Sudan Archives ist eine vielseitige Art-Pop-Künstlerin, die auch gerne in eine neue Persona schlüpft. Mit ihrem neuen Album The BPM, das am 17. Oktober erscheint, verpackt sie das Mindset der Individualität in einem fesselnden Werk zwischen Tempo und Science-Fiction. Wir sprachen mit ihr.
„The BPM is the power!“ ist das Mantra des neuen Albums von Sudan Archives. Heißt nicht: Schneller ist besser (BPM steht für „Beats per Minute“ und ist die Maßeinheit für Tempo in Musik). Sondern: Jede:r hat ein eigenes Tempo und einen eigenen Rhythmus. Dem zu folgen, ist das Mächtigste, denn es geht ums Finden der Individualität, erklärt die Künstlerin: „Ich denke, dass es auf dem Album nur um das Wissen darüber geht, dass niemand deine Kraft wegnehmen kann, weil jede:r seinen eigenen Rhythmus hat. Und ich glaube nicht, dass der von irgendjemand anderem reproduziert werden kann.“
Brittney Parks alias Sudan Archives folgt klar ihrem eigenen Rhythmus: eine Künstlerin, die verschiedene Einflüsse verarbeitet und sich immer wieder neu erfindet – mit einer Affinität für Loop-Stationen und ambitionierte Albumkonzepte, denn diese erlauben ihr, in neue Rollen zu schlüpfen.
„Jede:r wird dich in einer Schublade wahrnehmen“
2017 erschien ihre Debüt-EP als Sudan Archives, die mit Songs wie Come Meh Way schon damals für Aufsehen sorgte. Das Mädchen, das die Geige in die experimentelle R&B-Welt bringt: So sahen viele Publikationen sie damals. Über die Jahre ist zwar die Geige stete Begleiterin, aber wenn man sich The BPM anhört, klingt die Produktion mittlerweile an vielen Stellen geradezu futuristisch: Club-Sounds aus Detroit und Chicago oder experimentelle, neuzeitliche EDM-Sounds treten im Klangbild auf – aber auch anderes: Den Song My Type zum Beispiel sieht Parks als ihren ersten richtigen Rap-Song.
Stört es sie, wenn Leute sie immer noch nur als das Mädchen mit der Geige und Loop-Station sehen? „Jede:r wird dich in einer Schublade wahrnehmen. Es ist mir eigentlich egal. Als ich meine erste EP herausbrachte, nannte jemand sie Country Folk. Und wenn ich dann etwas anderes herausbringe, nennen sie es R&B. Aber ich habe das Gefühl, dass niemand es wirklich weiß, oder?“
Parks merkt treffend an: „Es ist immer das, was sie denken. Es war schon immer genreübergreifender, elektronischer Art Pop und es hat auch definitiv R&B- und Hip-Hop- und Trap-Einflüsse. Aber für mich ist es eher genrelos.“ Also nein, daran stört sie sich nicht: „Manche Leute werden wütend, wenn andere versuchen, dich wahrzunehmen und zu kategorisieren. Aber ich werde nicht wütend. Das ist ja nur, als würde jemand deinen Namen falsch aussprechen – whatever.“
Lebenslanges Tempofinden
Um ihren eigenen Rhythmus zu finden, brauchte Brittney Parks aber auch einige Zeit. „Ich war immer ein süßes, ruhiges Mädchen, aber ich hatte so ein softes Punk-Leben, weil ich nie wirklich dazu passte“, erinnert Parks sich. „Ich war wie eine Ausgestoßene. Nicht weil ich viel gemobbt wurde, sondern vielleicht, weil ich so viel umgezogen bin. Ich fühlte mich immer wie ein Geist und war nie wirklich mit Menschen verbunden.“
Etwas Eigenbrötlerisches hat ihre Kunst ja schon – gerade, wenn man das Konzept des persönlichen BPMs bedenkt. Hört man diese Selbstwahrnehmung als Ausgestoßene noch in ihrer Musik? „Es ist nicht mehr das Gleiche. Ich habe das Gefühl, dass ich mich immer noch ein wenig ausgegrenzt fühle – aber mit Absicht. Ich habe jetzt Zugang zu so viel Gemeinschaft, wenn ich das möchte.“ Und wenn sie es braucht, kann Parks sich eben auch auf sich selbst konzentrieren und ihr eigenes Ding machen.
Schwungvoll tanzen
The BPM ist ein beeindruckendes Resümee dieser Individualität: ein wandelbarer Stil, mächtige, hochmoderne Produktion und eine große Anzahl an Bangern. Songs wie Dead bauen ein riesiges Momentum auf, das einfach mitreißt. Ziemlich tanzbar ist das Album auch geworden – eine Dance-Platte gar? „Da stimme ich nicht zu. Ich weiß nicht, was etwas als Dance-Platte einstuft, aber ich wollte einfach die schnellsten BPMs nehmen, die ich je gemacht habe. Deshalb habe ich es The BPM genannt.“
Das hatte einen simplen Grund: „Ich glaube, das liegt daran, dass ich schon seit so vielen Jahren auf der Bühne bin und mir etwas mehr Energie für mich wünschte. Auf der Bühne zu sein, ist wie ein Workout. Daher wollte ich etwas Schwungvolleres, um zu trainieren.“ Denn wie wir gelernt haben: „The BPM is the power“ – ergo: mehr BPM, mehr Energie.
Wer ist Gadget Girl?
Ebenfalls neu ist eine Sci-Fi-artige Persona, die Parks auf dem Album verkörpert: Gadget Girl. Wer ist das? „Im Grunde ich, aber mit einer Menge Gadgets überall an mir“, erklärt Parks. „Ich denke, dass Batman ein gutes Beispiel ist, weil er mit vielen Superheld:innen zu tun hatte, aber nicht übermenschlich war. Er war ein ganz normaler Mensch, aber er hatte einfach jede Menge Zugang zu Gadgets, die ihn übermenschlich machten.“
Was sind ihre wichtigsten Gadgets? „Für mich ist es ein kabelloses Headset-Mikrofon und eine kabellose Geige. Denn seit ich kabellos auf der Bühne stehe, habe ich das Gefühl, dass ich dadurch in der Lage bin, auf eine Art und Weise aufzutreten, wie ich es noch nie zuvor konnte. Und der Rest der Gadgets ähnelt dem Equipment auf der Bühne, mit dem ich auftrete.“
Diese Art von Charakteren gab es auch auf den Vorgängeralben schon. Das Spannende an Gadget Girl ist aber, dass es ihre echteste Persona bisher ist. „Die anderen Charaktere, die ich angenommen habe, waren eher Fantasy-Versionen meiner selbst – Athena und solche Charaktere. Aber bei dieser Figur habe ich das Gefühl, dass ich schon immer von Technologie besessen war und dass sie einfach schon immer ein Teil von mir war.“
Vorbilder: Santigold, Kirche, Avantgarde
Sudan Archives zieht musikalische Inspiration aus vielen Richtungen. Eine besonders prägende Künstlerin sei Santigold. „Mit ihrer Musik bin ich aufgewachsen“, erzählt Parks. „Ich erinnere mich, wie ich mir ein Musikvideo anschaute und dachte: ‚Wow, sie hat dunkle Haut wie ich und macht elektronische Musik. Ich kann das auch tun!‘“ Insbesondere in der elektronischen Produktion bei Sudan Archives höre man Santigolds Einfluss immer noch heraus, sagt Parks.
Weiter erzählt sie: „Als ich jünger war, habe ich viel M.I.A. gehört. Sie hat eine sehr hymnische Art zu singen und ich versuche immer, meine Vocals so zu stapeln. Ich habe in der Kirche im Chor gesungen, also kommen daher auch viele meiner Einflüsse.“
Als FKA twigs als Vergleichspunkt aufkommt, erkennt Parks primär die Vorliebe für Sci-Fi-Ästhetik als Ähnlichkeit. Als Vorreiterin für diesen Stil und somit Vorbild für Künstler:innen wie FKA twigs, Santigold oder Sudan Archives selbst sieht sie aber jemand viel älteres: die Avantgarde-Künstlerin Laurie Anderson. „Im Grunde hat sie vieles erfunden, wie zum Beispiel die Dinge, die ich mit der Geige mache, die hat sie auf einer verrückteren Ebene gemacht. Sie hat eine Geige gebaut, die im Grunde wie eine Tonbandmaschine war. Sie macht diese Alben und Lieder, die stark von Science-Fiction beeinflusst sind, voller elektronischer Produktion und sie spielt Geige. Aber sie wurde in den 1940er-Jahren geboren.“
Energieübertragung erfolgreich
Um nun aber die Anfangsthese nochmal zu überdenken: Wenn alle ihr eigenes Tempo und ihre eigene Auffassung haben, hat man als Künstlerin bestimmt nicht die gleiche Sicht auf die eigene Kunst wie die Rezipient:innen, oder? Was die Hörer:innen vom neuen Album mitnehmen sollten, kann Parks klar sagen: „Es sollte wie eine Energieübertragung sein. Energie kann weder erzeugt noch zerstört werden. Und ich hoffe, dass diese hyperaktive ‚Let’s-get-em‘-Energie sich irgendwie auf sie übertragen kann.“ Tut sie. Lasst es uns nochmal zusammen sagen: „The BPM is the power!“