Rock-Hits mit Orchester-Pomp: Zum zehnten Mal tourt die Konzertreihe Rock Meets Classic durch Deutschland, diesmal mit Ian Gillan von Deep Purple sowie Musikern von The Sweet, Thin Lizzy, Loverboy und REO Speedwagon. Das Ergebnis ist eine mal laute, manchmal beschauliche Greatest Hits-Schau. Wir haben uns die Sause in Frankfurt angesehen.
von Christof Leim
Hier könnt ihr in die Setlist des Abends reinhören:
Klickt auf „Listen“ für die ganze Playlist.
Die Kombination aus Krachmusik und Klassik ist nicht neu: Schon 1969 betraten Deep Purple als erste dieses Neuland mit Concerto For Group And Orchestra. Seitdem sind Gitarren und Geigen schon oft eine mal mehr, mal weniger erfolgreiche Liaison eingegangen, etwa bei Metallica, den Scorpions und sogar den Black Metal-Satansbraten Dimmu Borgir. In Deutschland führt seit zehn Jahren die Konzertreihe Rock Meets Classic laute Populärkultur mit einem großen Orchester zusammen. Das Format sieht so aus: Mehrere Künstler der Rockgeschichte, meist die Sänger großer Bands, präsentieren ihre Gassenhauer, begleitet von der Mat Sinner Band und einem knapp 40-köpfigen sinfonischem Ensemble mit allem, was dazugehört: Streicher, Bläser, Pauken und Trompeten. Das liefert im Wesentlichen eine gute Gelegenheit, sich lange nicht gehörte Classic Rock-Hits auf einer „Package Tour“, also mit vielen verschiedenen Akteuren, in klanglich großer Kulisse servieren zu lassen.
Zunächst ist mal die Rockband dran… - Credit für alle Fotos: Rock & Royalty
Den Anfang in der fast voll besetzten Frankfurter Jahrhunderthalle macht wie jedes Jahr die Rockband unter der Leitung von Mat Sinner (Primal Fear, Sinner) und das Orchester mit einem Riffklassiker. Heute: Rock You Like A Hurricane, und der geht ja quasi immer. Als erste Stargäste erscheinen nach einem kurzen Orchesterzwischenspiel nun zwei Herren von Thin Lizzy: der langjährige Gitarrist Scott Gorham sowie Sänger Ricky Warwick, der in der Neuinkarnation der legendären irischen Band 2009 den Posten des unvergessenen Phil Lynott übernommen hat. Mit The Boys Are Back In Town, Waiting For An Alibi und Don’t Believe A Word hauen sie mehrere Knaller hintereinander raus, die eigentlich keiner sinfonischen Ergänzung bedürfen, denn die drei Gitarren auf der Bühne können die markanten Harmonien voll ausspielen. Macht Spaß.
Loverboy-Sänger Mike Reno bester Laune (unten links)
Die AOR-Helden Loverboy sind heute durch Sänger Mike Reno vertreten, der mit Waiting For The Weekend ebenfalls eine erfolgreiche Single aus frühen Zeiten (1981) präsentiert. Man merkt allerdings, dass die kanadische Band ihre Platinalben eher in Übersee als in Deutschland eingefahren hat, denn die Reaktionen fallen verhaltener aus, zumal das Orchester hier nicht viel Wichtiges beisteuert. Der 64-Jährige singt gut, aber man darf sich fragen, wie der Tonmischer mit folgender Eigenart klarkommt: Am Ende fast jeder Zeile klappt Reno das Mikro vom Mund nach oben weg. In Almost Paradise, dem Liebeslied aus dem Film Footloose, können Reno, seine Duettpartnerin und das Orchester dann richtig dick auftragen und den Schmachtfetzen noch schmachtfetziger klingen lassen. Hart an der Grenze, aber so war’s wohl gedacht.
Lights, camera, action. Rauch auch.
Die lautesten Reaktionen des noch jungen Abends streichen allerdings die ersten Nummern von The Sweet ein: Die beiden Glam Rock-Granaten Action und Blockbuster lassen das Ü45-Publikum zum ersten Mal aus den Sitzen hochfahren, es wird geklatscht und gesungen, dass es eine Art hat. Gitarrist Andy Scott geht auf die 70 zu und trägt sowohl einen ordentlichen Bauch als auch eine, sagen wir, markante Frisur spazieren. Doch man kann sich förmlich vorstellen, dass ihm das alles herzlich egal ist: Geschichte wurde geschrieben, die Riffs und vor allem die Backing-Vocals sitzen weiter tadellos. Also hat der Mann sichtlich Spaß, ebenso Leadsänger Pete Lincoln – sympathisch.
Held des Abends: Andy Scott von The Sweet.
Ein Dauergrinsen stellt auch Kevin Cronin zur Schau. Der Sänger von REO Speedwagon mit seiner bunten Brille und den jugendlichen Klamotten wirkt wie ein nettes Gute-Laune-Feld, singt Take It On Run und verkündet, dass Rock’n’Roll jung hält. Für ein Sekündchen wirkt das wie ein abgestandenes Klischee, aber ganz falsch liegt er damit ja nicht – und er scheint selbst das beste Beispiel zu sein. Es folgt die Herzschmerz-Ballade Can’t Fight This Feeling, die von den klassischen Instrumente erst richtig zur Geltung gebracht werden. Und da wir schon mal dabei sind, spielt das Orchester jetzt als reine Sinfonieeinlage ohne irgendwelche Krachmusiker das Stück Der Schwan aus Der Karneval der Tiere, bevor Anna Maria Kaufmann The Last Unicorn und im Duett mit Pete Lincoln Phantom Of The Opera anstimmt. Die kanadisch-deutsche Sängerin steht als „Special Guest“ auf den Plakaten und bringt Musical-Flair auf die Bühne, was aber nicht so recht zum Abend passen will.
Nun beginnt die zweite Runde, denn alle Künstler kehren noch einmal zurück. Die Mat Sinner Band legt mit dem immergrünen Whitesnake-Klopfer Here I Go Again los, bei dem vor allem die Chorsänger brillieren, die im Wechsel die Leadvocals übernehmen. Anschließend hauen die beiden Thin Lizzy-Recken ein knackig groovendes Jailbreak raus und sorgen mit Whiskey In The Jar für Begeisterung. Da kann Loverboy Mike Reno trotz Loving Every Minute Of It und dem Turn Me Loose nicht ganz mithalten. Ohnehin räumen sowieso The Sweet wieder am meisten ab: Bei Ballroom Blitz bebt die Bude, Fox On The Run wird gefeiert. Ruhiger geht es zu im REO Speedwagon-Segment mit Keep The Fire Burnin’ auf der Akustischen, Roll With The Changes und natürlich Keep On Loving You, das Cronin seiner Frau Lisa widmet, die im Chor mitsingt.
Nach der Orchestereinlage Pomp & Circumstance kommt dann der Headliner: Zum vierten Mal singt Deep Purple-Legende Ian Gillan bei Rocks Meets Classic und erweist sich erneut als entspannte Gentleman-Eminenz des Hard Rock. Der Mann muss sich nicht mehr in obligatorische Posen werfen, um sich wie ein Sangesgott zu gebären – er ist einer, und jeder weiß es. Bei Highway Star und Black Night jedenfalls gibt er sich stimmlich keinerlei Blöße, singt so gut wie lange nicht und wirkt ansonsten fast ein bisschen amüsiert über das ganze Theater. Die Zuschauer feiern es und ihn, über die große Leinwand flirren rasante Straßenszenen oder psychedelische Sequenzen, und auch die Band dreht auf. Vor allem Gitarrist Alex Beyrodt zeigt virtuos, dass er Ritchie Blackmore ausgiebig studiert hat. Die Deep Purple-Nummern wirken bei aller Opulenz ein bisschen wilder und weniger gefällig als der Rest, was der Veranstaltung gut zu Gesicht steht.
Ian Gillan, begleitet von Geigen, Gitarre und Feuer
Klassische Orchesterinstrumente können ja nicht immer Signifikantes zu einem Rocksong beitragen, egal, wie kompetent die Arrangements geschrieben sind und vorgetragen werden. Manchmal fällt die Begleitung nicht weiter auf, im schlimmsten Fall rückt die Grenze zur streichergerührten Rahmstufe nahe. Aber wenn die beiden Welten sich ergänzen, dann ergibt sich eine packende epische Größe und Dramatik – was das folgende Anya über eine „ woman with a gypsy soul“ (Gillan) zu einem Höhepunkt der gesamten Show werden lässt. Auch im einfühlsamen When The Blind Man Cries und mehr noch beim Breitwandrocker Perfect Strangers ergänzen sich Rock und Klassik hervorragend. Das abschließende Hush wird zum Mitsingfest, bevor noch einmal alle Künstler auf die Bühne kommen. Denn eine Nummer fehlt noch: Smoke On The Water mit dem Riff der Riffs natürlich, bei dem sich Warwick, Kaufmann und Cronin die Lead-Vocals mit Ian Gillan teilen. Der vielleicht klassischste alle Classic Rock-Songs – ein passendes Finale.
Das Mannschaftsfoto: Rock Meets Classic 2019