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Foto: Tom Hustler/Central Press/Hulton Archive/Getty Images

Victoria, Arthur & Lola: Das große Scheitern der Kinks inmitten ihrer besten Alben

Paradoxe Musikwelt: Manchmal verlierst du und manchmal gewinnen die anderen. Ende der 1960er-Jahre kamen The Kinks mit einer Trilogie auf dem Gipfel ihres Schaffens an und verloren zugleich den kommerziellen Anschluss an die anderen drei großen Bands der Beat-Ära.

 von Michael Döringer

Jenseits der Powerchords

Die drei Konzeptalben zwischen 1968 und 1970 markieren retrospektiv die beste und nachhaltigste Phase in der Laufbahn der Kinks, vor allem für Ray Davies als Songwriter. Zwar waren die Beat-Pioniere bereits Mitte der 1960er enorm einflussreich, in den Powerchords von You Really Got Me oder All Day And All Of The Night manifestierte sich die zukünftige Entwicklung härterer Rockmusik, von Metal und Punk. Aber The Kinks waren eben nur eine Singles-Band. Was sich in frühen Songs wie Sunny Afternoon leicht angedeutet hatte, fand erst auf dem sechsten Studioalbum der Band zur Vollendung: The Kinks Are The Village Green Preservation Society ist ein in sich geschlossenes, ironisch gefärbtes britisches Gesellschaftsportrait, mit charmant-nostalgischen Zügen. Ein Jahr wird auf Arthur (Or The Decline And Fall Of The British Empire) das britische Erbe in noch größerem Kontext verhandelt. Und wieder ein Jahr später erscheint mit Lola Versus Powerman and the Moneygoround ein weiteres Konzeptalbum, auf dem Davies mit der Musikindustrie abrechnet. Denn bis auf die Hit-Single Lola (1970) war diese Album-Trilogie der reinste Flop: Von Village Green an verschwanden The Kinks für immer aus den Albumcharts ihrer Heimat, obwohl die Musik kaum britischer sein konnte. Zur selben Zeit wurden die Beatles mit Sgt. Pepper und dem Weißen Album zu Legenden, auch für die Stones und The Who lief es blendend. Warum konnten die Davies-Brüder von den besten Alben ihrer Karriere nicht auch entsprechend profitieren?

The Kinks im Jahr 1966. Von links nach rechts: Mick Avory, Pete Quaife, Dave Davies und Ray Davies. Foto: David Redfern/Redferns/Getty Images

Das Ende der British Invasion

Der berühmte Rockkritiker Greil Marcus schrieb damals im Rolling Stone, Arthur sei das beste britische Album des Jahres 1969 und proklamierte, dass Pete Townsend Welten dahinter liegt und auch die Beatles noch viel Boden gutzumachen hätten. Es gab also einflussreiche Menschen, die das Gewicht dieser Musik erkannten. Doch der kommerzielle Erfolg blieb aus, vor allem auf der Insel. Und das, obwohl die Band ab 1965 für vier Jahre auf den heimischen und europäischen Markt beschränkt war: Nach ihrer US-Tour im Sommer 1965 wurden die Kinks von der amerikanischen Regierung mit einem Einreiseverbot belegt, wegen angeblicher Ausschweifungen und Randale. Damit wurde ihnen das aufregendste und vielversprechendste Pflaster der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre verwehrt, die British Invasion endete für die Kinks, während die Beatles und Stones in den USA zu Superstars wurden. Das dürfte einer der wichtigsten Gründe sein, wieso Ray Davies’ Songwriting in der Folge mehr und mehr introspektiv und nostalgisch wurde und verstärkt Inspiration in englischer Musiktradition suchte, im Folk und in Schlagern und Volksliedern der „Music Hall“-Epoche. Die Einflüsse von Psychedelia und LSD, Hippie-Bewegung und modernen Klangexperimenten, die Sgt. Pepper oder Their Satanic Majesties Request prägen, spielen bei den Kinks so gut wie keine Rolle.

Gott schütze die Erdbeermarmelade!

The Kinks Are The Village Green Preservation Society erschien in Großbritannien am 22. November 1968, am selben Tag wie das Weiße Album der Beatles. Dass das ein schlechtes Omen war, hätte man schon vorher ahnen können, und dementsprechend schwach verkaufte sich das Album trotz positiver Kritiken. Eine starke Single hätte möglicherweise geholfen, doch vor allem waren Thema und Ästhetik der Platte wohl nicht funky genug: Es ist eine Ode an dörfliche Verhältnisse und ein simples Leben, geprägt von verklärten Kindheitserinnerungen und Sehnsüchten nach einer behüteten Umgebung: „Preserving the old ways from being abused / Protecting the new ways, for me and for you“ heißt es im goldigen Titelsong. „God save strawberry jam and all the different varieties.“ Wo da die Ironie und Persiflage ihre Grenzen hat, weiß nur Ray Davies selbst. Natürlich mokiert er sich auch ein bisschen über die kleinkarierten Leute mit ihrem Geschmack von gestern. Die Musik verleiht diesen Storys der kleinen Leuten aber auch Würde. Die jugendlichen Krawallmacher von damals fühlen sich rein in den Kosmos ihrer Familien und Vorfahren, in ein pittoreskes England, für das es in der modernen Welt keinen Platz mehr gibt. Die Stimmung ist warmherzig und gemütlich, nur manchmal wird es rock ’n’ rolliger, etwa in Last Of The Steam-Powered Trains.

Nostalgie-Maschine

Ein Jahr später erschien Arthur (Or The Decline And Fall Of The British Empire), das sofort im ersten Song die Empire-Nostalgie-Maschine anwirft: „Land of hope and gloria / Land of my Victoria“ singt Davies, und meint natürlich Queen Victoria, die große Regentin des britischen Weltreichs von 1837 bis 1901, Kaiserin von Indien und Namesgeberin des Viktorianischen Zeitalters. Nach der großen Blütezeit Englands sehnt sich noch heute ein nicht kleiner Teil der Briten. Das Thema des Albums ist teilweise inspiriert vom Ehemann der Davies-Schwester Rose, die mit ihrem Arthur 1964 nach Australien emigrierte – wie so viele andere, die im Nachkriegs-England der einstigen Pracht ihrer Nation nachhingen und von einem besseren Leben – wie früher! – träumten.

Erneut: Viel Lob, wenig verkaufte Einheiten. Nur in den USA gelang überhaupt den Einstieg in die Charts. Die Musik ist zwar rockiger als auf Village Green, doch wieder starak verträumt und sentimental, während sie Erinnerungen an Shangri-La und Winston Churchill untermalt. Die Reminiszenzen und kritische Aufarbeitung britischer Vergangenheit passten nicht wirklich zur Aufbruchsstimmung im Rock und Pop dieser Zeit. Dort schaute man weit nach vorne, auf keinen Fall zurück. Dennoch: Als perfekt abgestimmter Song-Zyklus ist Arthur nicht weniger ambitioniert angelegt als Tommy, das im gleichen Jahr erschien. Es ist das große Musikerzählungs-Meisterwerk von Ray Davies.

Mit einer Hitsingle gegen die Musikindustrie

Wieder ein Jahr später erschien das nächste stringente Konzept-Werk, dieses Mal war das Thema allerdings aktueller: Lola Versus Powerman and the Moneygoround (1970) nimmt die Musikindustrie aufs Korn – Kritiker, Manager und die Konzertbranche bekommen alle ihr Fett weg. Verbittert ist das Ergebnis allerdings überhaupt nicht: Songs wie Strangers oder This Time Tomorrow gehören zu den gefühlvollsten Rockballaden, die Davies und Co. je aufgenommen haben.

Die nostalgische Note der Vorgängerplatten lebt hier im Sound weiter, aber ohne konkreten Gegenstand. Nach den Misserfolgen der vorherigen zwei Alben war Davies’ frustrierte Haltung gegenüber der Musikbranche verständlich. Dieses Album schien ein Lichtblick zu sein: Die Lead-Single Lola brachte die Kinks endlich wieder auch in England in die Top Ten, das Album erreichte in den USA die Top 40. Doch die kommerzielle Größe ihrer Anfangsjahre sollten sie nie wieder erreichen.

Die unoriginelle Neuerfindung

Unterm Strich war es ab den 1970er-Jahren vorbei mit den Kinks. Obwohl Lola ein weltweiter Megahit war und sich die Band ab Ende der 1970er in den USA als Stadion-Hardrock-Act gewissermaßen noch mal neu erfinden konnte. Denn diese Neuerfindungen hatte nichts mehr von der Originalität, die The Kinks immer ausgezeichnet hatte. Die Siebziger-Rockopern von Ray Davies waren verkrampfte Ideenkonglomerate, die weder mit der Trilogie der späten 1960er, noch mit den Werkten von The Who oder den Progressive-Bands mithalten konnten. Auch wenn ihm immer wieder regelmäßig tolle Einzelsongs gelangen, erreicht er als Songwriter nie wieder die Langstrecken-Vision von damals.

Für eine Handvoll Oldies

So wurden The Kinks leider Gottes vor allem in ihrer Heimat zu einem Auslaufmodell der Sixties. Immerhin polierten die Neo-Mod-Bewegung der 1980er um The Jam und Paul Weller sowie Britpop-Stars wie Oasis mit ihren Huldigungen wieder ein bisschen die Ehre der verdienstvollen Band auf. Wo steht sie im Kanon der britischen Popmusik? Die Beatles haben sich zum richtigen Zeitpunkt aufgelöst und damit ihre Legende auf immer zementiert. Die Stones wuchsen über die Dekaden zu einer unsterblichen, unanfechtbaren Live-Sensation mit passablen neuen Platten. The Who haben sich irgendwie durchgewurschtelt und profitieren zu recht von ihren legendären Werken. The Kinks sind gewissermaßen gescheitert. Damit wären die Big-Four der ehemaligen britischen Beat-Bands komplett. Denn bis auf eine Handvoll Oldies ist von ihnen im Mainstream-Bewusstsein nicht viel übrig geblieben. Doch gerade die gescheiterten Helden der Musikgeschichte werden am Ende viel kultischer verehrt als die triumphierenden Gewinner. Und was heißt schon gescheitert: Arthur, Lola und Village Green, diese liebevoll gestalteten Empire-Möbel im Einrichtungshaus der Musikhistorie, bleiben von unschätzbarem Wert.