Im Sommer des Jahres 1980 lief Bob Marley noch einmal zu absoluter Topform auf. Er hatte gerade erst sein achtes Album für Island Records vorgelegt – das kämpferisch-spirituelle Uprising.
von Ian McCann
Hier könnt ihr Uprising hören:
Drauf und dran, sich auch selbst ein weiteres Mal zu erheben und nach Europa aufzubrechen, um dort riesige Shows zu spielen, war der Erfolg gewissermaßen vorprogrammiert: Seine Band, The Wailers, war perfekt eingespielt, die Gesangsgruppe The I-Threes erledigte jedes Mal den Rest, inspiriert vom charismatischen Bandleader Bob Marley. Jahrelange Tourerfahrungen hatten sie zusammengeschweißt und unschlagbar gemacht.
Die Sorgen wegtanzen
Tatsächlich gelang es Bob Marley immer wieder, das Publikum zu verwandeln: Manchmal genügte es schon, dass die Menschen seine Dreadlocks am Bühnenrand erblickten – und schon war alles Alltägliche, waren alle Sorgen und Probleme vergessen. Stattdessen hieß es Tanzen.
Uprising Live! fängt die einzigartige Energie und die euphorische Stimmung von Bob Marleys letzter Tour ein. Dazu ist der späte Livemitschnitt von einem gewissen Pathos durchzogen. Schließlich kämpfte Marley an dem Punkt schon eine ganze Weile mit dem bösartigen Melanom, seinem Todfeind: dem Hautkrebs. Selbst wenn er gewusst hat, dass seine Tage gezählt waren, ließ er es kein bisschen durchblicken. Bis zuletzt war selbst engen Freunden und Verwandten gar nicht klar, wie schlimm es wirklich um seine Gesundheit stand. Die Uprising-Tour war für Bob letztlich einfach eine weitere Gelegenheit, „seinen Job zu machen“ – die Message der Rastafari in die Welt zu tragen, sich für Gleichheit und mehr Gerechtigkeit auf der Welt einzusetzen. Er sollte erst damit aufhören, als sein Herz aufhörte zu schlagen. Und so war auch auf dieser letzten großen Tour seine Message nicht zu überhören: Die Auftritte waren elektrisierend und sind bis heute unvergessen.
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Ein musikalisches Festmahl
Aufgenommen in der Dortmunder Westfalenhalle am 13. Juni 1980, bringt Uprising Live! eindrucksvoll auf den Punkt, was die Konzerte von Bob Marley & The Wailers so einzigartig machte, was da eigentlich genau passierte. Das dazugehörige Uprising-Album war erst drei Tage zuvor erschienen, und nun waren all jene versammelt, die an Bob glaubten und diese Magie live miterleben wollten. Sie sollten bekommen, wonach sie verlangten: Auf die Klassiker mussten sie schon mal nicht verzichten, etwa auf die Kombination von War und No More Trouble, auf das dezent tanzbare Work oder die rebellische Hymne Get Up, Stand Up.
Dazu gab’s die Hits: Could You Be Loved, so leichtfüßig und entspannt. Später dann Jamming, und danach das immer noch bewegende No Woman, No Cry. Passend zur Stimmung des Abends beginnt das Album mit vier Stücken von The I-Threes: Precious World, Slave Queen, Steppin’ Out of Babylon und That’s The Way Jah Planned It. In einem anderen Kontext wären diese vier Stücke selbst schon die Highlights; hier jedoch sind sie nur der Auftakt, der erste Gang zum musikalischen Festmahl.
Am fesselndsten klingt der Redemption Song, Marleys große Ballade und sein Abschiedstitel, was auch daran liegt, dass das Arrangement vollkommen anders gestrickt ist als bei der Albumversion: Mit Conga-Begleitung an der Akustikgitarre, verwandelt die Reggae-Ikone den Meilenstein zunächst in eine reine A-capella-Nummer. Während seine Zeilen über das vergiftete Erbe der Sklaverei so noch deutlicher zu hören sind, stimmt die Band erst gegen Ende ein – und am wichtigsten daran: Das alles fühlt sich nie wie eine Show an. Nichts daran wirkt inszeniert oder gekünstelt. Stattdessen hört man einfach Bob Marley, der das zum Ausdruck bringt, was gesagt werden muss.
Marleys Schwanengesang
Dortmund war die elfte Station von insgesamt 34 Shows, die Marley in jenem Sommer in Europa spielen sollte. Kein Spaziergang also. Im darauffolgenden Herbst, am 16. September, traten Bob Marley & The Wailers dann in Boston auf – womit eigentlich die nächste lange Konzertserie durch die USA beginnen sollte. Doch beim Joggen im Central Park brach Marley schließlich zusammen, nachdem er kurz zuvor noch zwei Shows im Madison Square Garden gespielt hatte. Danach schaffte er nur noch einen einzigen Auftritt: in Pittsburgh, am 23. September 1980. Die Tage, die ihm danach noch bleiben sollten, verbrachte er abseits der Bühne und kämpfte allein gegen den Krebs, der am 11. Mai 1981 siegen und ihn das Leben kosten sollte. Marley war gerade mal 36.
Es liegt nahe, die Uprising-Tour als Schwanengesang und letztes großes Aufbäumen zu betrachten, aber er selbst sah es nicht so. Er verstand sich als rastloser Botschafter der Rastafari-Religion und glaubte gar nicht an die Existenz des Todes. Auch wusste er, dass sein Werk weiterleben würde: Bis heute ist die Zahl seiner Anhänger*innen riesig, es sind Millionen, die nach wie vor an Bob Marley glauben, weil er komplexe Zusammenhänge und Gefühle so ausdrücken konnte, dass wirklich jede und jeder sie versteht. Der Zuspruch, der auf Uprising Live! zu hören und zu spüren ist, lebt auch vier Jahrzehnte nach dem Dortmund-Konzert weiter.