Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 23.3.1976.
von Tobi Wienke und Christof Leim
Die Karriere von Judas Priest kommt Mitte der Siebziger nur langsam ins Rollen: Ihr Debüt Rocka Rolla konnten die fünf Briten 1974 nur ein paar Tausend Mal verkaufen, zu wenig, um darauf eine Musikkarriere aufzubauen. Auch schien Frontmann Rob Halford mit der Platte alles andere als zufrieden zu sein. 1975 bat er die Fans – zwar mit Augenzwinkern, aber doch – das Album zu verbrennen. Immerhin sorgte es dafür, dass sich die Band ihre ersten Sporen auf den Bühnen Europas verdienen konnte. Schlagzeuger John Hinch stieg aus und wurde für das zweite Album durch Alan Moore ersetzt, der bereits in der personell chaotischen Anfangsphase zwischendurch mal zum Line-up der Band dazustoß.
Hier könnt ihr euch Sad Wings Of Destiny von Judas Priest anhören:
Mit dieser Aufstellung machen sich Judas Priest an die Arbeiten für ihr zweites Album, das erneut beim Indielabel Gull Records erscheinen soll, erneut mit knappem Budget. 2000 Pfund sind auch 1975 ein ziemlich schmales Finanzpolster, um eine Platte aufzunehmen. Also muss die Band den Gürtel weiter eng schnallen. So gönnen sich die Musiker in dieser Zeit gerade mal eine Mahlzeit pro Tag und halten sich mit Nebenjobs über Wasser. Gitarrist K.K. Downing verdingt sich – beinahe klischeehaft für eine Metal-Band – in der Schwerindustrie, Bassist Ian Hill fährt LKW, der andere Gitarrist Glenn Tipton arbeitet als Gärtner.
Tagsüber arbeiten
Ein wenig haben sich die Produktionsbedingungen im Vergleich zum Debüt zumindest verbessert: Statt das Album komplett live einzuspielen, kann die Band diesmal wie normalerweise üblich Instrumente und Gesang einzeln aufnehmen. Auch müssen sie nicht die Nacht durcharbeiten und dürfen bereits nachmittags um 15 Uhr mit meist zwölfstündigen Sessions in den Rockfield Studios in Wales loslegen. Die Arbeiten dauern insgesamt zwei Wochen, also Produzenten fungieren Jeffery Calvert und Max West. Die beiden können als Mitglieder der Band Typical Tropical bereits einen Erfolg aufweisen: Ihr Song Barbados stand mal auf Platz eins in Großbritannien.
Bei Rocka Rolla hatte Produzent Rodger Bain noch The Ripper, Tyrants und Genocide von der Liste gestrichen, diesmal dürfen sie aufgenommen werden – und gelten bis heute als Klassiker und stilprägend für den Heavy Metal. Optisch sind Priest zu dieser Zeit allerdings noch weit vom Leder-und-Nieten-Look entfernt. Halford trägt zu dieser Zeit gerne ein pinkes Satin-Top, das er sich, wie er später berichtet, von seiner Schwester ausleiht. Auch hier ist die Band offenbar ein Vorreiter, und zwar für Hair-Metal-Helden der Achtziger, die sich – so erzählen es die Legenden – ebenfalls gerne im Kleiderschrank ihrer Schwestern bedienen.
Stilprägend
Auch wenn sich die Band beim Kleidungsstil noch nicht gefunden hat, ein prägendes Merkmal von Judas Priest sieht man auf dem Cover zum ersten Mal: Der Engel trägt das Judas-Priest-Kreuz als Halskette, das mittlerweile ins Bandlogo integriert ist. Patrick Woodroffe schuf das Artwork mit dem Titel Fallen Angel. Die Bandposen auf der Rückseite sind allerdings zeitlos und würden auch – abgesehen von der Garderobe – auf ein heutiges Priest-Cover passen.
Posen wie heute: Das Backcover von „Sad Wings Of Destiny“Leider hält sich auch der Erfolg von Sad Wings Of Destiny in Grenzen. Trotz guter Kritiken und mindestens eines Klassikersongs (Victim Of Changes) bleiben die Verkaufszahlen weiterhin so gering, dass das Album nicht in den Charts auftaucht. Die anhaltenden finanziellen Probleme sorgen zudem dafür, dass Schlagzeuger Alan Moore wieder aussteigt. Vielleicht hat der Mann aber zu früh aufgegeben, denn durch die konsequente musikalische Manifestierung ihres typischen Stils auf diesem Album erregten Judas Priest die Aufmerksamkeit von CBS Records. Für den Nachfolger Sin After Sin steigt das Budget auf sagenhafte 60.000 Pfund, und das Album wird 1977 zum kommerziellen Durchbruch der Band. Aber das ist mal wieder eine andere Geschichte…