Featured Image
Foto: Rob Verhorst/Redferns/Getty Images

Romantisierung der Abgründe: „Violator“ von Depeche Mode wird 35

Bitte Zählermarke einfügen

Mit Violator veröffentlichten Depeche Mode vor 35 Jahren ein gleichzeitig düsteres und zärtliches Album, das ihren Zenit herbeiführte. Denn sie schrieben nicht nur intelligente Pop-Songs: Sie schufen einen Sound, der heute noch genauso faszinierend klingt.

„Wir nannten es als Scherz Violator. Wir wollten uns den extremsten, übertriebensten Heavy-Metal-Titel überlegen“, erklärte Martin Gore dem NME damals vor 35 Jahren. Einen Titel für ein Album, das so monumental ist wie Violator, nur als halbgaren Scherz wählen? Bisschen random Move. Denn es ist nicht so, als hätte das 1990er-Album von Depeche Mode viel mit Metal oder Gewalt am Hut; auch scheint es nicht die komplette Antithese dazu zu sein. Die Punchline scheint also nicht so ganz zu zünden. Aber, wenn man sich das Ganze nochmal genauer anschaut, erkennt man da doch mehr drin.

Schwarz ist die schönste Farbe

Zuallererst wird klar, was Depeche Mode mit Metal teilen: eine Liebe für das Düstere, eine Romantisierung der Abgründe. Und das perfektionierte das (damals noch) Quartett auf Violator, musikalisch als auch lyrisch. Das zeigt bereits das Albumcover: eine leuchtend rote Rose auf einem pechschwarzen Hintergrund. Liebe und Sünde liegen bei Depeche Mode oft beieinander. Der Song Halo behandelt genau diesen Zwiespalt; es ist eine Ermutigung an eine Geliebte, sich der Sünde hinzugeben, trotz der Schuldgefühle: „When our worlds, they fall apart / When the walls come tumbling in / Though we may deserve it / It will be worth it“.

Musikalisch klingt Violator oft so pechschwarz wie der Hintergrund des Covers. Dramatisch, kühl, atmosphärisch. Waiting For The Night ist nicht nur textlich eine Ode an die Nacht, es gibt auch kaum Songs auf dieser Welt, die nächtlicher klingen als dieser. Das Arrangement besteht aus wenigen Elementen, der Song ist dadurch umso hypnotischer und der gemeinsame Gesang von Dave Gahan und Martin Gore zieht in den Bann. Die Atmosphäre in Waiting For The Night wechselt ständig von beruhigend zu furchtvoll – wie die Nacht eben ist: Man weiß nicht, was im Dunkeln lauert, aber irgendwie ist die Stille besänftigend.

Zart und massiv

Und das ist das Element, zu dem der Titel Violator doch so ein ironisches Gegenteil ist: Im Kontrast zu der Dunkelheit des Albums steht stets eine Zärtlichkeit – man erinnere sich an die Rose auf dem Cover. So steht Dave Gahans grimmige, dominante Stimme der zarten von Martin Gore gegenüber. Und die Texte – allesamt von Gore geschrieben – behandeln Themen wie Schuld und Verlangen auf solch eine romantische Art.

Auch soundtechnisch findet sich der Kontrast: So gigantisch manche Drum-Sounds auf dem Album klingen, so fein und fragil sind doch viele andere Produktionselemente. Auf Violator arbeiteten Depeche Mode zum ersten Mal mit dem Tausendsassa-Produzenten Flood zusammen, der mit Bandmitglied Alan Wilder eine magische Symbiose einging. Nächtelang dokterten die beiden an spannenden Sound-Texturen herum und tada: Violator klingt auch 35 Jahre später kristallklar, frisch und visuell anregend.

Was ist dieser Sound in der Lead-Melodie von Blue Dress? Wie ein hohes Wehklagen, wie komplett verfremdete Streicher, synthetisch und doch menschlich. Generell wirken viele Sounds auf Violator wie menschliche Stimmen oder Atemgeräusche, aber man ist sich nie so sicher. Vielleicht klingt das Album deswegen so echt und zeitlos.

Neue musikalische Freiheiten

Für das Album nutzte die Band schließlich auch einen neuen Ansatz. Zuvor hatten sie Songs – vor dem tatsächlichen Aufnahmeprozess – als Demos schon ziemlich weit ausproduziert, um den Soundcharakter vorab festzulegen. Nun aber hielten sie es vorab minimalistisch und nahmen sich im Studio dann für jeden Track die Freiheit, genau die Sounds zu finden, die zum Song passten.

Ambient-Einflüsse von Tangerine Dream landeten in Waiting For The Night, das hypnotische Bass-Intro aus Pink Floyds One Of These Days war der Grundstein für Clean. Und der Überhit Enjoy The Silence war ursprünglich mal eine simple Klavierballade und wurde nach Wilders Idee zu einem peppigen Dance-Song. Die schmerzhaft-euphorische Akkordfolge blieb dennoch Kern des Songs und diese Mischung machte ihn zu solch einem Klassiker.

Die erste Single, Personal Jesus, war ein stilistischer Bruch. Auf dem Vorgängeralbum Music For The Masses hatte die Band zumindest teilweise ihre selbstauferlegte Regel „keine Gitarren!“ gebrochen. Aber einen Blues-Song von Depeche Mode hätte damals doch niemand erwartet. In einem puren Rock-Kontext wäre das Gitarrenmotiv das klischeehafteste Blues-Riff, aber mit dem technoiden Instrumental drumherum funktioniert es genial. Ähnlich dazu spielt die Slide-Gitarre in Policy Of Truth nur wenige Noten, verleiht dem Song aber einen unfassbaren Swag.

Kurz vorm Crash

Das Album endet mit Clean, einem zwar düsteren, aber doch triumphalen, fast optimistischen Song. Gahan singt über das Ablegen schlechter Angewohnheiten: „Now I’m clean / The cleanest I’ve been“. Ironisch, wie sich das Blatt wendete: Sechs Jahre später musste Gahan nach einer Drogenspeedball-Überdosis reanimiert werden.

Das Hoch, das der riesige Erfolg von Violator mit sich brachte, endete in einer turbulenten Krisenzeit für Depeche Mode, in der sich die Band fast auflöste und nebenbei ein weiteres Meisterwerk-Album entstand. Dennoch war Violator der Zenit ihrer Karriere, dessen Vollkommenheit auch 35 Jahre später noch genauso verblüfft.

Mehr Depeche Mode im Circle Mag: