palette von Even In Arcadia reicht von härtesten Breakdowns, abgründigem Geschrei und extremem Metal-Geballer bis zu gefühlvollem R’n’B. Sleep Token sind eine Kreatur, die sich windet und zuckt wie eine Hydra, ein Gestaltwandler, dem einfach nicht zu trauen ist. In einem Moment eine dämonische Bestie, im anderen ein unschuldiges Kind, das mit Augen voller Wunder in die Welt blickt. Wie macht die Band das?

Angeführt von Vessel, einem Frontmann ohne Gesicht, der bislang nur ein einziges Interview gegeben hat, sind Sleep Token in den vergangenen Jahren zu einer der größten Bands der harten Musik geworden. Aus den kleinen Clubs sind mittlerweile Arenen geworden, bei den Festivals steht die Band ganz oben im Line-Up. Allein die erste Single der neuen Platte, dieser Wirbelwind zwischen Trap und Breakdown-Wut, kann mittlerweile 50 Millionen Klicks bei Spotify verzeichnen. Kurz: Schneller ist in der Welt der harten Gitarrenmusik lange keine Band groß geworden.

Maskenball

Natürlich trägt dazu auch der Mythos rund um Vessel bei. Die Band trägt Masken auf der Bühne, was ja auch Ghost oder Slipknot geholfen hat. Es gibt keine Interviews, Neuigkeiten werden auf kryptische und geheimnisvolle Weise verbreitet. Dennoch: Es ist mehr als dieser Kult. Harte Musik radikal neu denken ist nach 70 Jahren Rock’n’Roll kein Kinderspiel. Even In Arcadia schafft das mit brutaler Ehrlichkeit und Verletzlichkeit. Genres werden hier seziert, komplett zerlegt und auf eine Art und Weise zu einer Kreatur zusammengesetzt, die in dieser Form einzigartig ist. Metal, Pop, R’n’B, Trap, Elektro, Rock, manchmal in einem Song. Das kann ja eigentlich gar nicht gut gehen. Aber irgendwie tut es das eben doch.

Albtraum aller Metal-Gatekeeper

Even In Arcadia ist natürlich der Albtraum aller Metal-Gatekeeper und angeblicher Verteidiger des Stahls. Aber genau das macht das Album so wichtig. Wenn es weitergehen soll mit der harten Musik, brauchen wir radikale Vordenker wie Vessel. Und mutige Alben wie dieses. Zumal hier nichts als Mittel zum Zweck geschieht, nichts als Provokation gedacht ist. Sondern einzig und allein Ausdruck purer musikalischer Emotion. Und weil Gefühle nun mal nicht nur schwarz/weiß sind, bedient sich Vessel wie jeder großer Künstler bei genau den Farbtöpfen, die er braucht, um seine versehrte Seelenlandschaft widerzuspiegeln.

Allein der Opener Look To Windward – ein Tribut an T.S. Elliots Gedicht The Waste Land – genügt, um die wahre Größe dieser Band zu erfassen: ein spiralförmiges, scharfkantiges Projektil, das dich dort trifft, wo du am verletzlichsten bist. Un-fucking-fassbar einfach – und damit geht dieser Orkan erst los. Dieses Patchwork aus Selbstreflexion, Anspannung und der Angst vor dem Ruhm wird für den Verlauf der harten Musik Ähnliches tun wie Hybrid Theory von Linkin Park oder Follow The Leader von Korn. Die, die das davor schon doof fanden, werden dabei bleiben. Manch altem Fan mag das mittlerweile auch fast zu kommerziell sein. Ist aber völlig egal: Diese Band hat das alles längst transzendiert. Und wird im Alleingang dafür sorgen, dass Metal in neue Sphären vorstößt.

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