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Foto: Franziska Krug/Getty Images

30 Jahre „Jaja“: Westernhagen liefert das „Thriller“ der deutschen Rockmusik

In den frühen Neunzigern schwingt sich Westernhagen zum erfolgreichsten deutschen Sänger auf. Er füllt Stadien, setzt laufend neue Benchmarks – und legt 1992 mit Jaja ein dafür eigentlich viel zu unangepasstes Album vor.

von Björn Springorum

Hier könnt ihr Jaja hören:

1992 hat Westernhagen schon bald 30 Jahre Karriere hinter sich. Mit 43 hat er an 47 Filmen mitgewirkt und zwölf Soloplatten veröffentlicht. Lange sah es so aus, als würde er sich gänzlich der Arbeit vor der Kamera verschreiben: Theo gegen den Rest der Welt, Der Scheemann, Der Madonna-Mann – in den Achtzigern wird er, damals noch als Marius Müller-Westernhagen, zu einem der beliebtesten und bekanntesten deutschen Schauspieler.

Zu Gast in der Villa Kunterbunt

Doch die Musik, die lässt ihn nicht los. Schon Ende der Sechziger spielt er in seiner ersten Band Harakiri Whoom, eckt an, sorgt für Skandale und Provokationen. Das soll sich durch seine Vita ziehen: Anfang der Siebziger zieht er nach Hamburg, hängt in der Villa Kunterbunt mit Otto Waalkes und Udo Lindenberg ab und sorgt 1972 mit dem Song Gebt Bayern zurück an die Bayern mal wieder für einen Skandal.

Dass er sich lediglich an Paul McCartneys Give Ireland Back To The Irish orientiert, ist egal: Die Plattenfirma muss die Single nach erheblichen Protesten vom Markt nehmen. „Ironie in Deutschland ist so gut wie unmöglich“, sagt er 1992 im Spiegel. „Du kannst die absurdesten Dinge behaupten, zum Beispiel, dass dort drüben gerade 500 Leute aus dem Fenster gesprungen sind, und dein Gegenüber fragt nur: Wirklich?“

Westernhagen und die Dicken

1978 dann der Durchbruch Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz. Ehrensache: Die Nummer Dicke sorgt mal wieder für reichlich Wirbel. Ist er zu früh damit? Vielleicht. Ist deutsch nicht die richtige Sprache dafür? Vielleicht. Westernhagen ist das egal. Er ist ein selbstbestimmter, unabhängiger Künstler, der sagt, was er denkt und sich im Gegenzug nichts sagen lässt. Seine Songs sind Milieustudien und Reflektionen seiner Kindheit – der Vater säuft sich früh tot, zur Mutter hat er lange ein schlechtes Verhältnis. Er nimmt kein Blatt vor dem Mund.

Dennoch kommt der ganz große Durchbruch erst mit seinem Imagewechsel. Der krawallige Pöbler Marius verschwindet hinter dem schnieken, eleganten, arroganten Westernhagen mit Maßanzug, weißem Kragen und der neuen Freundin, dem Fotomodell Romney Williams. „Armani-Rocker“, nennt man ihn frotzelnd. Könnte ihm egaler nicht sein: Halleluja wird zu seinem bislang erfolgreichsten Album, die Tournee dazu sehen rund 500.000 Zuschauer*innen, bis heute ist die bei dieser Reise entstandene Live-Version von Freiheit einer seiner größten Momente.

Komponist, Musiker, Produzent

Für Westernhagen allerdings nur ein weiterer Anfang. Nachdem er die Orchesteraufnahmen schon für Halleluja nach London verlegte, zieht er jetzt selbst an die Themse. Im Metropolis-Studio produziert er sein 13. Album Jaja selbst – beseelt vom Geiste Queens, die hier gerade erst Innuendo eingespielt haben. Mit dem Bläck Fööss und seiner Frau im Backgroundchor, Helmut Zerlett an seiner Hammond-Orgel und zahlreichen Studiomusikern nimmt Westernhagen ein bluesiges, kerniges Rock‘n‘Roll-Album auf, das so gar nicht nach Deutschland klingen will.

Pfundschwer tönen die Songs, ganz und gar ohne Pomp und Ballast ackert sich Westernhagen durch das Gräberfeld seiner US-amerikanischen Idole. Ein Song trägt den Titel Neger. Klar, mal wieder als Provokation gemeint, aber heute nicht mehr so ohne weiteres als glücklich gewählt zu erachten. Westernhagen, der zu dieser Zeit mit einer Schwarzen Amerikanerin liiert war, begründet es später in der Volksstimme so: „Aus dem einfachen Grund, weil das klar als Provokation zu erkennen ist. Es ist aber nicht Provokation, um der Provokation Willen, sondern man füllt diese Provokation mit dem Inhalt. […] Ich glaube, dass man sich in jungem Alter auch nicht so viel Gedanken macht.“ Naja.

Das deutsche Thriller

Das Album wird sein bislang größer Erfolg. 500.000 Menschen bestellen die Platte vor, am Erscheinungstag des 19. März 1992 ist Jaja innerhalb von Stunden im ganzen Land so gut wie vergriffen. Wochen vor dem Start ist die Tournee dazu ausverkauft, insgesamt werden 700.000 Leute zu den Konzerten strömen. Vor Westernhagen war es für deutsche Künstler*innen undenkbar, in Fußballstadien aufzutreten. Das machten bislang eigentlich nur Kaliber wie die Stones.

MTV spielt das Video zum erschütternd tagesaktuellen Song Krieg mehrmals am Tag – ein absolutes Privileg für deutschsprachige Musik. Video-Produzent Hannes Rossacher zieht große Vergleiche zwischen dem absoluten Normalo und Michael Jackson: „Das wird der deutsche Thriller, jeder Song ein Hit.“ Nicht ganz falsch: Ein ganzes Jahr hält sich Jaja in den Charts, schon im ersten Jahr gehen in Deutschland mehr als eine Million Exemplare über die Theken.

Sein Imagewechsel zum „Armani-Rocker“ hat ihm offensichtlich nicht geschadet. Denn auch Jaja (Westernhagen: „Jaja heißt ‚leck mich am Arsch’“) lebt von der direkten, unverblümten Art seines Schöpfers und von dieser unverquasten Herangehensweise an Rockmusik mit deutschen Texten. Und von einem Typen, den man nicht mögen muss, der aber in der deutschen Musikgeschichte einzigartig ist.

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