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Zeitsprung: Am 13.10.1979 macht Elton John mit „Victim Of Love“ auf Disco.

Anekdoten, Jubiläen und wilde Geschichten: Was an diesem Tag in der Welt der Musik passiert ist, lest ihr täglich in unserem Zeitsprung. Heute: 13.10.1979.


Elton John – Pardon, Sir Elton John— genießt im Großteil der Siebziger einen so hohen Bekanntheitsgrad wie sonst nur wenige Kollegen. Trotzdem erleidet er mit seinem Album Victim Of Love einen Karriereknick. Das könnte daran liegen, dass der Sänger und Pianist 1979 plötzlich nach Disco klingt. Wir forschen nach, warum die Platte nicht zünden will.


Victim Of Love könnt ihr euch hier anhören: 



Auf dem Papier könnte das durchaus etwas werden: Sir Elton engagiert damals für sein neues Album den Donna-Summer-Produzenten Pete Bellotte und eine ganze Reihe erstklassiger Studiomusiker: Steve Lukather von Toto etwa spielt Gitarre, Michael McDonald und Patrick Simmons von den Doobie Brothers sind dabei, außerdem Schlagzeuger Keith Forsey (Udo Lindenberg, Giorgio Moroder) und Perkussionist Paulo Da Costa, der schon mit Earth, Wind & Fire und Miles Davis gearbeitet hatte.  


Klingt ganz anders

Doch als das Album am 13. Oktober 1979 erscheint, kann es weder bei Kritikern noch bei Fans punkten. Tatsächlich handelt es sich um eine untypische Platte für den damals 32-jährigen Briten. Er steuert lediglich den Gesang bei, den er in einer einzigen achtstündigen Session aufnimmt. Er schreibt weder die Texte noch spielt er Klavier. Kein Mitglied seiner ursprünglichen Band wirkt mit, außerdem verzichtet John wie schon auf dem Vorgänger A Single Man (1978) auf die Songwriter-Qualitäten seines langjährigen Freundes Bernie Taupin.


Wer sich selbst überzeugen will:

Vor allem aber klingt Victim Of Love weniger nach Rock’n’Roll als sonst und stattdessen nach Disco, wie ihn Donna Summer und ABBA spielen. Ganz von ungefähr kommt das vielleicht nicht: Damals gehört der Musiker zu den Stammgästen des legendären New Yorker Tanzclubs Studio 54. Doch leider kommt Sir Elton 1979 mindestens ein Jahr zu spät, um die Disco-Welle mitzureiten.


Krisenzeiten

Dem Journalisten Tom Doyle versichert er für das Buch Captain Fantastic: Elton John's Stellar Trip Through the 70s: “Ich wollte eine Platte machen, zu der die Leute tanzen können. Ich kann verstehen, warum sie nicht erfolgreich war. Mir gefällt sie, aber das alles war selbstgefällig. Ich schäme mich nicht dafür, und ich werde sie nicht im Schrank verstecken.” Letzteres tut er dann aber doch: Der Entertainer macht kaum Werbung für sein neues Werk und spielt keinen der Songs jemals live, dabei tourt er in jenem Jahr als einer der ersten westlichen Künstler durch die Sowjetunion.

Musikalisch und persönlich befindet sich der Entertainer zu dieser Zeit in einer Krise. Harter Drogenkonsum gehören zu seinem Alltag, er erkrankt an Bulimie. 1976 hatte sich der Musiker als bisexuell geoutet und mittelmäßige Alben veröffentlicht, die sich dank einzelner Singles wie Sorry Seems To Be The Hardest Word noch einigermaßen verkaufen. Victim Of Love schafft es bis Platz 35 in den USA und Platz 41 in Großbritannien, was per se nicht schlecht ist – aber ein bescheidener Schnitt für das Ausnahmetalent, das bis 1976 sieben Nummer-Eins-Alben hintereinander abgeliefert hatte.


Lahm und trostlos?

Nicht nur der Rolling Stone schreibt damals eine vernichtende Rezension, auch Kritikerlegende Lester Bangs befindet: „Es führt kein Weg daran vorbei. Elton hat Probleme.“ Nach Bangs Einschätzung hat der Musiker nie einen geeigneten Ersatz für Bernie Taupin gefunden, dabei besitzen die beiden eine unbestreitbare Chemie. Die Platte könne weder gesanglich überzeugen, heißt es weiter, noch sei sie inspirierend produziert worden. Statt einer tanzbaren Disco-Platte bekomme man ein „trostloses Produkt“. Besonders schwer zu verdauen findet Bangs die achtminütige lahme Disco-Version des Chuck-Berry-Hits Johnny B. Goode, die das Album einleitet.




Der Nachfolger 21 At 33 erscheint ein Jahr später und schneidet besser ab als Victim Of Love, kann mit einer mittelmäßigen Chartplatzierung jedoch ebenfalls nicht an frühere Erfolge anknüpfen. Erst Mitte der Achtziger erholt sich Elton Johns Karriere, seine Gesundheit Anfang des folgenden Jahrzehnts. Vier Dekaden dem Erscheinen von Victim Of Love lieben ihn seine Fans immer noch – trotzdem oder gerade weil er keine Disco-Ikone ist. Die Platte allerdings findet sich wohl nur im Plattenregal von Komplettisten.

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